„Die Zeit ist überreif“
Der Probelauf war der gemeinsame Kampf für das Mitbestimmungsgesetz. Am Mittwoch folgte der erste gemeinsame Pressauftritt für eine noch viel weitreichendere Causa. „Wir wollen endlich eine echte Mehrsprachigkeit und eine messbare Verbesserung der Kompetenz Südtiroler Schulabgänger in der deutschen, italienischen und englischen Sprache“, lautet die Forderung, mit der Eltern- und Schülervertreter der deutschen, italienischen und ladinischen Sprachgruppe gemeinsam an die Öffentlichkeit gingen.
Ein Vorstoß, der vor allem von Seiten des Elternbeirats der deutschen Schule keine große Neuigkeit ist. Spätestens seit der Elternbefragung im Jahr 2015, bei der sich 77,2 Prozent der befragten deutschsprachigen Eltern für eine stärkere Berücksichtigung von Italienisch in der Schule aussprachen, ist der Druck von Seiten der Familien auf die Landespolitik gestiegen, das bisherige Sprachkonzept zu überdenken. Auf ihrer Wintertagung wurden die Mitglieder des Beitrats dann nicht zuletzt von der Mehrsprachigkeits-Expertin Ulrike Jessner-Schmid darin bestärkt, das politische Schreckgespenst vom Verlust der Muttersprache nicht mehr länger als Ausrede für eine Qualitätsoffensive für den Sprachunterricht an Südtirols Bildungsinstitutionen hinzunehmen. „Wir haben bei dieser Tagung nicht nur gesehen, dass bessere Italienischkenntnisse keinen Schaden für die Erstsprache bringen“, erklärte Florian Peer vom Landesbeirat der Eltern, „sondern vor allem, dass es für eine echte Mehrsprachigkeit eine spezifische Didaktik braucht.“
„Liebe Landesräte, wir schätzen sehr, was ihr bisher getan habt, aber es ist leider bei weitem nicht genug“, so vor allem die Botschaft der deutschen und italienischen Schüler- und Elternvertreter. Denn auch wenn es beispielsweise im italienischsprachigen Kindergarten bereits Dreisprachigkeit gäbe, zeige sich bei den Sprachkenntnissen italienischer Schulabgänger nach wie vor, dass es noch weit mehr Bemühungen in Richtung Mehrsprachigkeit brauche, meinte Giacomo Fabris vom Landesbeirat der italienischen Schüler. „Die Sprache eröffnet uns einen Weg in die Arbeitswelt, die uns sonst verschlossen bleibt“, unterstrich der Vize-Vorsitzende des Landesbeirat der Schülerinnen und Schüler für die deutschsprachige Schule Max Ebensperger.
Tatsache sei, dass in Südtirol mit all seinem Potential immer noch zu viele Schulabgänger im Arbeitsalltag nicht einmal ein Telefongespräch in der Zweitsprache flüssig bewältigen könnten, kritisierte die Vorsitzende des Landesbeirates der deutschsprachigen Eltern Sabine Fischer. Ein Schritt beim Umdenken in Richtung echter Mehrsprachigkeit muss es laut ihr aber auch sein, von der Vorstellung der perfekten Zwei- oder Mehrsprachigkeit wegzukommen, die nur eine Bremse für die Lust an Sprache sei. „Wir müssen nicht drei oder vier Sprachen gleich perfekt sprechen, doch wir sollten iim Alltag mehrere Sprachen flüssig beherrschen“, sagte Fischer.
Die Entscheidung, mit welchen Instrumenten man konkret dorthin kommt, wollen die Eltern- und Schülervertreter kompetenteren Kräften überlassen und auch je nach regionaler Ausgangssituation an die lokalen Gegebenheiten angepasst wissen. Es gäbe nicht ein Rezept, sondern viele Wege zu ihrem gemeinsam Ziel: „In drei Jahren ein wirklich messbareres Ergebnis bei der Verbesserung der Mehrsprachigkeitskompetenzen unserer Kinder zu haben“, wie Sabine Fischer die gemeinsame Forderung der Beiräte formulierte. Klar ist für die Vertreter aller drei Sprachgruppen aber, dass es dafür eine sachliche und wissenschaftliche Herangehensweise statt politischer Instrumentalisierung braucht. Auch werde man um zwei Handlungsfelder nicht herumkommen, meinte die Vorsitzende des deutschen Elternbeirates: eine Vorverlegung der Mehrsprachigkeitsförderung in den Kindergarten, um dieses sprachsensible Alter entsprechend nutzen zu können, sowie eine Anpassung der Aus- und Weiterbildung der Lehrpersonen an die Bedürfnisse des mehrsprachigen Lernens. „Wir kritisieren nicht die Lehrkräfte, doch um Mehrsprachigkeit zu fördern, braucht es ganz offensichtlich auch eine Forcierung in der Didaktik und Methodik“, erklärte Schülervertreter Max Ebensperger. Das würden auch Pilotprojekte in Sachen Mehrsprachigkeit wie jenes an der Brunecker Grundschule Josef Bachlechner beweisen, die weit mehr als bisher bekanntgemacht und auf andere Schulen ausgedehnt werden sollten, wie die Schüler- und Eltervertreter fordern.
„Liebe Landesräte, wir schätzen sehr, was ihr bisher getan habt, aber es ist leider bei weitem nicht genug."
Genauso wie die Erfahrungen mit dem paritätischen Modell der ladinischen Schule, auf das der ladinische Elternverteter Stefano Zanotti kurz anging. Für ihn sei es eine besondere Freude, nun gemeinsam mit Vertretern der anderen Sprachgruppen für ein Ziel zu kämpfen, das in den ladinischen Tälern längst eine Selbstverständlichkeit sei. „Die Zeit ist überreif“, meinte Zanotti, „lassen wir uns die Chance der Mehrsprachigkeit nicht mehr länger entgehen.“
Liebe Landesräte und
Liebe Landesräte und Volksvertreter,
bitte nehmt Euch diesbezüglich den Begehren des Volkes an anstatt - so die Unterstellung - aus parteitaktischem Kalkül und die nächsten Wahlen vor Augen habend irgendwelche Ängste heraufzubeschwören und den Leuten weismachen zu wollen, dass dadurch die Muttersprache verloren geht.
Die Meinung der Bürger und die der Wissenschaft (https://www.economist.com/blogs/prospero/2013/10/multilingualism-0) sind zum Glück mittlerweile weiter als die der Volksvertreter und verlangen Fortschritt, der ihnen weiterhin verwehrt bleibt.
Die Zeiten einer macchiavellistischen Politik sind vorbei. Die Zeit ist überreif.
Governare è far credere. - Niccolò Machiavelli (1469–1527) -