Cultura | Interview mit Prof. Schmidt-Wulffen

"Versetzen Sie mich in Erstaunen"

Ab Herbst gibt es an der Uni Bozen einen neuen Studienzweig: "Kunst". Doch über das traditionelle Kunstverständnis geht der Studiengang weit hinaus.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Im Studiengang "Kunst", der im kommenden Herbst an der  Fakultät für Design starten wird, soll es wenig geben, das an den herkömmlichen Kunst-Unterricht erinnert, den man von den Akademien her kennt. Was genau die Studenten erwarten können (und was man sich umgekehrt von ihnen erwartet), erklärt einer der leitenden Dozenten, Prof. Stephan Schmidt-Wulffen, im Interview.

Das Studium soll sehr praxisnah sein, richtig?
Genau, es wird um das konkrete künstlerische Schaffen gehen, deswegen stehen wir auch dem Design näher als etwa der Kunstgeschichte. Allerdings ist es ein Kunststudium, das nicht wie an traditionellen Kunstakademien aus den zentralen Fächern Skulptur und Malerei besteht; stattdessen berücksichtigen wir sehr stark die zeitgenössischen Medien wie Video oder Photographie.

Bedeutet dies, dass solche Medien auch anders eingesetzt werden als sonst; dass also beispielsweise ein Video als Kunstwerk gedreht wird, und nicht etwa als Dokumentation?
Auch diese Unterscheidung würde ich nicht unbedingt treffen – vieles, was heute in der Kunst stattfindet, sieht auf den ersten Blick wie Dokumentation aus. Die Grenze zwischen frei und angewandt ist nicht mehr so klar zu ziehen wie früher. Deswegen macht es auch Sinn, das Ganze in direkter Nachbarschaft zu einem Design-Studium anzusiedeln, da auch viele Designer gar nicht mehr auf Produkte zielen, die man im Alltag verwenden kann, sondern die mittels ihrer Produkte über Gestaltung und Mitgestaltung nachdenken. Es ist auch nicht anzunehmen, dass man nach den drei Jahren dieses Studiums ein Künstler ist, denn es ist ein grundlegendes Studium, wir zielen einfach auf eine allgemeine künstlerische und kreative Kompetenz. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass man danach im Master in ein Design-Studium oder sogar in ein BWL-Studium einsteigt.

Wie sie sagten, bedeuten drei Jahre dieses Studiums nicht automatisch, dass man danach ein Künstler ist – kann man denn Kunst an sich überhaupt studieren?
Seit 500 Jahren gehen wir davon aus, dass das geht, auch wenn die Methoden sich geändert haben. Es ist allerdings auch davon auszugehen, dass es danach schwierig ist, von der eigenen Kunst zu leben. Andererseits haben sich inzwischen auch die Bedingungen geändert: An den Akademien hat man bisher immer gesagt, ca 4-5% schaffen den Sprung in ein professionelles Künstlerleben, und die Übrigen, die fahren dann halt Taxi. Es stellte sich aber heraus, dass das gar nicht so ist und KunstabsolventInnen mit ihrer Kreativität auch in anderen Berufsfeldern sehr erfolgreich sein können. Das wollen wir ernst nehmen und die Menschen für ihre Kreativität sensibilisieren, nehmen aber nicht vorweg, was sie danach im Master machen werden. Die künstlerischen Aufgaben sind in der Gesellschaft viel breiter geworden, als nur Galerien zu bespielen und seine künstlerischen Produkte irgendwo gut zu verkaufen.

Woran werden die Studenten die Nähe zum Design-Studium merken?
Wir haben auch im Design-Studium immer wieder die Fragestellung, etwa im Produktdesign: „Wer benutzt das später eigentlich? Haben wir darüber genügend nachgedacht oder nur eine eigene Idee ausgelebt?" Und in der Kunst haben wir eben auch eine starke Orientierung hin zum gesellschaftlichen Leben, und wie man kritisch und kreativ damit umgehen kann. Da wird sich auf jeden Fall ein interessanter Austausch ergeben: auf der einen Seite diejenigen, die stärker nach der Zweckorientierung fragen, und auf der anderen Seit diejenigen, die ähnliche Gebiete beackern, aber mit einer zweckfreien Herangehensweise arbeiten. Es wird auch möglich sein, nach dem ersten Jahr oder den ersten anderthalb Jahren von der Kunst ins Design zu wechseln oder umgekehrt - und wir haben tatsächlich schon die ersten Interessenten aus dem Design-Studium, die ins Kunststudium wechseln wollen. Außerdem werden wir die existierenden hervorragenden Werkstätten gemeinsam bespielen.

Das wäre einiges, was man sich vom Studium erwarten kann. Was wird hingegen von den Studenten erwartet?
Leidenschaft im weitesten Sinne. Es wird kein Studium von 9 bis 17 Uhr sein, in dem man sein Pensum erledigt und dann nach Hause geht und es sich bequem macht. Wer sich künstlerisch entwickeln will, der muss das 24 Stunden am Tag tun. Es braucht auch eine gewisse Fähigkeit zur Selbstkritik: den gewohnten Stiefel einfach unhinterfragt durchziehen, das wird nicht reichen. Das Studium ist drauf ausgelegt, das Konzept, mit dem man auftritt, grundlegend in Frage zu stellen und gemeinsam an neuen Ideen zu arbeiten. Die Lehrenden sollen dann selbst auch mitarbeiten und nicht nur als Fachmänner oder Fachfrauen das kommentieren, was die Studierenden machen. Das wird meistens in kleinen Teams, die selbstgestellte schöpferische Aufgaben lösen, erfolgen.

Muss man – gerade, was den technischen Bereich um Graphik, Video oder Photographie angeht – Vorkenntnisse mitbringen?
Das Handwerkszeug wird man sich dann im Studium aneignen, es gibt viele praktische Fächer, aber auch Kunstgeschichte und Kunsttheorie. Worauf es wirklich ankommt, ist, dass man eine gewisse Neigung zum Querdenken hat. Es ist weniger interessant, ob man schon am Anfang etwas zu liefern hat, das wie Kunst aussieht, sondern dass man etwas Überraschendes entwickelt. Es gibt da eine schöne Anekdote vom französischen Dichter Jean Cocteau, der mit dem russischen Ballettmeister Sergei Djagilew spazieren geht, und Cocteau fragt Djagilew, wie man ein guter Schriftsteller wird. Djagilew antwortet: „Versetzen Sie mich in Erstaunen!“ Es geht tatsächlich um dieses Erstaunen, und da muss man als Künstler auch ins Risiko gehen. Dinge hingegen, die ohne Risiko gemacht sind, weil man schon ganz genau weiß, was sie sind und was dabei rauskommt, sind für dieses Studium eher uninteressant.