Cultura | Salto Afternoon

Die Welt aus der Drehung heraus

Die live vertonte Tanzaufführung „maqam“, war heuer eine von Tanz Bozens deutungsoffensten. Zwischen Individuum und Kollektiv eine Suche nach dem Selbst durch Musik.
maqam
Foto: Andrea Macchia
Das gemeinschaftliche Werk von Michele Di Stefano (Coreografie) und Lorenzo Bianchi Hoesch (Komposition und elektronische Musik) trägt als Titel ein Wort mit vielen Bedeutungen - Ort, Position, Station, Stufen - bezieht sich aber auch auf das tonale System der klassischen Musik Vorderasiens. Wer dabei fetischisierenden Orientalismus oder ein für westliche Gewohnheiten befremdliches Hörerlebnis fürchtet, merkt, dass auf der Bühne ein delikater Balanceakt stattfindet, der das klassische zu vergegenwärtigen sucht. Anfangs nimmt lediglich die Musik den Bühnenraum für sich ein, auch visuell, da die Musiker ihre Plätze am Rand der Bühne mit dezentem Spotlight markiert haben.
Für die zum Teil elektronisch manipulierten und verstärkten arabischen Gesang, das Santur (ein Instrument aus der Familie des Hackbretts) und, für das letzte Aufbäumen die Trompete von Amir ElSaffar, macht man sich in einigen Momenten das exzellente Soundstage des Stadttheaters zu nutze, um einen Klangraum zu schaffen, der größer als der Saal scheint, in dem er zu hören ist. Die Reaktion des eigenen Körpers auf die Klänge, die zwischen leisem, auf das analoge Gesangs- und Instrumentenvokabular plus Hall zurückgeworfenen, mal knapp unterhalb der Grenze des noch angenehmen.
 
 
Die Form-Sprache der sieben Tänzer:innen (Biagio Caravano, Francesco Saverio Cavaliere, Andrea Dionisi, Sebastiano Geronimo, Luciano Ariel Lanza, Laura Scarpini und Francesca Ugolini) ist dabei durchwegs der Drehung verpflichtet, hauptsächlich um die eigene Achse, da die Choreografie auf stimmungsvoll mit Nebel und Licht  (Cosimo Maggini und Giulia Broggi) in Szene gesetzten Soli mehr als auf Gruppenbewegungen fußt, aber auch dem verschränkten Reigen im Kreis. Das Licht ist dabei ein präzise schneidendes Mittel in der Dunkelheit, aber auch ein Akzent von blauen Spots, die einen Tänzer exakt treffen und vom warmen Bühnenlicht abgrenzen und entfremden. Mystisch aufgeladen nicht nur das wandelbare Setting, in dem Lichtwandel eher eine Veränderung der Bewegung erzwingen, als es ähnliche Wechsel in der Musik tun, sondern auch der klangvolle Gesang Amir Elsaffar, von dem wir kaum mehr verstehen, als den Namen Gottes.
Man folgt rituellen Handlungen, der eigentliche Bedeutung schleierhaft sind, erkennt allerdings Unterschiede in Haltung und Geste der Tänzer, die sich an den Rand einer Ekstase und in eine Erschöpfung und einen Kollaps hinein tanzen, oder von Zeit zu Zeit, auch als Schemen am Rand der bespielten Bühne statisch einen Moment, stehend, liegend oder sitzend verweilen, die Erwartung eines Aufbäumen oder einer Bewegung wecken und abgehen.
 
 
Kommt man als Gruppe zusammen, so bewegt man sich anfangs chaotisch, gerät aneinander,  findet dann zu einer Bewegung der vollkommeneren Synchronität und Auslöschung individueller Eigenheiten. Das schuldet sich wohl auch dem mystisch, religiösen Charakter des Stücks: Man steigert sich im Sound, der die Tänzer trägt und antreibt in den Taktbereich von Techno. Nachdem die beiden Musiker ihre Bühnenplätze verlassen, kommt eine mehr getaumelte als getanzte Coda: Die Verschmelzung der Tänzer zu einer Kette hindert sie am Aufstehen. Man beendet einen sowohl klanglich, wie auch tänzerisch vor Energie strahlenden Abend in Erschöpfung und, unmittelbar davor mit einer kontemplativen Klammer zum Anfangsmotiv: Die Bühnenrückwand hebt sich an, gibt gleichzeitig aggressives Rot frei und eine einzelne Silhouette, die im Widerschein hervortritt. Das intensive Bild ist von kurzer Dauer, schon senkt sich wieder Dunkelheit. Auch das etwas zyklisches, wie ein Sonnenauf- und -Untergang, ein Kreis der sich schließt.