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Persona Non Grata

2017 erzählte die ehemalige Skirennläuferin Nicola Werdenigg dem STANDARD von jahrelangem sexuellem Missbrauch in Skiheimen des ÖSV. Ein Film rollt die Ereignisse auf.
Persona non Grata
Foto: Filmladen
  • Am 20.11.2017 veröffentlichte die österreichische Tageszeitung DER STANDARD einen Bericht, der der ehemaligen Skirennläuferin Nicola Werdenigg das Wort überließ. Ausführlich erzählte sie, die schon mit 22 Jahren ihre Karriere beendete, von Machtmissbrauch von Seiten der Trainer, sexuellen Übergriffen bis hin zur Vergewaltigung, und Videos, die ungeniert gefilmt wurden. Der Artikel war ein großer Skandal innerhalb der österreichischen Sportszene, insbesondere aber im Skisport. Der Österreichische Skiverband, kurz ÖSV tat sich lange Zeit schwer, Werdeniggs Vorwürfe ernst zu nehmen, drohte sogar mit einer Klage, sollte sie keine konkreten Namen nennen. Inzwischen betont der Verband, bemüht darum zu sein, jegliche Missbrauchsfälle präventiv zu bekämpfen. Unter anderem hilft dabei die vom Nationalrat beschlossene Vertrauensstelle „Vera“, die sich mit Übergriffen in Sport und Kultur beschäftigt. Die Bewegung #MeToo aus den Vereinigten Staaten begann etwa im selben Moment wie Werdenigg selbst mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit trat.

  • Ein Film, der erinnert

    Der Filmemacher Antonin Svoboda rollt die Geschichte nun neu auf. Er hat einen Film geschrieben und inszeniert, der wenige Wochen vor dem besagten STANDARD-Artikel einsetzt. Nicola heißt hier Andrea, ansonsten orientiert sich das Drehbuch aber klar an Werdeniggs Geschichte. Andreas Mann ist verstorben, zurückbleibt sie und ihre Tochter. Das Verhältnis zur Familie ist aber schwierig, und Andrea zieht sich in ihre Wohnung in Wien zurück. Als ein Nachbar sie übergriffig berührt, wird ein altes Trauma geweckt. Denn Andrea wurde im Skiheim, also ab einem Alter von 12 Jahren, sexuell missbraucht. Sie wurde vergewaltigt und hat den tiefgreifenden Machtmissbrauch von Trainern, Betreuern und anderen Schülern direkt miterlebt. Die Details sind erschreckend und werden im Film thematisiert, wirklich greifbar werden sie aber erst durch die Lektüre des originalen STANDARD-Berichts. 
     

    Die Geschichte hätte einen besseren Film verdient. An seiner Dringlichkeit ändert das aber nichts. 


    Ihre Geschichte hat Andrea niemanden erzählt. Die Scham war zu groß, ebenso die Macht des scheinbar unantastbaren Skiverbands. Nicht einmal ihre Familie, eine Skifahrerdynastie, weiß davon. Oder tut sie es doch? Weiß man intern davon, doch verschweigt die großen, strukturellen Probleme? Will man den Opfern nicht zuhören, um den eigenen Ruf zu wahren? Andrea wird sich dazu durchringen, die Presse zu kontaktieren. Bis dahin ist es aber ein weiter Weg. Ein Hadern, ein Zaudern, schlicht: Angst haben vor dem, was dann geschieht. Denn geglaubt wird den Opfern nur, wenn es der Öffentlichkeit passt. Und wird es dem Ski-verliebten Österreich passen? Ein Blick in die Kommentarspalte des STANDARD, oder in die Foren des Internets zeigt: Vor allem kurz nach Veröffentlichung des Artikels gab es neben einiger Solidarität auch sehr viel Ablehnung, Diffamierung, Beleidigung. 40 Jahre hat die damit gewartet? Dann muss es ja gelogen sein.
    Persona Non Grata endet kurz nach Veröffentlichung des Artikels. Dem Film kommt deshalb in erster Linie die Rolle einer Erinnerung zu. Erinnern, was damals, 2017, viele Jahre zuvor, und möglicherweise auch heute noch innerhalb der Ski-Szene geschieht. Damit endet die Funktion des Films aber bereits.

  • Foto: Filmladen
  • Eine Sache des Dramas

    Abgesehen von der filmischen Darstellung der Ereignisse kann Persona Non Grata leider nicht mit Mehrwert aufwarten. Die Figur der Andrea lernen wir in diesen neunzig Minuten kaum kennen. Sie wird von Gerti Drassl (nur eine Südtirolerin von vielen in diesem Film) zwar überzeugend gespielt, versteckt sich aber hinter einem Berg an starren Blicken, Schreikrämpfen und unausgesprochenen Gedanken. Die Figur bekommt keinen Raum zu atmen. Sie scheint nur aus Vergangenheit, aus Trauma zu bestehen. Eine filmische Dramatisierung (auf die am Anfang des Films hingewiesen wird) in allen Ehren, doch das beißt sich sehr mit der Darstellung der echten Andrea, Nicola Werdenigg, die im STANDARD schreibt, dass sie die Ereignisse verarbeitet habe, dass es abgeschlossen sei. Davon ist im Film nichts zu sehen, im Gegenteil. Andrea befindet sich im Auge des Sturms. Sich bewusst dafür zu entscheiden, sich von der Realität zu entfernen, ist ein legitimer Ansatz. Leider legt das Drehbuch Gerti Drassl ein ums andere Mal Sätze in den Mund, die zu konstruiert, zu cool, zu abgeklärt klingen. Der Film kann sich nicht entscheiden, ob er authentisch, oder dramatisch sein möchte. Den Menschen hinter der Geschichte lernen wir durch den Bericht des STANDARD in kürzerer Zeit besser kennen.

  • Südtirol ist Tirol

    Der Film wurde zu großen Teilen in Südtirol gedreht, mit viel Südtiroler Beteiligung. Neben der Hauptdarstellerin sind etwa Krista Posch, Peter Schorn, Jasmin Mairhofer, Erich Meraner oder Peter Mitterrutzner zu sehen. Als Schauplatz in Wien spielt unter anderem eine Wohnung eine Rolle, die vor allem studentisches Publikum aus Südtirol kennen werden. Dass so viel in Südtirol, und nicht in Tirol gedreht wurde, wo Teile der Handlung eigentlich spielen, liegt laut dem STANDARD an der mangelnden Bereitschaft des Bundeslandes, das Projekt zu fördern. Stattdessen ging man nach Südtirol, wo Persona Non Grata von der IDM unterstützt wurde. Herausgekommen ist am Ende ein wichtiger Film. Einer, der leider nie nicht nötig sein wird. Einer, der uns erinnert, und diese Funktion gut erfüllt. Aus künstlerischer Sicht steht Persona Non Grata aber zwischen den Stühlen. Das ist schade. Die Geschichte hätte einen besseren Film verdient. An seiner Dringlichkeit ändert das aber nichts. 

  • (c) Filmladen