Ungetrübte "Kampfeslust"
Der Zehnte Bezirk Wiens. Mit mehr als 200.000 Einwohnern wäre dies Österreichs viertgrößte Stadt. Favoriten ist aber so etwas wie das Stiefkind der lebenswertesten Stadt der Welt. Jeder zweite Einwohner in der Arbeiterhochburg hat ausländische Wurzeln, in absoluten Zahlen ist es der Bezirk mit den höchsten Kriminalitätsraten. Und dreckig soll es sein. Warum die FPÖ gerade hier die finale Etappe ihres Wahlkampfes zelebriert? Ganz traditionsgemäß.
Am Viktor-Adler-Markt herrscht für gewöhnlich, auch ohne Kundgebungen, reges Treiben, genauso wie auf der angrenzenden nördlichen Favoritenstraße, einer beliebten Einkaufsmeile mitten im Zehnten Bezirk Wiens. Just hier wehen am Freitag, zwei Tage vor den Wahlen zum österreichischen Nationalrat, blaue Banner und rot-weiß-rote Fähnchen im lauen wienerischen Herbstwind. Tiefblaue Luftballons steigen gen gräulich bewölkten Himmel. Aus den Lautsprechern dröhnen laute Gitarrenklänge und aufmunternde, gar heitere Liedzeilen. „Schau nach vorn, verlier nie den Mut, denn es wird alles gut.“ Empört beschwert sich ein leicht angetrunkener Passant in blauem Shirt: „Gar kein Taktg'fühl ham’s!“
Unklar ist, ob er damit die Musiker auf der Bühne meint oder jene Herren, die in wenigen Augenblicken von oben herab zu einer noch beschaulichen Ansammlung an Menschen sprechen werden. Noch ist es kurz vor fünf, schon bald aber sollen hier die Schlachtpferde der Freiheitlichen Partei Österreichs die letzten Apelle an ihre Anhängerschaft richten. Dutzende Polizeikräfte sorgen für Sicherheit. An der Großleinwand im Hintergrund erscheint, inmitten dumpfer und ungeheuerlich lauter Musikklänge, das freundliche Lächeln Hofers in Überdimension. „Fair. Sozial. Heimattreu.“ der Slogan.
Doch ganz so viele Gründe zum Lachen hat die FPÖ zuletzt nicht. Wo gleich Dominik Nepp, Vizebürgermeister und Wiener FPÖ-Chef, den Reigen eröffnen soll, warb im nicht allzu fernen 2017 Heinz Christian Strache um die Gunst der Wählerschaft. Durch das Auftauchen eines während dieser Zeit entstandenen, höchst brisanten Videos, zog er nun im Mai seine Konsequenzen und trat als Vizekanzler zurück. Es folgte das Aus der türkis-blauen Koalitionsregierung, das zu diesen vorgezogenen Neuwahlen führte.
Es ist Tradition, dass eine Woche vor der Wahl von der linken Seite und diversen Medien eine Schmutzkübelkampagne über uns hereinbricht, Skandale erfunden werden und man probiert uns zu vernichten. (Dominik Nepp)
Und als wäre all dies nicht genug, gerieten nun Informationen an die Öffentlichkeit, wonach Ex-Parteichef Strache Privatausgaben als solche der Partei verrechnet und mit Scheinbelegen unterfüttert haben soll. „…im Kampf gegen die FPÖ ist offensichtlich alles erlaubt. Verleumdung und auch Rechtsbruch!“, wehrt sich Strache auf seiner Facebook-Seite und weißt die Anschuldigungen zurück. Die Partei prüft nun etwaige Unregelmäßigkeiten und will nächste Woche erste Ergebnisse präsentieren. Falls sich die Vorwürfe gegen den ehemaligen Vizekanzler bewahrheiten sollten, wolle man auch als Partei über Konsequenzen nachdenken. Im Raum steht ein Parteiausschluss Straches.
Nepp betitelt diese Skandale gleich im Beginn seiner Rede als erfunden, sieht ein Komplott gegen FPÖ-Politiker im Wahlkampf und warnt vor einem „Schwarz-Grünen One-Night-Stand“ sowie dem politischen Islam. Parteikollegin Dagmar Belakowitsch fährt auf derselben Schiene und beschwört die geleistete Arbeit der blauen Regierungsvertreter, allen voran jene Herbert Kickls. Viel Lobhudelei, überschaubare Inhalte.
