Die Tulpen von Istanbul
Im Monat April zelebriert Istanbul seine " Lale", wie die Tulpe hier genannt wird. Überwältigend schöne Tulpen-Teppiche überziehen die ohnehin faszinierende Stadt: 2, 3 Millionen Tulpen in 211 Variationen sind im Emirgan-Wald zu bewundern, weitere 1,3 Millionen Tulpen im Gülhane-Park, 800.000 Tulpen im Yildiz Wald usw.
Den Touristen, die sich gewöhnlich vor allem im Sultanahmed-Viertel und in der Umgebung des Dolmabahce - Palastes bewegen, bietet sich im April ein unvergessliches Bild : die architektonischen Schönheiten, umrahmt von Tulpen aller Farben und Variationen. So prachtvoll sind die kunstvoll angelegten Tulpenteppiche, dass die Bauten in den Hintergrund rücken.
Kein Wunder, dass eine geschichtliche Epoche der Türkei als " Lale Devri" bezeichnet wird. Das " Zeitalter der Tulpe" dauerte von 1718 bis 1730, als Ahmet III das osmanische Reich regierte.Unter seiner Regentschaft drehte sich alles um die Tulpe: die Kunst, die Mode, die Architektur. Mit wochenlangen, teuren Festen zelebrierte der Sultan die "Lale" und vernachlässigte dabei die Regierungsgeschäfte.
Der Tulpenwahn kostete Ahmet III schliesslich den Kopf. Er wurde hingerichtet, sein Palast mit den kostbaren Tulpenzwiebeln wurde verbrannt. Dabei wurden auch besonders schöne Exemplare, wie die legendäre Istanbul-Lale, für immer vernichtet.
Glücklicherweise hatte die Tulpe ein Jahrhundert zuvor ihren Siegeszug durch Europa angetreten. Über den Wiener Gesandten an der Hohen Pforte in Istanbul kam die Tulpe 1554 zuerst nach Wien und von dort nach Holland. An der medizinischen Universität Leiden wurde die Tulpe " exklusiv " gezüchtet. Das führte dazu, dass dieses wunderbare Liliengewaechs unter Lebensgefahr aus den Gärten der Universität gestohlen wurde.
Damals brach in Europa die historisch belegte " Tulpenmanie" aus. So begehrt waren die Tulpen im 17. Jahrhundert , dass sie schliesslich als Währung gehandelt wurden. Fehlspekulationen mit der Tulpenzwiebel führten 1637 zum ersten verbrieften Börsenkrach .
Unter dem derzeitigen türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdogan begann die Tulpen-Renaissance. Als langjähriger Bürgermeister von Istanbul hatte er den Monat April zum Monat der "Lale" erklärt und damit die historische Bedeutung der Tulpe wieder der Öffentlichkeit nähergebracht . Mit Festivals, Ausstellungen, Seminaren und Touristenführungen wird die Lale nun wieder gefeiert - wie unter Sultan Ahmet , nur weniger ausschweifend.
Dabei lernt man, dass von den ehemals rund 2000 Tulpensorten heute nur noch 650 existieren. Das Wort Tulpe hingegen soll von " tülbent" oder persisch " dulband" stammen, womit das Turbanband gemeint ist. In der Tat gleichen die Turbane der Form der Tulpe.
Türkische Umweltschützer haben am neuen Tulpenwahn einiges auszusetzen. Die Tulpenzüchtung sei degeneriert, viel zu teuer und ein Riesengeschäft geworden. Regierungsnahe Gärtnereien und Arbeitsvermittler würden davon profitieren. Die Anstellung tausender Zeitbediensteter für die Anpflanzung der Tulpen im April fördere die Klientelwirtschaft.
Andererseits legt die Stadtverwaltung von Istanbul nicht nur im April grossen Wert auf die Pflege von Grünflächen und Gärten. Italienische Kunst-Städte wie Rom, Florenz oder Venedig sollten sich daran ein Beispiel nehmen.