Politica | Gemeindewahlen

Neuer alter Gegenwind

In Kastelruth liegen die Karten für die Gemeinderatswahlen auf dem Tisch. Andreas Colli erhält als “Bürgermeister ohne Vision” neue Konkurrenz von alten Weggefährten.
Kastelruth
Foto: needpix.com

Wirklich laut sind die Töne nicht, die aus Kastelruth zu vernehmen sind. Noch nicht. Denn der Wahlkampf muss erst beginnen. Nichtsdestotrotz wird das Szenario, das sich den Wählern für den 20. und 21. September bietet, immer klarer. Auf der einen Seite will es Andreas Colli nach seiner gescheiterten Kandidatur für den Landtag 2018 – er war der dritte Nichtgewählte auf der SVP-Liste – noch ein drittes und letztes Mal wissen. Die Chancen, dass er heuer wieder gewählt wird, stehen vermutlich besser denn je. Denn anders als 2015 und 2010 steht dem amtierenden Bürgermeister heuer kein Gegenkandidat aus der eigenen Partei im Weg, der ihn Stimmen kosten könnte. Doch andererseits erhalten Colli und die SVP neuen alten Gegenwind.

 

Kein Seiser, dafür Einheitsliste

 

Es war 2010 als Andreas Colli – durchaus überraschend – zum ersten Mal Kastelruther Bürgermeister wurde. Nach einer Karriere als Oppositioneller hatte sich der ehemalige Stadtpolizist und passionierte Jäger von der SVP zähmen lassen und gewann die Wahl gegen den scheidenden Bürgermeister Hartmann Reichhalter mit 49,4 zu 41,5 Prozent. Reichhalter hatte das Amt vom 2004 verstorbenen langjährigen Bürgermeister Vinzenz Karbon geerbt und war bei den Wahlen 2005 bestätigt worden. Heute ist der Rechtsanwalt Präsident der A22-Gesellschaft.

Es ist Tradition, dass die SVP in der 7.000-Seelen-Gemeinde zwei Bürgermeisterkandidaten bei den Gemeinderatswahlen aufstellt: einen aus dem Hauptort Kastelruth und einen aus Seis – um einen Ausgleich zwischen den beiden rivalisierenden Dörfern zu schaffen. Auch heuer war man fest entschlossen, neben dem fix gesetzten Colli einen zweiten Kandidaten ins Rennen zu schicken. Doch man ist nicht fündig geworden. “Wir haben 25 Kandidaten für den Gemeinderat und einen Bürgermeisterkandidaten: Andreas Colli”, bestätigt der Kastelruther SVP-Ortsobmann Martin Fill. Er – seines Zeichens selbst Rechtsanwalt – war 2005 dem Seiser Reichhalter in der Bürgermeisterwahl unterlegen und kandidiert heuer wieder für den Gemeinderat. Genauso wie der Seiser SVP-Ortsobmann Stefan Perathoner. Der Vorsitzender der Fachgruppe Schutzhütten im HGV und Hüttenwirt des Tierser Alpl hatte bei der Gemeinderatswahl 2015 haushoch gegen Colli mit 14,6 zu 85,4 Prozent verloren.

 

Dennoch gebe es bei den diesjährigen Wahlen eine Neuigkeit, beeilt sich Fill zu ergänzen: eine Einheitsliste. Das Projekt allerdings ist keine Einheitsliste im eigentlichen Sinne, bei der sämtliche Gemeinderatskandidaten unabhängig von der Parteizugehörigkeit und unter Verzicht eines traditionellen Parteizeichens auf derselben Liste kandidieren. Diesem Vorhaben hat die SVP-Spitze bereits im Herbst 2019 eine klare Absage erteilt. Die “Einheitsliste SVP” sei vielmehr so zu verstehen als dass es 2020 weder ein kleines Edelweiß der ladinischen Fraktionen noch eine nach Ortsgruppenlogik gereihte Kandidatenliste gebe, erklärt Fill. “Die Kandidaten aller Fraktionen werden in alphabetischer Reihenfolge gelistet.”

 

Rückkehr und Absage

 

Dabei war der Plan der SVP sehr wohl, sämtliche Kräfte zu bündeln. “Man ist an uns mit dem Vorschlag herangetreten, einige unserer Kandidatinnen und Kandidaten als Unabhängige auf der SVP-Liste aufzunehmen”, berichtet Christoph Senoner. Er ist ebenfalls Rechtsanwalt, führt in Bozen eine gemeinsame Kanzlei mit dem SVP-Kammerabgeordneten Manfred Schullian. Doch politisch steht Senoner woanders. Von 2005 bis 2015 saß er für die Freie Liste im Kastelruther Gemeinderat und vereinte als deren Bürgermeisterkandidat 2010 die 9,1 Prozent der Stimmen auf sich, die die SVPler Colli und Reichhalter nicht erhielten.

Die Freie Liste wurde als Bürgerliste in den 1980er Jahren gegründet und verstand sich im von der SVP dominierten Kastelruth seit jeher als oppositionelle Kraft, die sich “für sozial- und umweltverträgliche Maßnahmen” und “eine kulturelle Öffnung” engagiert sowie “die Machenschaften der Entscheidungsträger hinterfragt” und “auf den Vorrang des Gemeinwohls achtet”. Noch im Jahr 2000 zog als meist Gewählter der Freien Liste in den Gemeinderat ein: Andreas Colli. 2015 trat man schließlich nicht mehr an, es fehlte an Kandidaten. Nun aber wird die Freie Liste wiederbelebt – und Christoph Senoner als Bürgermeisterkandidaten ins Rennen schicken.

