Economia | Brennercom

"Das ist verfassungswidrig"

Streit um Brennercom gelöst, meldet Retter Karl Zeller aus Rom. Und was sagen Geschäftsführer Karl Manfredi und seine Anwälte?

Herr Manfredi, ist die Schlacht um die Brennercom nun endgültig verloren?
Karl Manfredi: Ich kann dazu noch nicht viel sagen, außer dass wir die Sache selbstverständlich an unsere Anwälte weitergeleitet haben. Und von dort lautet die erste Reaktion: Eine solche Gesetzesänderung ist eindeutig verfassungswidrig.

Obwohl sie der Verfassungsrechtler Zeller geschrieben hat?
Ich bin kein Jurist, aber es ist recht offensichtlich, dass man hier mit einer Gesetzesänderung in ein laufendes Gerichtsverfahren eingreift. Es gab schließlich diese Woche bereits eine Anhörung, weitere folgen am Freitag und am Montag, und das Hauptverfahren ist für November und Dezember angesetzt. Wie gesagt, unsere Anwälte sagen: eindeutig verfassungswidrig.

Das heißt der Rechtsstreit zwischen Land und Brennercom ist nicht beendet, sondern wird noch ausgeweitet?
Es gibt eben nun noch eine Facette mehr. Dabei habe ich in diesen Wochen immer wieder signalisiert, dass wir für Lösungen offen sind, und werde das nun auch vor Gericht noch einmal tun. Wir sind bereit, über das Glasfasernetz zu sprechen, wir können dem Land bei Bedarf Leute mit Know How zur Verfügung stellen, wir sind für alles offen. Brennercom besteht mittlerweile aus sechs Einzelgesellschaften. Wir arbeiten in Mailand, Rom, Catania, München, Innsbruck und außerhalb Europa. Da muss einfach eine Lösung gefunden werden, weil man sonst die Gesellschaft schädigt.

Derzeit finden außerhalb des Gerichts keine Verhandlungen mit den öffentlichen Aktionären statt? 
Leider nein. Wir würden uns das auch wünschen, aber es gab bisher keinerlei Kontaktaufnahme.

Wie beurteilen Sie den bisherigen Verlauf des gerichtlichen Verfahrens? Auch dort wurde im Zusammenhang mit der Eilverfügung von Richterin Ulrike Ceresara bereits von einer "Watschn für Ebner"geschrieben. Schaut es also auch vor Gericht schlecht aus?
Ich bin wie gesagt kein Jurist, doch ich erlebe Gerichtpräsidentin Ceresara als eine sehr gewissenhafte und sehr genaue Person. Sie hat nur einfach signalisiert: Gebt vorerst alle eine Ruhe, ich muss mir erst einmal alles genau anschauen. Deshalb haben wir nun auch noch einmal breiten Raum erhalten, unser Position darzulegen, was ursprünglich nicht vorgesehen war. Ich erlebe das Gericht als sehr souverän und habe großes Vertrauen, weil die Präsidentin dafür bekannt ist, dass sie sich die Dinge genau anschaut.

Das heißt, bis zum Hauptverfahren im Herbst ist für Sie noch überhaupt nichts entschieden? 
Man kann sicher erst dann abschätzen, wie es weitergeht. In der Zwischenzeit es für uns wichtig, dass wir die Gesellschaft operativ weiterbringen. Denn Unsicherheit ist immer schlecht für ein Unternehmen, erst recht in Krisenzeiten. Auch bei den Mitarbeitern sind nun große Ängste da. Deswegen hoffe ich, mit möglichst viel Ruhe weiterarbeiten zu können.

 

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Rupert Gamper Mer, 07/29/2015 - 11:57

Moment mal, wie jetzt? Ich versteh das nicht mehr. Manfredi hatte doch zusammen mit Willeit bei der anlässlich der "Enteignung" einberufenen Pressekonferenz Krokodilstränen verdrückt und verlauten lassen, man sei in höchster Not, um persönliche Haftung zu vermeiden, leider leider leider gezwungen gewesen, das Staatsgesetz anzuwenden. Jetzt hat der Staat höchstselbst mitgeteilt, dass das von ihm erlassene Gesetz hier gefälligst nicht angewendet werden soll/darf, also könnte Manfredi sich doch zurücklehnen, Tee trinken und die Sache als im Guten gelöst betrachten.

Nunja, jetzt lässt er halt öffentlich die Hosen runter und straft sich selbst Lügen. Schon bemerkenswert diese Selbstdemontage.

Mer, 07/29/2015 - 11:57 Collegamento permanente
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Rupert Gamper Mer, 07/29/2015 - 13:12

In risposta a di Rupert Gamper

Hachja, die mit Sicherheit hochneutrale Berichterstattung zum Thema aus dem Hause Athesia lässt noch auf sich warten. Die stol-Redaktion wartet wohl lieber die Ordre von ganz oben ab. Eine selbstredend völlig objektive Meldung à la "Verwaltungsratsbeschluss war rechtmäßig" (Dolomiten-Schlagzeile aus der Erinnerung zitiert) darf wohl noch erwartet werden. Ein Wind- oder Heidegger oder gar ein "krah" für die Dolomiten-Titelseitenglosse rechts unten dürfte sich ebenfalls auftreiben lassen. Kasperltheater.

