Cronaca | Justiz
Die Chats des Chefstaatsanwalts
Foto: La Veritá
Es ist ein Vorwurf, den man Giancarlo Bramante und Luca Palamara machen muss.
Aus den jetzt veröffentlichten Chats zwischen dem leitenden Bozner Staatsanwalt und dem ehemaligen römischen Staatsanwalt gegen den wegen Korruption, Amtsmissbrauch und Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird, geht ein besonders schwerwiegender Tatbestand hervor:
Beide Vertreter der Anklage sind glühende Fans des Fußballclubs AS Roma.
Denn genau darum dreht sich ein Großteil der Nachrichten, die Giancarlo Bramante und Luca Palamara zwischen dem 14. Juli 2017 und dem 28. Mai 2019 über Whatsapp ausgetauscht haben.
Weil die Ermittler einen Trojaner in das Handy des mächtigen römischen Staatsanwaltes und Präsidenten der nationalen Richtervereinigung ANM eingebaut hatten, wurde die gesamte Kommunikation über Jahre hinweg aufgezeichnet. Die Mailänder Tageszeitung „La Veritá“ lebt seit Monaten von der Veröffentlichung dieser Abhörprotokolle. Jetzt hat die von Maurizo Belpietro geleitete Zeitung den Whatsapp-Verkehr zwischen Palamara und sechs leitenden Staatsanwälten veröffentlicht. Darunter auch jenen mit dem Bozner Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante.
Der Alto Adige und die Tageszeitung haben am Dienstag die Nachricht übernommen und ein klares Bild gezeichnet. Demnach habe Giancarlo Bramante über Luca Palmara gegen den langjährigen Bozner Chefstaatsanwalt Cuno Tarfusser intrigiert, der damals noch als Richter am internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag tätig war. „Ecco le Chat di Bramante a Palamara: Ho decapitato gli uomini di Tarfusser“, titelt der Alto Adige.
Es ist eine verkürzte und verzerrte Darstellung der Ermittlungsdokumente. Schaut man sich den gesamten Chatverkehr an, so kommt vor allem eines zum Vorschein: Wie seriös und korrekt Giancarlo Bramante sein Amt als leitender Staatsanwalt ausführt. Die Kommunikation mit Palamara macht zwar deutlich, welch tiefe Kluft seit Jahren innerhalb der Bozner Gerichtsbarkeit besteht, dennoch lässt sich Bramante in der gesamten abgehörten und sichergestellten Kommunikation kaum zu unbedachten Äußerungen hinreißen.
Der Chat macht eher deutlich, wie zurückhaltend der amtierende leitende Staatsanwalt ist. Selbst im erbitterten und harten Flügelkampf, der seit Jahren innerhalb der Bozner Gerichtsbarkeit tobt.
Der Konflikt
Es ist eine alte Geschichte, über die Salto.bz mehrmals berichtet hat. Begonnen hat der Konflikt, als Cuno Tarfusser nach neun Jahren an der Spitze der Bozner Staatsanwaltschaft als Richter an den internationalen Strafgerichtshof ICC nach Den Haag berufen wurde.
Cuno Tarfusser ist keiner, der gerne loslässt. Wenn er über die Gerichtspolizei spricht, sagt er auch heute noch „meine Buam“. Es ist eine eingeschworene Gemeinschaft im Gerichtspalast. Vor allem mit dem höheren Beamten der Gerichtspolizei, Mario Andreolli, besteht seit Jahren eine enge Freundschaft. „Jack“, wie ihn Tarfusser nennt, war jahrelang Tarfussers Chefermittler und rechte Hand. Als Tarfusser Oberstaatsanwalt wird, setzt er den allseits geschätzten damaligen Leiter der Carabinieri-Abteilung am Gericht ab. Neuer Amtsleiter wird damals Mario Andreolli. Der Carabiniere wird dieses Amt auch später unter Guido Rispoli und dem amtierenden Oberstaatsanwalt Giancarlo Bramante bekleiden.
Dem Tarfusser-Nachfolger Guido Rispoli wird das Nahverhältnis aber zu bunt. Er ersucht Tarfusser, seine Besuche und Kontakte am Gerichtspalast einzuschränken. Zu diesem Zeitpunkt ist die langjährige Freundschaft zwischen Tarfusser und Rispoli längst zerbrochen.
Die Zuspitzung
Der Streit spitzt sich dann mit dem Fall Durnwalder zu. Oberstaatsanwalt Guido Rispoli erhebt in der Causa Sonderfonds Anklage gegen den Altlandeshauptmann. Im Prozess tritt ausgerechnet Cuno Tarfusser für Durnwalder als Entlastungszeuge auf. Dieser Auftritt wirkt auf Guido Rispoli wie ein Dolchstoß. Als Cuno Tarfusser mit Luis Durnwalder in der Bar am Gerichtsplatz auf dessen Freispruch anstößt und Fotos davon auf Facebook und in den Zeitungen auftauchen, ist das Maß endgültig voll.