Am Rande der Ansprachen, wo Metallabsperrungen den Menschenfluss in und durch das Festgelände regeln, unterhalten sich zwei ältere Herren. Einer trägt eine Brille und längeres, in der Mitte lichtes Haar. Gerhard ist pensioniert, lebt selbst im Zehnten. Er wartet auf seine Frau. Strache sei zwar dumm gewesen, meint er, aber das sei schließlich er als Person. Die Medien seien in erster Linie schuld, dass der Skandal derartige Wellen schlug. Er wird am Sonntag FPÖ wählen, obwohl er früher bei der SPÖ war. „Damals haben wir zum Beispiel noch für Frauenrechte gekämpft. Diese werden nun von Muslimen mit Füßen getreten.“ Inzwischen kommt seine Frau mit Werbegeschenken der FPÖ zurück. Der zweite der beiden Herren, Ernst sein Name, erläutert, eigentlich sei er neutral, doch die Freiheitlichen setzen sich für die direkte Demokratie ein. Das tauge ihm. Tatsächlich sind partizipatorische Zukunftsvisionen in den Ausführungen der Parteispitzen heute jedoch rar gesät.
Alte Netzwerke, die mächtigen Zirkel haben sich miteinander eingehängt. Und da haben wir gesehen was heraus kommt wenn sich die Grünen, ist gleich der Herr Bundespräsident, mit den Schwarzen, ist gleich der Herr Bundeskanzler, zusammenhängen. Dann gibt es einen Spitz für den besten Innenminister aller Zeiten. (Herbert Kickl)
„Wir sind eine große Familie, wir gehören zusammen, hier ist keiner allein“ hallt es derweil sinnbildlich aus den Boxen. Hinter der Bühne bereitet sich der ehemalige Innenminister Herbert Kickl für das Rednerpult vor. Ein Mann der, im Gegensatz zu Hofer, dem Böse-Buben-Image der Partei treu bleibt und vor keinen noch so umstrittenen Äußerungen zurückschreckt. Jener Mann, der von Sebastian Kurz als Minister kategorisch abgelehnt wird, sollte es zu einer neuerlichen Koalition aus ÖVP und FPÖ kommen. Laut Experten ein nicht unwahrscheinliches Szenario. Im selben Moment, da Kickl unter „Herbert-Herbert“-Rufen zum Podest schreitet, machen sich weibliche Demonstranten bemerkbar und werden prompt von Ordnungshütern entfernt.
Längst nicht bei allen weiblichen Anwesenden werden Protestrufe laut. Olga aus Tschechien ist in erster Linie der Musik wegen gekommen, sie finde aber Kickl ungemein witzig, wie sie lachend gesteht. Sie wisse zwar noch nicht, ob sie der FPÖ ihre Stimme schenke, hege aber klare Sympathien für die Blauen. „Die Grünen kann man ja nicht wählen, sonst kommen ja noch mehr Ausländer hierher.“ Dabei kam sie vor Jahren selbst aus Brünn nach Österreich und war froh, so gut aufgenommen worden zu sein, erzählt sie. Auch Susanna aus Polen ist seit mittlerweile 50 Jahren in Österreich, kann aber nicht wählen. Sie findet den Einbürgerungstest zu anspruchsvoll, würde aber FPÖ wählen, wenn sie könnte.
Glaubt man den Umfragen, wird die FPÖ - auch ohne Susannas Stimme - erneut drittstärkste Kraft hinter ÖVP und SPÖ. Allerdings muss man im Vergleich zur Nationalratswahl 2017 wohl mit einem Verlust von ca. 6 Prozentpunkten rechnen. Immerhin: Jeder fünfte Wähler wird den Freiheitlichen seine Stimme geben. Darunter das Gros der Versammelten. Wenngleich viele peinlich berührte und verärgerte Anwohner und Passanten lieber früher als später das Weite suchen. Spätestens aber, als der selbsternannte „beste Innenminister“ aller Zeiten, die Wortwahl seiner Mitstreiter Nepp und Belakowitsch fortführt und zum Rundumschlag ausholt. Die linken Medien und NGOs landen ebenso am Pranger wie Sozialisten, Christlich-Soziale und die katholische Kirche selbst – in Person von Kardinal Schönborn. Zwischen Dosenbier und Käsekrainer, Trachtengewändern und hysterischem Fangebrüll erreicht die Stimmung ihren vorläufigen Höhepunkt.
