Ambiente | Gastbeitrag

Die ewige Ruhe und ihr Rest

Auf unseren Friedhöfen geht es um Erinnerung, Trost und Tradition. Doch Kerzen, Blumen und Gestecke verursachen auch jede Menge Müll. Ein Blick auf das, was bleibt – und besser verschwinden sollte.
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Foto: Zebra
  • Zusammenarbeit mit „Zebra“

    SALTO veröffentlicht die lesenswertesten Artikel aus der Straßenzeitung „Zebra“.

  • Schnittblumen in Folie, Steckschwämme aus Schaumstoff, Styropor, unzählige rote und helle Kerzenhüllen aus Plastik, Latexhandschuhe, Plastikblumen: Ein Blick in eine der großen Restmülltonnen am Friedhofsgelände in Sterzing. Ein paar Meter weiter stochert ein junger Mann im Grünschnitt-Container. Patrick Wild, der Friedhofsgärtner, fischt einen verwelkten Blumenkranz heraus und beginnt damit, diesen vom Wickeldraht zu befreien. Er sagt: „Die beiden großen Tonnen da drüben werden jeden Montag geleert!“ Wenn diese voll sind, was laut Wild meistens so ist, dann entspricht das einem Volumen von über tausend Litern. Pro Woche. 

     

    Würde er nicht täglich den Grünschnitt von Styropor, Steckschwämmen, Draht befreien, dann müsste auch dieser als Restmüll entsorgt werden.



    An Allerheiligen kämen dann noch ein paar prall gefüllte Müllsäcke dazu, so der Gärtner. Und würde der beherzte Mann nicht
    täglich den Grünschnitt nach Möglichkeit von Styropor, Steckschwämmen, Draht und alldem befreien, das nicht in die Tonne gehört, dann müsste auch dieser als Restmüll entsorgt werden. So wie in Brixen, wo Carmen Schenk vom Friedhofsamt die Lage schildert: „Eine große Errungenschaft wäre für uns schon die saubere Mülltrennung, denn wenn der Grad der Verunreinigung einen bestimmten Prozentsatz überschreitet, können Wertstoffcontainer und Grünschnitt nicht mehr recycelt werden und das ist dann auch mit erheblichen Kosten verbunden.“

    In Brixen, wo der Friedhof von der Gemeinde verwaltet wird, ist man bemüht, die Situation zu verbessern. Man setzt vor allem auf Hinweistafeln und seit kurzem auch auf Freiwillige, die am Friedhof unterwegs sind: „Sie sollen nicht mahnen oder gar Fehlverhalten ahnden, sondern den Menschen dabei helfen, sich an die Regeln zu halten“, erklärt Schenk.

  • Das Innere der Mülltonnen an nahezu jedem Friedhof zeigt eindrücklich, dass Grabkerzen einen großen Teil des Abfalls auf Friedhöfen ausmachen: Plastikhüllen, Aluminiumdeckel, Reste von Paraffinwachsen – problematische Derivate aus der Erdölindustrie oder klimaschädliches Palmöl. Manche Familien stellen gleich mehrere Lichter auf ein Grab und lassen diese niemals ausgehen. Ein liebevoller symbolischer Akt, aber ökologisch fatal.

    „Wir merken allerdings, dass das Bewusstsein langsam wächst“, sagt Andreas Lutz, ein Großhändler für nachhaltige Kerzen
    aus Nordtirol, „immer mehr Menschen und Pfarreien fragen gezielt nach ökolo-gischen Alternativen.“ Sein Unternehmen
    beliefert sogar den Wiener Stephansdom.

     

    Ein liebevoller symbolischer Akt, aber ökologisch fatal.



    Und auch in Südtirol probiert man neue Wege: Mancherorts finden sich mittlerweile Automaten mit Kerzen aus pflanzlichen Ölen oder in Papierhüllen. Auch Kerzen in wiederverwendbaren Glasbehältern sind erhältlich. Die Alternativen sind allerdings deutlich teurer als die Grabkerze aus dem Supermarkt. „Aber wenn schon Kerzen in Plastik, dann bitte jene in roten Hüllen, denn sie werden im Gegensatz zu den transparenten Behältern aus recyceltem Kunststoff hergestellt“, gibt der Kerzen- händler mit auf den Weg. 

