Politica | Politikmüdigkeit

Kompatschers Frust

Warum wird Politikern so viel Misstrauen entgegen gebracht, fragt Landeshauptmann Arno Kompatscher. Und fordert, vom Ansatz "Politik gegen Volk" abzugehen.


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Foto: Facebook/Arno Kompatscher

„Seit ich Politikerin bin, spüre ich, wie wenig Vertrauen es in die Politik gibt, wie wenig die Menschen darauf vertrauen, dass nicht alle nur in die eigene Tasche wirtschaften statt an das Gemeinwohl denken“, sagt nicht nur eine junge politische Newcomerin wie die Meraner Stadträtin Madeleine Rohrer. Auch der Landeshauptmann selbst hat ganz offenbar nach viereinhalb Jahren in seinem Amt das Misstrauen satt, dass ihm Tag für Tag entgegenschlägt. „Wenn wir Politiker etwas sagen, wird man nur belächelt: Ja, ja, ihr Politiker redet eh nur“, gab Arno Kompatscher in dieser Woche seinem eigenen disagio RaumWo sonst, als bei einer Bürgerversammlung, bei der er – gemeinsam mit Bozens Bürgermeister Renzo Caramaschi – den direkten Kontakt mit dem Volk sucht. 

Mehr als 100 solcher Veranstaltungen im ganzen Land hat Arno Kompatscher bereits hinter sich. In dieser Woche schließt er mit Gries-Quirein und am heutigen Donnerstag mit Bozen Zentrum-Bozner Boden-Rentsch einen fünfteiligen Zyklus in Bozens Stadtvierteln. Dort steht, wie sich auch im Bürgerzentrum Gries-Quirein zeigte, vor allem der Dauerbrenner Verkehr im Mittelpunkt des Interesses. Was tut Ihr gegen das Verkehrschaos vor unseren Haustüren, warum bekommen die BoznerInnen immer nur leere Versprechungen statt Taten serviert, wie gedenkt Ihr diesen Radweg oder jenen Schulweg sicherer zu machen, sind Fragen, mit denen das Duo am Podium bei dieser Stadtviertel-Tour konfrontiert wird. 

Allerdings erst nachdem der Presidente und der sindaco ihre eigene Leistungsbilanz vorgestellt haben. „Ich wusste nicht, dass das hier eine Wahlveranstaltung werden würde“, war eine der kritischen Reaktionen, die Kompatscher am Dienstag auf seine Ausführungen von bisher Erreichtem und Geplantem erntete - vom durch Österreich abgesicherten Finanzpakt mit Rom und den Steuersenkungen in Südtirol bis hin zur neuerlichen Vorstellung der großen Verkehrsprojekte wie Metrobus, Trambahn, Intermodalzentrum in Sigmundskron oder der in dieser Woche beschlossenen neuen Lösung für die Einsteinstraße in Bozen-Süd. 

 „Ich sehe Bürgermeister Caramaschi öfter als meine Frau, und wenn ich einmal zu Hause bin, kann ich mich mit meinen Kindern nicht mehr frei bewegen, weil sie sonst fotografiert werden.“

„Können wir wirklich darauf vertrauen, dass Ihr diesmal ernst macht?“ „Wie oft haben wir solche Versprechen schon gehört und warum dauert das alles so lange?“ „Sie beide verfolgen ja vielleicht keine privaten Interessen, aber auf die Finger schauen werden wir auch Euch ganz genau......“. Es waren solche Rückmeldungen aus der Zuhörerschaft, die Arno Kompatscher schließlich aufstehen ließen, um von Zahlen und Fakten, vom Verweis auf erfolgreiche Verhandlungen in Brüssel und Rom oder bereits zugesicherte Geldmittel und unterschriebene Verträge in eine andere, weit persönlichere Tonart zu wechseln. 