 

Er selbst gibt sich noch bedeckt – “die realen Aussichten sind gering und falls ich wider aller Erwartungen gewählt werden, hätte ich neben meinem Beruf keine Zeit für das Bürgermeisteramt” –, doch die Entscheidung ist so gut wie gefallen. “Es ist sehr erfreulich, dass sich erneut eine sehr engagierte Truppe gefunden hat, in der neben bewährten Leuten auch zahlreiche Junge sind, auf die es aufzubauen gilt”, meint Senoner. Er habe keinen Moment gezögert, als man auf ihn zugetreten sei und ihn gefragt habe, ob er bei der neuen Freien Liste mitwirken wolle.

Ebensowenig gezögert hat man, als es galt, über das Angebot der SVP zu befinden, einige Kandidaten auf deren Edelweiß-Liste zu schicken. Eine Liste “ähnlich wie in St. Lorenzen” hätte man aufstellen wollen, sagt SVP-Ortsobmann Fill. Doch die Freie Liste hat sich einstimmig dagegen ausgesprochen. “Zum einen hätten nur einzelne unserer Kandidaten einen Platz gekriegt und zum anderen ginge dadurch jegliche Dialektik im Gemeinderat verloren”, führt Christoph Senoner aus. Entsprechend “irritiert” ist er, dass sich die SVP nun als Einheitsliste deklariert hat.

 

Wichtige Jahre und wichtige Fragen

 

Für ihn sei die Absage “kein Problem”, betont Fill. Er sieht eine oppositionelle Liste – zumal die Freiheitlichen, die momentan zwei Vertreter im Gemeinderat stellen, heuer nicht mehr antreten – als Bereicherung, als “wichtig, um die Politik zu beleben”. Dazu braucht es allerdings mehr. Zumal, das weiß auch Fill, “wichtige fünf Jahre” anstehen. Das neue Urbanistikgesetz muss umgesetzt werden. Die Kastelruther SVP wolle dabei “ein Zeichen und Akzente setzen, mit den vorhandenen Land- und Raum-Ressourcen verantwortungsvoll umgehen”, sagt der Ortsobmann. Darüber hinaus werde man im Programm, das ab kommender Woche konkretisiert werden soll, einen Schwerpunkt auf Schule und Bildung setzen.

 

Ein Programm steht auch bei der Freien Liste noch nicht. “Uns geht es vor allem um die Arbeitsweise”, erklärt Christoph Senoner, “sich als Gemeinderat unabhängig und nach seinem Gewissen positionieren können, Transparenz, Mitsprache und Information der Bürger”. Als Themen, die ihm am Herzen liegen, nennt er unter anderem den Radweg zwischen Kastelruth und Völs und die Aufwertung der Tennishalle im Sportzentrum Telfen. Auf die Frage, wie die Freie Liste zu Großprojekten wie einer Bahnverbindung zwischen St. Christina bzw. von (dem inzwischen stillgelegten Skigebiet) Marinzen auf die Seiser Alm steht, meint Senoner, dass es in ihren Reihen sowohl dezidierte Gegner als auch solche gibt, die diesen Projekten durchaus etwas Positives abgewinnen können.

 

Fehlende Vision und fehlende GIS

 

Offene Kritik am amtierenden Bürgermeister lässt sich Senoner keine entlocken. Ein Satz fällt dann doch: Andreas Colli habe “nicht alles schlecht gemacht”, sei aber ein “fast zu pragmatischer Bürgermeister”, dem “eine Vision fehlt, wie die Gemeinde in 10, 15, 20 Jahren aussehen soll”. Ob Colli daran interessiert ist, eine solche zu liefern, ist fraglich. Zumal seine Karriere als Bürgermeister ein bereits fixes Ablaufdatum hat. Laut Gesetz darf er nach drei Amtsperioden – 2010, 2015 und im Falle einer Wiederbestätigung 2020 – in fünf Jahren nicht mehr als Bürgermeister kandidieren.

Martin Fill winkt ab, bezeichnet die Freie Liste als “ideologisch” und verweist auf ein konkretes Problem, das der Gemeindeverwaltung im Hier und Jetzt Kopfzerbrechen bereitet: die angedachte GIS-Befreiung für Tourismusbetriebe, die die Landesregierung auf Drängen des HGV zugesagt hat und die diese Woche im Landtag beschlossen werden soll. Mehrere Bürgermeister drängen darauf, die 20 Prozent der Ausfälle, auf denen die Gemeinden sitzen bleiben würden, dennoch einheben zu können. Das wäre “korrekt und wichtig”, sagt Fill. Der Gemeinde Kastelruth – dort gibt es mit 464 Beherbergungsbetrieben so viele wie in keiner anderen Südtiroler Gemeinde – würden durch die Ausfälle zwischen 450.000 und 500.000 Euro entgehen. “Falls die Kann-Bestimmung kommt, würden wir von den Tourismusbetrieben sicherlich einen Solidaritätsbeitrag einfordern” – darüber sei man sich auch im Ortsausschuss der SVP Kastelruth einig gewesen. Doch die SVP im Landtag hat bereits angekündigt, keinen entsprechenden Änderungsantrag einzureichen bzw. dagegen zu stimmen, falls die Opposition diesen Schritt setzt.