Mer, 07/29/2015 - 13:12 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Mer, 07/29/2015 - 12:00

Um beides, das ist das Problem. Diese "leggi di interpretazione autentica", also neue Gesetze die die "richtige" bzw. "authentische" (im Sinne des (neuen???) Gesetzgebers?) Interpretation eines alten Gesetzes vorschreiben, haben schon immer ihre Probleme mit sich gebracht. De facto handelt es sich um eine Rückwirkende Änderung eines bestehendes Gesetzes die nicht immer verfassungskonform ist. Auch wenn das Verbot rückwirkender Gesetze in der Verfassung explizit nur für das Strafrecht gilt, können solche Gesetze gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Angemessenheit verstoßen, überhaupt wenn, wie im diesem Fall, laufende Verfahren davon betroffen sind.

Mer, 07/29/2015 - 12:00 Collegamento permanente
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gorgias Mer, 07/29/2015 - 14:40

In risposta a di Mensch Ärgerdi…

Nein das ist nicht der Fall. Gesetze müssen ausgelegt werden, diese können sowohl von einem Gericht als auch vom Gesetzgeber selbst interpretiert werden. Recht ist keine axiomatische mathematisierte Ingenieurwissenschaft, deswegen ist auch keine 100% Rechtssicherheit gegeben. Sie zb USA bei Obamacare. Hier mußte auch das Verfassungsgericht klären was an einer Stelle unter "state" gemeint war. Eine authentische Interpretation wäre grundsätzlich auch möglich gewesen.

Mer, 07/29/2015 - 14:40 Collegamento permanente
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gorgias Mer, 07/29/2015 - 20:53

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Ja das ist eine Interpretation eines Gesetzes von Seiten des Gesetzgebers. Dieses darf natürlich nur klärend sein, sonst kann es vom Verfassungsgericht als ungültig erklärt werden. Wo ist im Konkreten Fall das Problem was im Fall brennercom passiert ist
?

In considering the health-care law, the justices were asked to interpret a passage that said the tax credits are authorized for those who buy insurance on marketplaces that are “established by the state.”

http://www.washingtonpost.com/politics/courts_law/obamacare-survives-su…

Hier hätte man auch den Gesetzgeber fragen können was unter "state" gemeint sei.

Mer, 07/29/2015 - 20:53 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Mer, 07/29/2015 - 23:36

In risposta a di gorgias

Nein es handelt sich nicht nur um eine einfache Interpretation sondern um ein Gesetz welches die richtige Interpretation eines vorherigen Gesetzes vorschreibt.
Das konkrete Problem beim Fall Brennercom liegt darin, dass auf der Basis des ersten Gesetzes schon ein Prozess angelaufenen ist welcher durch das Verabschieden des neuen Gesetzes welches die Interpretation des ersten Gesetzes vorschreibt die Kläger benachteiligt. Außer dem Prinzip der Angemessenheit verstößt so ein Handeln gegen das noch grundlegendere Prinzip der Gewaltenteilung.
Noch eine Frage, was kümmern uns Artikel über den obersten amerikanischen Gerichtshof? Wir leben hier in Italien, schauen wir bitte auf unser Rechtssystem und unsere Rechtssprechung.

Mer, 07/29/2015 - 23:36 Collegamento permanente
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gorgias Gio, 07/30/2015 - 07:48

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Das Beispiel in Amerika sollte uns soweit kümmern dass es aufzeigt dass authentische Interpretationen gängige Praxis in modernen Rechtsstaaten sind. Authentische Interpretationen können für Laien als Gesetzesänderungen erscheinen, sind es aber nicht da sie etwas neues einfügen das altem widerspricht, es dient dazu zu klären und präzisieren und ist ein legitimes Mittel um die Absicht des Gesetzgebers zu verdeutlichen.

Gio, 07/30/2015 - 07:48 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Gio, 07/30/2015 - 10:55

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Es zweifelt ja keiner daran das authentische Interpretationen gängige Praxis sind, sondern daran ob die art und weise wie sie im italienischen Rechtssystem zu Stande kommen im selben System immer legitim bzw. verfassungskonform sind. Es handelt sich in diesen Fällen eben doch um effektive und was noch viel schlimmer ist retroaktive Gesetzesänderungen, die unter Umständen verfassungswidrig sein können. Ein Beispiel für alle ist das Urteil des italienischen Verfassungsgerichtshof im bekannten Rizzoli Fall n. 155 von 1990. Ich würde allen Laien raten sich das mal durchzulesen bevor sie in Urteilen von fremden Rechtssystemen verirren.

Gio, 07/30/2015 - 10:55 Collegamento permanente
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gorgias Gio, 07/30/2015 - 11:07

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Dass so was möglich sei habe ich auch schon angedeutet. Ich weiss nicht ob Sie Ihre Empfehlungen als Jurist oder selbst als Laie geben, es ist aber laienhaft einfach einen Fall zu zitieren und diesen als analog zu betrachten ohne dies zu Begründen in dem Sie das konkret aufzeigen und auch nicht einmal auf die Urteilsbegründung eingehen.