Mi dispiace questa grande diffidenza nei confronti dei politici”, sagte er. “Ich war in meinem Leben Spengler und Schlosser, ich war Lehrer, Gemeindesekretär,  Geschäftsführer und Präsident einer privaten Aktiengesellschaft. Doch seit ich Politiker bin, scheint meine gesamte bisherige Glaubwürdigkeit verloren gegangen zu sein, scheint alles, was ich sage, mit Misstrauen aufgenommen zu werden.“ Und das, so Kompatscher störe ihn gewaltig – auch weil er für seine politische Arbeit auf vieles verzichte „Ich sehe Bürgermeister Caramaschi öfter als meine Frau, und wenn ich einmal zu Hause bin, kann ich mich mit meinen Kindern nicht mehr frei bewegen, weil sie sonst fotografiert werden.“ Bevor er in die Politik gegangen sei, habe er weniger gearbeitet und mehr verdient, versicherte Kompatscher seinen ZuhörerInnen. „Ich habe mich freiwillig dafür entschieden, genauso wie viele andere auch. Doch nur weil sich jemand einer Wahl stellt, heißt es nicht, dass er  auf eine andere Seite wechselt.“ 

Hören wir endlich auf damit, die Bürger und die Politik auseinander zu dividieren, meinte der Landeshauptmann in einem emotionalen Appell. Die repräsentative Demokratie sei nicht als Zwei-Welten-System gedacht. „Die Idee unseres Staatswesens ist es, eine Politik für die Bürger zu machen“, so Kompatscher. Auch wenn es genügend Beispiele gäbe, die nachvollziehbar machen, woher dieses Misstrauen komme, werde viel zerstört, wenn davon ausgegangen wird, dass in der Politik nur Straftäter und Kriminelle oder zumindest Dampfplauderer sitzen. „Ich gehe davon aus, dass sich viele Menschen in Südtirol, ob Berufspolitiker oder ehrenamtliche Politiker, ob in den Gemeinden, im Stadtviertelrat oder in Bürgerinitiativen ernsthaft für das Gemeinwohl engagieren“, sagte er.

Plädoyer für Parteien

Wer das nicht tue, soll kritisiert oder - im Fall von Straftaten - auch angezeigt werden. „Es ist auch vollkommen legitim, wenn Sie sagen, der Kompatscher und seine Politik gefallen mir nicht“, meinte der Landeshauptmann. Doch was endlich aufhören müsse, sei „unser Gemeinwesen mir all seinen engagierten Menschen und Parteien generell abzuwerten“, so Arno Kompatscher. „Unsere westlichen Demokratien sind auf Parteien aufgebaut, sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass wir in Europa seit 70 Jahren keine Kriege mehr, sondern Frieden und Wohlstand haben.“  Ist es also so schlimm, sich mit  Gesinnungsgenossen zusammenzutun und zu sagen: Wir treten für die Arbeitnehmer, die Wirtschaft oder die Umwelt ein, fragte der Landeshauptmann. Noch dazu, nachdem Parteien in Italien nach Abschaffung der Parteienfinanzierung von den PolitikerInnen selbst finanziert werden. „Was ich übrigens für keine gute Idee halte, weil damit die Gefahr steigt, dass Leute mit mehr Geld mehr Einfluss bekommen als andere.“ 

“Ich war in meinem Leben Spengler und Schlosser, ich war Lehrer, Gemeindesekretär,  Geschäftsführer und Präsident einer privaten Aktiengesellschaft. Doch seit ich Politiker bin, scheint meine gesamte bisherige Glaubwürdigkeit verloren gegangen zu sein, scheint alles, was ich sage, mit Misstrauen aufgenommen zu werden.“

Doch das sei die Entwicklung, in der sich die Welt und Südtirol heute befinde. Umso wichtiger sei es, wieder von dem Ansatz „Wir und die anderen“ wegzugehen – und das Gemeinwesen wieder zusammen zu gestalten, so Kompatscher Appell. „Denn Politik sind wir alle – und nicht nur die Politiker.“ Ein Satz, der wie auch andere von Kompatschers sfogo Stoff für Entgegnungen und Reflexionen bietet. In einem Land ohne Regierung, in einer Provinz, in der in wenigen Monaten Wahlen anstehen. Und für Menschen, die gerade dabei sind zu überlegen, ob sie auf die „andere Seite“ wechseln.