    Besonders heikel sind auch die mittlerweile gängigen Elektrokerzen. Meist in Asien billig produziert, sind ihre Batterien oft nicht einmal austauschbar. „Diese machen uns große Probleme!“, bestätigt Carmen Schenk, „Wir brauchen dafür jetzt eigene Container, denn diese Kerzen sind genaugenommen Elektroschrott.“ 

    Ebenfalls von weit her und unter ökologisch und sozial problematischen Umständen pro- duziert, kommen Kunststoffblumen und
    zahlreiche, auch aus Naturmaterialien hergestellte, Dekoartikel, die bei der Fertigung von Gestecken und Bouquets verwendet werden und nach nur kurzer Zeit im Müll landen.

  • Die Verschmutzung sitzt tief

    Ein weiterer Aspekt, den die Mitarbeiterin im Brixner Friedhofsamt zu bedenken gibt, ist die Entsorgung der Erde bei Grabauflassungen. Besonders Särge aber auch die Verstorbenen selbst waren durch die Art der Bestattung in der Vergangenheit mit Schadstoffen belastet. Steckschwämme lösen sich in kurzer Zeit in Abermillionen Mikroplastikpartikel auf, die im Erdreich verschwinden und weitere Stoffe verunreinigen den Boden so stark, dass die Erde, die bei einer Grabsanierung anfällt, als Sondermüll entsorgt werden muss. In Brixen betrifft das jährlich zwischen 30 und 35 Gräber, die Kosten für die Entsorgung belaufen sich auf über 20.000 Euro im Jahr. 

     

    Das Thema Friedhofsmüll scheint nicht nur mit viel Unwissen, sondern auch mit Tabus behaftet zu sein.

     

    Streng sind die gesetzlichen Regelungen, besonders aus dem Bereich des Gewässerschutzes, die jene Teile des Friedhofs betreffen, die unter der Erde liegen: Der Unterbau neuer Friedhofsgelände ist klar geregelt, Särge dürfen heutzutage keine schädlichen Lacke mehr enthalten, die Verstorbenen nicht mehr mit Formaldehyd oder anderen Chemikalien behandelt werden.

    Eine Erleichterung aus umwelttechnischer Sicht bringen Feuerbestattungen mit sich. Sie sind zwar mit einem einmaligen, enormen Energieaufwand verbunden, belasten dafür aber den Boden weniger. Und weil sich immer mehr, besonders junge, Menschen für eine platz- und kostensparendere Urnennische entscheiden, wird hier künftig weniger Müll anfallen
    als bei klassischen Gräbern.

  • Anmerkung der Autorin

    Die Recherche zu diesem Text hat mich nicht nur einmal in ungläubiges Staunen versetzt. Und Manchmal war auch ein Hauch Entsetzen dabei. 

    Fazit: Friedhöfe, so wie wir sie hierzulande kennen und wie wir sie unserer Tradition entsprechend praktizieren, verursachen ein riesiges Müllproblem. Über das jedoch kaum gesprochen wird. Jedenfalls nicht offen.

    Das Thema Friedhofsmüll scheint nicht nur mit viel Unwissen, sondern auch mit Tabus behaftet zu sein. So als wolle und könne man den Hinterbliebenen und Trauernden, die das Andenken ihrer Verstorbenen gestalten, die problematische Seite ihrer Grabpflege nicht zumuten. 

    Auch Anfragen bei der Diözese und bei kirchlichen Verbänden haben diesen Eindruck verstärkt. Gemeinsame landesweite Leitlinien oder Empfehlungen für Grabpflege gibt es nicht. Genauso wenig wie konkrete Initiativen zur Informationsvermittlung oder Sensibilisierung für die Pfarreien und die Bevölkerung. Dabei wäre ein grüner Friedhof möglich und ganz im Sinne der Bewahrung der Schöpfung. Eine würdevolle Erinnerung an jene, die uns vorausgegangen sind, muss doch vereinbar sein mit der Bewahrung einer intakten Umwelt für die, die nach uns kommen. Oder?