Die gerichtete Welt
Und es war
die Stadt eine Stadt,
und das Dorf war ein Dorf.
Und die Häuser waren nichts als Häuser,
noch von keinem Unheil verschattet.
Auf den Plätzen war Platz,
sonst nichts.
Zi Kirchn isch Kirchn giwessn,
in der Schule Schule,
sonst nichts.
Und ratlos
versorgte der Pfarrer
einen Haufen verschiedener Seelen.
Weihnachten war nur zu Weihnachten,
und Ostern fiel immer auf Ostern.
Und zwischen den Festen
war die nüchterne Zeit
und die gewesene überall sichtbar.
Und wir waren
die erste bevorzugte Generation.
Aufgewachsen zwar noch
in Mangel und mancherlei Mühsal,
aber
die Wege waren schon aufgetan
in eine selbstverständliche Welt
ohne Aufputz und Dekoration.
Schuldlos waren die Dinge.
Sie gehörten dem Leben
und hielten Zukunft bereit.
Und jeder lernte die Arbeit,
die durch Zufall ihm zufiel.
Zu wählen war nicht.
Aber
ein jeder wurde gebraucht.
Der Lehrling zahlte
dem Lehrmeister Lehrgeld
und wärmte sein Essen
auf dem Kanonenofen der Werkstatt.
Und et zi grantich,
so wurde gegrüßt,
wer bei der Arbeit war.
Umuiß, diese unmäßige Eile,
ward gar nicht gerne gesehen.
Jedem wurde geraten,
fortlmäßig zu arbeiten,
sonst sei das alles zu schwer,
sischt tusche fi zi hort.
Martha Lanz, geboren am 16. Dezember 1941, in Toblach. Volksschule in Toblach, Mittelschule und Oberschule in Meran, Promotion in Padua (Materie letterarie), Unterrichtstätigkeit in Welsberg. Wohnt in Welsberg.
Publikationen:
Der Tage Zahl, mit Zeichnungen von Luzia Brunner, St. Michael (A), 1984.
Randnotizen, Klagenfurt, 1990.
Gezeitigte Fußnoten, Egelsbach, Frankfurt a. M., München, New York, 2001.
Frühere Wasser, Ein Aufwachsen in Absätzen, Edition Raetia, Bozen, 2008.
Und es hieß:
Was ist, wird genommen,
es wird alles versponnen.
Die Widersprüche der Wirklichkeit
wurden nirgendwohin verbannt
und auch nicht krampfhaft versöhnt.
Die Gegenwart schreibt uns
nichts Wesentliches mehr ein.
Vergangene Gegenwarten
halten alles besetzt.
Die Lektion der Abschiede gelernt,
aber noch nicht verstanden.
Und getröstet sieht niemand aus.
Noch war nicht alles
nur Mitte und Mittelmaß.
Und es war kein Makel,
die Mitte zu verlassen.
Eingemeindung
in den Schoß gesicherter Cliquen
war nicht lebensnotwendig.
Martha Lanz, Die gerichtete Welt, Provinz Verlag 2014, Umschlagfoto: Conrad Plieger, 80 Seiten, Lyrik, Euro 15.- im Verkauf,
ISBN 978-88-88118-94-9