Schreiende Stille
Roberta Segata hat miterlebt, wie im Oktober 2018 der Wind den Wald aus ihrem Tal fegte. Am darauffolgenden Tag der Naturkatastrophe machte sie sich mit der Kamera auf, „um nachzusehen, was mit den Wäldern passiert war. Die Bäume waren ja noch nicht tot, sie quälten sich noch, und ich konnte zuhören, was mir der Wald – in diesem Nichts, in diesem Alles – noch zu erzählen hatte.“
Am "Sterbebett des Waldes" begann die frühere Tänzerin und mittlerweile als Fotografin tätige Künstlerin, die zerstörten Wälder ihrer Umgebung bildhaft einzufangen.
Ich spürte eine „schreiende Stille“ erzählt Roberta Segata beim Salto-Rundgang durch ihre (Nicht-)Ausstellung We are her im fotoforum, die gestern in Bozen eröffnet wurde und bis zum 22.2.2020 zugänglich bleibt.
„Je mehr ich für mein Projekt durch die Wälder streifte, verspürte ich das Bedürfnis mit anderen Menschen über diese Geschichte zu sprechen“ erinnert sie sich, während sie auf zwei vertikale Bildschirme zeigt, auf denen verschiedene Menschen aus ihrem Tal auf- und untertauchen und über die Zerstörung des Waldes berichten. Die Künstlerin erfragte von ihnen Erklärungen, erhielt aber auf viele Fragen keine Antworten – the answer, my friend, is blowin' in the wind.
„Das was da passiert ist, erlebt auch ein globales Echo...“ spricht es aus Roberta Segata, wenn sie in klimaktivistischen Nebensätzen an die Brände in Australien und Brasilien, oder an das Hochwasser in Venedig erinnert. Nach einer kurzen gedanklichen Weltreise kehrt sie wieder in ihr Tal zurück und prophezeit: „Vaia war sicherlich ein außergewöhnliches Geschehnis, aber solche Geschehnisse können in Zukunft immer häufiger vorkommen.“
Ob Baumkollektiv oder Einzelschicksal: Roberta Segata lässt die verwüstete Natur bildhaft zu Wort kommen. Ihre ästhetisch anspruchsvollen Bilder – die manchmal an Malerei erinnern mögen – zeigen eine kahle Schönheit der Zerstörung.
In einem Video zeigt die Künstlerin die Langsamkeit des "waldigen Wiederaufbaus", in einer verspielten Installation können Besucherinnen und Besucher Baumbilder hingegen autonom am Wald weiterdrehen oder im Stillstand der schrägen Bäume verharren.
„Die Natur ist nicht tot. Sie hat bereits nach dem Sturm begonnen neu zu leben.“ lautet das optimistische Credo der Künstlerin. Ihre Beobachtungen leben vom Ende, im Neuanfang.