Wir brauchen eine ORF-Reform ,eine Abschaffung dieser unsäglichen GIS-Gebühren. (Dagmar Belakowitsch)
Die nachdrücklichen Worte Kickls zur illegalen Migration und Masseneinwanderung, zur fehlenden Integration und Gefährlichkeit zugezogener Menschen erreichen auch die verzweigtesten Gassen des Marktgeländes. Es zeichnet sich ein skurriles Bild des hinter Gemüse-, Obst- und Feinkostboxen arbeitenden, zugezogenen Standbetreibers, während kaum 100 Meter entfernt hunderte Parteianhänger einer offen ausländerfeindlichen Partei ausgelassen feiern und unentwegt düstere Gesellschaftsaussichten zeichnen.
Während die FPÖ die Migrationsfrage nach wie vor zentral sieht, war das dominierende Thema dieses Wahlkampfes anderorts – wenig überraschend – der Klimawandel. So zumindest bei fünf der sechs wichtigsten Parteien. Bei der FPÖ stößt man bei Umwelt- und Klimafragen – ebenfalls wenig überraschend – auf Unmut und Widerstand. „Freiheitliche for Future“ anstelle der lästigen Schülerbewegung kündigt Kickl an, verurteilt sogleich die Staubildungen und Müllberge in der Stadt. Von „Zöpferl-Diktatur“ und drohendem „Klima-Kriegsrecht“ war am Vorabend im TV-Duell die Rede. So offen negiert, wie einst unter Strache, wird der menschengemachte Klimawandel nicht mehr. Hofer sei sogar selbst überzeugter Umweltschützer, habe eine Photovoltaik-Anlage und verzichte auf Fleisch, verriet er zuvor. Es herrsche aber eine Hysterie.
Kickls abschließende Worte eines „Mordanschlages auf die FPÖ“ werden frenetisch umjubelt und bejaht. Mancher brauche eben „einen Schlag aufs Hosentürerl“. Dies der Schlusspunkt Kickls, Bühne frei für Hofer. Bevor aber der von Fieber und Krankheit gebeutelte Parteichef seine fast lieblich anmutenden Worte an die Basis richtet, ertönt noch die Hymne aller FPÖ-Patrioten; „Immer wieder Österreich.“
Heute war ja die große Demonstration der jungen Leute, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Und ich möchte schon eines sagen: Das ist alles in Ordnung. Man muss sich schon für die Zukunft einsetzen. Aber bitte tut‘s nicht so, als hätten unsere Eltern und Großeltern alles falsch gemacht. Denn wenn diese Generation nicht auf das Land g’schaut hätte, dann würde es heute gar keine Demonstrationen in Österreich geben.
Es folgt eine Aufzählung der Auswüchse der Konkurrenten und Widersacher. Hofers wenig kräftige Stimme erscheint im Vergleich zu der seiner Mitstreiter bedachter, einfühlsamer. Die Inhalte ändern sich jedoch nur bedingt. Was schon seine Vorredner lauthals predigen, thematisiert auch Hofer: in erster Linie die Angst vor politischer Islamisierung und den Grünen. Nicht fehlen darf auch Selbstlob für die bisherige Regierungsarbeit. „Es gibt aber noch viel zu tun,“ meint ein sichtlich ermüdeter Spitzenkandidat und bringt sich und seine Partei als Regierungspartner ins Spiel. Im ORF war er tags zuvor noch darauf bedacht zu betonen, dass hinter jedem Politiker ein Mensch stehe. Dennoch sind unzählige persönliche Attacken und Anschuldigungen auf das Konto der FPÖ zu verbuchen.
Inzwischen wird es bereits dunkel. Auf dem Viktor-Adler-Markt schließen die letzten Verkaufsstände. Hofer beendet seinen Vortrag mit einem Dank an die FPÖ-Anhängerschaft. Gemeinsam mit Nepp, Belakowitsch und Kickl stimmt er, jeder von ihnen eine Rot-Weiß-Rote Fahne haltend, die österreichische Nationalhymne an. Es soll der Abschluss eines euphorischen Abschlusses sein. Vor dem Eingang zur nahegelegenen U-Bahn-Station, keineswegs abseits des blauen Schaulaufs, halten Jugendliche zwei Transparente hoch – „Die FPÖ hat den Tierschutz verraten." Ein Wiener Schnitzel lässt man sich schließlich nicht verbieten, wird sich so mancher denken.
Ein herrlich amüsanter
Ein herrlich amüsanter Beitrag über Wien-Favoriten, FPÖ und deren Wähler sowie politische Kultur allgemein im 2 Jahrzehnt des 21 Jahrhunderts.