Mit dem Wechsel Rispolis als Oberstaatsanwalt nach Campobasso kommt es um den Posten des leitenden Bozner Staatsanwaltes zu einem Stellvertreter-Stechen. Giancarlo Bramante wird von Guido Rispoli unterstützt, Markus Mayr von Cuno Tarfusser. Am Ende macht Bramante das Rennen.
Wenig später kommt es aber auch hier zu einer brisanten Situation. Giancarlo Bramante leitet 2015 die Ermittlungen gegen die ehemalige hohe Landesbeamtin Katia Tenti und den Bauunternehmer Antonio Dalle Nogare. Katia Tenti ist privat eng mit Cuno Tarfusser befreundet. Im Prozess kommt schließlich ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Tarfusser und Tenti zur Sprache, in der letztere den ehemaligen Bozner Staatsanwalt offen ersucht, über seine Männer in der Staatsanwaltschaft für sie zu intervenieren.
Zio Alfonso
Bereits damals besteht der Verdacht, dass Katia Tenti von Beamten der Gerichtspolizei über die Abhörmaßnahmen gegen sie und ihren damaligen Partner Antonio Dalle Nogare informiert wurde. Als dann ein gemeinsames Mittagessen in der Bozner Pizzeria „Zio Alfonso“ zum Jahresende 2017 bekannt wird, zu dem Cuno Tarfusser „seine Buben“ aus dem Gericht eingeladen hat und bei dem auch Katia Tenti anwesend war, greift Giancarlo Bramante durch.
Er lässt drei Beamte aus der Staatsanwaltschaft versetzen. Darunter den langjährigen Leiter der Gerichtspolizei und Tarfussers rechte Hand Mario Andreolli. Gleichzeitig beginnt er gegen mehrere dieser Beamten eine Strafermittlung. Dabei geht es nicht nur um unerlaubte Nutzung der Dienstautos und Verletzung des Amtsgeheimnisses, sondern auch um die illegale Weitergabe von Daten aus den Datennetzen des Gerichts und der Polizei. Die Ermittlung ist noch nicht abgeschlossen; vor einigen Wochen wurde aber einer der in den Fall involvierten Carabinieri am Landesgericht Trient in einem abgetrennten Verfahrensstrang verurteilt.
Der Frontalangriff
Am 11. März 2018 endet offiziell Tarfussers Amtszeit am internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag. Cuno Tarfusser nutzt mehrere Zeitungsinterviews, um auf diese Vorgänge an der Bozner Staatsanwalt zu reagieren und seine Nachfolger frontal anzugreifen.
„Wenn ich an die Staatsanwaltschaft denke, so verspüre ich Bitterkeit. Deshalb halte ich mich, wenn ich in Bozen bin, davon so fern wie möglich“, sagt Cuno Tarfusser in einem langem Interview mit den Dolomiten. Der ICC-Richter weiter: „Ich habe mehr als nur den Eindruck, dass das Amt, das ich hinterlassen habe und das als Vorzeigemodell galt, Stein um Stein abgebaut wurde. Schade."
Gegenüber der Tageszeitung meint Tarfusser: „Am allerwichtigsten ist aber die Frage nach dem Arbeitsklima an der Staatsanwaltschaft. Wie viele Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft sind gegangen oder gegangen worden und warum‘? “
Diese Äußerungen sind ein Frontalangriff auf Giancarlo Bramante und seine Ermittlungen innerhalb der Gerichtspolizei.
„Articolo pazzesco“
Vor diesem Hintergrund wird auch der Chatverkehr zwischen Giancarlo Bramante und Luca Palamara verständlich.
Am Abend des 14. März 2017 schickt Giancarlo Bramante das Interview, das Cuno Tarfusser dem Alto Adige gegeben hat, an Palamara. „Ciao Luca, ich schicke dir den Artikel des Alto Adige zur Kenntnis“, schreibt der leitende Bozner Staatsanwalt dazu. Palamaras Antwort folgt sechs Minuten später: „Articolo pazzesco“. Der Vorsitzende der Richtervereinigung ANM fragt wenig später nach: „Sag mir, wenn wir etwas tun können“. Bramantes Antwort: „Ich würde gerne mit dir reden, wenn du etwas Zeit hast.“ Luca Palamara erklärt, dass er den Bozner Staatsanwalt am nächsten Tag anrufen wird.
