Cultura | Salto Afternoon

"Wir sind Teil des Theaters"

Das "Teatro la Ribalta" arbeitet mit Menschen mit Beeinträchtigung; ist aber viel mehr als das. Ein Gespräch über Anerkennung, Erfolg und die Wunden der Kunst.
Un Peep Show per Cenerentola
Foto: Vasco Delloro

Antonio Viganó, der künstlerische Leiter des Theaterensembles und einige SchauspielerInnen waren mit Salto.bz im Gespräch, um über die Anfänge von „Teatro la Ribalta“, ihr Schaffen als Künstler, Ziele, Schwierigkeiten, Erfolge und über ihr neues Bühnenstück zu sprechen.

 

Salto.bz: Wie entstand der Name des “Teatro la Ribalta”?

Antonio Viganó: Der Name entstand Ende der 70er Jahre in einem kleinen Dorf in Lecchese. Es heißt „Ribalta“, übersetzt: umkehren, auf den Kopf stellen. Wir arbeiten gerne ohne vierte Wand, das heißt auf der  Bühne, in der Nähe der Lichter und des Bühnenraums, der eben „ribalta“ genannt wird. Dieser Name war während meiner Zeit in Lecco, Frankreich, Lecce und Bozen immer wieder präsent und so kam es schließlich zum Namen “Teatro la Ribalta.”

Was waren die größten Schwierigkeiten zu Beginn des Projekts? Was ist die Hauptaufgabe des Teatro la Ribalta?

Vor allem bei den Institutionen sollte der Eindruck vermittelt werden, dass es ein Ensemble geben kann, das aus Männern und Frauen mit Behinderungen besteht. Weiters musste anfangs sehr viel Überzeugungsarbeit bezüglich Menschen mit Beeinträchtigung und Theater, geleistet werden,. Das bedeutet, dass Menschen mit Beeinträchtigung als Theaterspieler und Künstler wahrgenommen werden und ihr Schaffen als bezahlter Job und nicht als Freizeitgestaltung. Das war eine schwierige Aufgabe, da die Vorstellung der Gesellschaft „Theater mit Beeinträchtigung“ sei immer schon  ein Freizeit- und „Trosttheater“  gewesen, vorherrschte. Die Fähigkeit mit Beeinträchtigung Kunsttheater zu machen wurde den Schauspielern anfangs nicht zugetraut. Die Mission war und bleibt: Kunstvorführungen vor allem mit unangenehmen, kritischen Schauspielern zu realisieren, denn in diesen Körpern und Stimmen steckt ein Mysterium und das Gefühl, „Theater zu machen.“ Dieses Gefühl gilt es immer wieder hinauszuschreien.

Gibt es eine Situation, die für Sie immer eine gute Erinnerung bleiben wird, haben Sie ein Highlight?

Wahrscheinlich, als wir 2018 in Mailand den Ubu-Preis (das Gegenstück zu Donatellos David für das Kino) entgegennahmen. Wir waren bei der Preisverleihung im Piccolo Teatro zusammen mit den großen Namen der italienischen Theaterlandschaft vertreten. Wir erkannten uns wieder und wir wurden als „Teatro la Ribalta“, endlich als „Teil des Theaters“ und nicht als besonderer, abgesonderter Teil des Theaters gesehen und ausgezeichnet. Das war für uns wirklich ein großer Moment, auf den wir mit Recht stolz sein können.

 

 

 

Was bedeutet es für Sie, Künstler zu sein?

Unser Schauspieler, Rocco, würde sagen: „Sei, wer du bist, ohne Vorurteile”. Für mich ist es auch die Fähigkeit, etwas anderes und jemand anderes zu sein. Ich denke, das Theater gibt uns die Möglichkeit, in mehrere Rollen zu schlüpfen und dadurch „mehrere, verschiedene Leben zu leben.“

Mit dem neuen Stück „il paradiso perduto“ wollen Sie eine intime und persönliche Atmosphäre schaffen. Worin besteht die Schwierigkeit, mit persönlichen Themen auf der Bühne zu arbeiten?

Wir arbeiten mit Themen, die in unseren Schauspielern, mit ihren Körpern und Stimmen, auf viele verschiedene Arten widerhallen, ausbrechen können. Wir haben an Pirandello, Shakespeare, Frankenstein gearbeitet und wir werden uns weiterhin mit anderen Werken in diese Richtung auseinandersetzen. Die Intimität, die wir schaffen, ist eine Intimität des Raums, wir teilen sie mit dem Betrachter, weil wir die Idee mögen, eine Gemeinschaft in einer Art säkularem Ritus aufzubauen. Dies verringert wahrscheinlich die Theaterfiktion, aber erhöht das Gefühl, die Wirkung auf den Zuschauer, wenn das Stück beginnt.

Was macht „Teatro la Ribalta“ einzigartig  und warum arbeiten Sie gerne an und mit diesem Projekt?

Wir sprechen über das Zeitgenössische. Man muss ein Gefühl für etwas haben, ein Bedürfnis verspüren und kreieren. Für uns ist es die Wunde; jede Kunst ist eine Wunde. Als ich Menschen mit Beeinträchtigung kennenlernte, kam mir vor, dass sie viel zu sagen hatten und gehört werden wollten. Das Theater schien mir dafür das passendste Instrument zu sein.

 

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Klemens Riegler Gio, 02/03/2022 - 21:27

Teatro la Ribalta ist aber noch mehr: Es ist eine Familie, ein Work-Ensemble ... wer sich dieser nähert, darf eintauchen in eine Sonnen-Aura die es in keinem anderen Theater gibt. Und dann ist da eben auch noch dieser Rocco - ein Wahnsinn in Sachen Ausdruck, Persönlichkeit, Darstellende Kunst ... Performance eben.
Das muss man gesehen haben! ... oder womöglich auch noch die Chance haben in diese Sonnen-Aura vor- oder nach den Proben einzutauchen.

Gio, 02/03/2022 - 21:27 Collegamento permanente