Haben Sie das Urteil auch selbst gelesen oder nur mal schnell gegoogelt?

Gio, 07/30/2015 - 11:07 Collegamento permanente
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Mensch Ärgerdi… Gio, 07/30/2015 - 16:43

In risposta a di gorgias

Es handelt sich nicht um Generalverdacht und schon gar nicht mein persönlicher Generalverdacht, sondern um die Rechtsprechung des italienischen Verfassungsgerichtshof welche von der Rechtslehre aufgenommen und diskutiert wird. Ist dieser Fall mit den von mir zitierten Rizzoli Fall vergleichbar? Ja. Wie schon oben mehrmals wiederholt, handelt es sich um Fälle in denen die per Gesetz verabschiedete authentische Interpretation sich (nach ihrer Natur) rückwirkend auf der Basis des vorherigen Gesetzes entstandene Rechtsverhältnisse auswirkt. Beim Fall Rizzoli wurde das Gesetz, welches die authentische Interpretation enthielt, als verfassungswidrig erklärt. Das Gericht entschloss, dass dieses Gesetz innovativen statt klärenden Charakter besaß. Diesen Unterschied ist der Kern der ganzen Angelegenheit, ihn festzulegen wird Gegenstand des möglichen Verfahren. Was war im Rizzoli Fall konkret vorgefallen? Die Rizzoli Gruppe hatte durch den Ankauf verschiedener Aktienpakete eine Machtposition in der italienischen Presse errungen. Diese Machtkonzentration wurde zum Gegenstand von einen Prozess in dem es hauptsächlich um das Verlagsgesetz ging. Die Klage wurde abgewiesen. Daraufhin hat das römische Parlament ein Gesetz mit authentischer Interpretation erlassen, welches restriktivere Kriterien im Milieu des Verlagswesen vorschrieb während der Prozess um Rizzoli in zweiter Instanz weiter lief. Es kam dann zur oben genannten Entscheidung des Verfassungsgerichtshof, weil der Gesetzgeber nicht eine der im Vorhinein möglichen Interpretationen des Gesetzes festgelegt hatte, sondern versuchte die rückwirkende Wirkung der authentischen Interpretation auszunutzen um in laufende Verfahren einzugreifen.
Die Parallelen zum Fall Brennercom liegen klar auf der Hand.
Es läuft bereits ein Verfahren auf der Basis des Gesetzes welches vorschreibt, dass die Anteile welche nicht von öffentlichen Interesse sind vom Land abgeben werden müssen. Auf einmal aktiviert sich der Gesetzesgeber und schreibt vor, dass eine Erklärung von Seiten des Landes, dass etwas von "strategischer Bedeutung" ist, mit einer Erklärung "im öffentlichen Interesse" gleichzustellen ist. Handelt es sich um "einer der vielen im Vorhinein möglichen Interpretationen"? Oder versucht man die rückwirkende Wirkung der authentischen Interpretation auszunützen? Das sind offene Fragen. Wie du schon gesagt hast handelt es sich beim Recht um keine mathematische Wissenschaft, ich kann nicht sagen wie sich der Verfassungsgerichtshof in diesen Fall aussprechen würde, die Stellungnahme der Anwälte der Athesia ist aber durchaus vertretbar.

Gio, 07/30/2015 - 16:43 Collegamento permanente
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Rupert Gamper Mer, 07/29/2015 - 15:59

Danke für die interessanten Hinweise! Zu Zellers "tempismo": Vermutlich hätte man sowieso keinem Richter jemals irgendwie verklickern können, dass der von Zeller eingebrachte Passus in keinem Zusammenhang mit der Angelegenheit steht. Medial war er ja auch im Vorfeld bereits umfassend eingespannt. Ich vermute aber ohnehin, dass die Sache gar nicht quer durch alle Instanzen gejagt werden wird...

Das Inkrafttreten des Stabilitätsgesetzes in ein paar Tagen bringt mit sich, dass a) das Land zumindest zeitweise wieder sehr sehr fest im Sattel sitzt und b) viel Zeit gewonnen wird. Das Land per Anfechtung einer authentischen Interpretation in einem Staatsgesetz aus der Gesellschaft zu klagen, das dürfte wohl relativ viel Zeit (vermutlich mehr als Jahr, oder?) in Anspruch nehmen. Genug Zeit, um bei der nächsten jährlichen Aktionärsversammlung im Frühjahr 2016 einen neuen Verwaltungsrat zu wählen (beispielsweise ohne einen dann bald 78-jährigen Ferdinand Willeit...) , der die Eigentumsverhältnisse besser widerspiegelt. Der neue Verwaltungsrat mit seiner Land-Selfin-Stadtwerke-Brixen-Mehrheit kann dann gemütlich die laufenden Gerichtsverfahren selbst einkassieren und die Sache hat sich. Oder übersehe ich etwas?

Mer, 07/29/2015 - 15:59 Collegamento permanente