Am 27. März 2017 übermittelt Bramante einen weiteren Alto Adige-Artikel an Palamara. Der Titel des Artikels: „Caso Ipes, Tenti chiese aiuto a Tarfusser. L’ex capo dipartimento dell’assessorato all’edilizia pubblica voleva informazioni sui carabinieri che la intercettavano“. Dazu ein Satz, mit dem der leitende Staatsanwalt seine Sicht der Dinge darlegt: „P.S. Vielleicht versteht man jetzt einige Interviews besser....“. Palamaras Antwort: „Ich würde sagen, ganz sicher“.
Dass Bramante den römischen Staatsanwalt mit diesen Nachrichten versorgt, hat einen einfachen institutionellen Hintergrund: Luca Palamara ist Mitglied der ersten Sektion des obersten Richterrates (CSM). Jener Sektion, die auch für Eingaben und Disziplinarmaßnahmen gegen Staatsanwälte zuständig ist.
Der Salto-Artikel
Anfang April 2018 veröffentlicht Salto.bz die Hintergründe des Mittagesessens in der Pizzeria „Zio Alfonso“. Am 15. April 2018 übermittelt Bramante eine italienische Übersetzung des Artikels an Palamara.
„Sag mir, was wir auf die Schnelle tun können?“, fragt das CSM-Mitglied nach. Giancarlo Bramantes Antwort: „Gute Frage....Das Probem ist die Kontrolle, die Tarfusser über die Staatsanwaltschaft ausüben will, nachdem ich ihm seine Männer innerhalb der Gerichtspolizei und in der Verwaltung ersetzt habe (im Original: "decapitato"). Deshalb versucht er jetzt, das Ganze über Mayr und Bisi fortzuführen“.
Gemeint sind Markus Mayr, inzwischen leitender Staatsanwalt am Oberlandesgericht und Axel Bisignano, inzwischen Stellvertreter Bramantes an der Bozner Staatsanwaltschaft. Beide werden zur "Seilschaft" von Cuno Tarfusser gezählt.
„Es gibt keine einfache Lösung“, schreibt der leitende Staatsanwalt weiter, „auch weil Tarfusser auf die Oberstaatsanwaltschaft Trient spitzt, sollte sie freiwerden“. Es ist eine Befürchtung, die in Bozner Gerichtskreisen lange anhält. Cuno Tarfusser hätte als Generalstaatsanwalt in Trient direkten Einfluss auch auf die Bozner Staatsanwaltschaft. Inzwischen ist Cuno Tarfusser als stellvertretender Generalstaatsanwalt in Mailand tätig.
Drei Tage später antwortet Luca Palamara: „Du musst wissen, dass ich, ganz gleich um was es geht, hinter dir stehe und das wenn nötig auch öffentlich“. Giancarlo Bramante bedankt sich.
Anfang Mai 2018 stehen zwei wichtige Personalentscheidungen an. Markus Mayr wird vom CSM zum leitenden Staatsanwalt am Oberlandesgericht ernannt und Axel Bisignano zum Stellvertreter von Giancarlo Bramante. Unmittelbar nach der Entscheidung informiert Palamara Bramante über die Beschlüsse.
Besonders gefährlich und umfangreich dürfte aber die Kommunikation aus dem Jahr 2019 sein. Denn Luca Palamara beruft Giancarlo Bramante in die Fußball-Nationalmannschaft der Richter. Der Bozner Staatsanwalt soll am 6. Mai an einem Freundschaftsspiel in Pristina im Kosovo teilnehmen. Bramante sagt anfänglich zu, muss dann aber wegen einer dienstlichen Verpflichtung absagen. „Beim nächsten Spiel bin ich aber dabei“, entschuldigt sich der Bozner Oberstaatsanwalt.
Dass das Spiel am Ende aber so dreckig wird, hätte sich wahrscheinlich niemand vorstellen können.
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Kompliment dem Journalisten
Kompliment dem Journalisten Christoph Franceschini ... dieser Artikel beweist einmal mehr, wo wir Südtiroler Qualitätsjournalismus zu lesen bekommen.
In risposta a Kompliment dem Journalisten di Renate.Holzeisen
Wir sprechen schon lange von
Wir sprechen schon lange von Qualitätsjournalismus, müssen wir auch von nun an von Qualitäts- Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit reden?
...nomine statali di
...nomine statali di magistrati versus nomine provinciali di magistrati?...
In risposta a ...nomine statali di di Hubert Frasnelli
hier sind es die richter
hier sind es die richter selbst, die ihre spitzen wählen, nicht die politik. es sind zwar grabenkämpfe zwischen den verschiedenen strömungen, aber immer innerhalb der von der politik unabhängigen richterschaft. ein entscheidender unterschied.
Christoph, grande giornalista
Christoph, grande giornalista