Cultura | Architektur

„Ich kann eine Hütte nicht aufblasen"

Mit ironischen Seitenhieben und provokanten Thesen treten Architektin Birgit Dejaco und der Philosoph Andres Pizzinini für eine Architektur ein, die vor allem eines tut: den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Ein Gespräch.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale del partner e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
Die Macher des "Intra-Muros-Podcasts": Pizzinini und Dejaco.
Foto: UPstudio
  • In Zusammenarbeit mit der Architekturstiftung Südtirol / in collaborazione con la Fondazione Architettura Alto Adige.

     

    Architektur für Nicht-Architekten spannend aufbereitet: Der Podcast „Intra muros” ist zu einem echten Geheimtipp unter den SALTO Podcasts avanciert. Mit ironischen Seitenhieben und provokanten Thesen treten Architektin Birgit Dejaco und der Philosoph Andres Pizzinini für eine Architektur ein, die vor allem eines tut: den Menschen in den Mittelpunkt stellen. Wir haben mit Dejaco und Pizzinini über Tabus, Tirolertum, Technisierung und Tourismus gesprochen und haben gelernt, dass man eine romantische Hütte nicht einfach aufblasen kann und auch, dass es kein Zurück mehr gibt.

  • SALTO: Euer Podcast „Intra muros“ auf SALTO – warum gibt es den?

    Pizzinini: Unsere Erfahrung ist die, dass das Thema Architektur immer auf bestimmte Themen beschränkt, also eine Angelegenheit zwischen Architekten ist. Ein exklusiver Zirkel, wenn man so will. Aber den Leuten brennen viele Themen unter den Nägeln, die in unserem Podcast auch zur Sprache kommen sollten. Es geht natürlich um Geld, es geht auch um Zeitdruck, es geht aber auch um Gemütlichkeit und die Welt der Architektur ist eine Welt mit vielen Tabus.

    Welche Tabus gibt es denn da?

    Pizzinini: Ein Vordach zu bauen, ist ein Tabu. Aber wenn man kein Vordach hat, ist es wir bei der Redaktion von SALTO: Da brennt dir die Sonne dann in den Nacken. (lacht) Wir versuchen solche Themen an die Oberfläche zu bringen, die sonst nicht zur Sprache kommen. Das machen wir bei unserer Arbeit und das machen wir bei unserem Podcast. Unser großes Thema ist das Thema menschliche Architektur. Also Architektur, die für den Menschen gemacht wird. Das wollen zwar immer alle, aber gemacht, wird es dann doch nicht.

  • Zu den Personen

    Birgit Dejaco ist Architektin. Nach dem Architekturstudium in Innsbruck sammelte sie Berufserfahrung in Wien beim Büro Gaupenraup +/- und im Büro Dejaco + Partner. Seit 2018 ist sie selbständig.

    Andrès C. Pizzinini ist kein Architekt, hat aber eine Architektin – Birgit Dejaco - geheiratet. Er selbst bezeichnet sich als Theoretiker, ist Geisteswissenschaftler, Philosoph und er sagt es so, als würde er sich ein bisschen dafür schämen. An verschiedenen Hochschulen und Universitäten in Deutschland und Österreich unterrichtet er die Geschichte des Städtebaus und Architekturtheorie.

    Seit einem Jahr betreibt das Ehepaar die Bauberatung „Dejaco Pizzinini“ und lebt mit den beiden gemeinsamen Kindern in Brixen.

  • Woran liegt das?

    Dejaco: Meiner Meinung nach, liegt das daran, dass die Welt der Architekten so weit weg ist von der Welt der Nicht-Architekten. Wir versuchen hier Brücken zu schlagen.

    Wenn ihr aber von Tabus sprecht, welche gibt es da?

    Pizzinini: Das Frauenthema, Birgit?

    Dejaco: Ein Tabuthema ist das sicher nicht. Natürlich haben es Frauen in diesem Beruf schwerer, ernst genommen zu werden, als Männer. Aber ein Tabu ist das nicht. Also man weiß es, aber es ist halt so. (lacht) Aber bei den Architekten gibt es Tabus. Die Vordächer beispielsweise. Man spricht ja immer von der Vermischung von Tradition und Moderne, aber viele Gestaltungsmerkmale, die traditionell sind, sind totale Tabus. Das Vordach ist das bekannteste.

    Was ist am Vordach auszusetzen?

    Dejaco: Es sieht eben nicht modern aus. 

  • Tabuthema "Vordach": "Es sieht nicht modern aus." Foto: Pixabay_scholty1970
  • Pizzinini: Man hätte gerne einen kompakten, geschlossenen Baukörper oder wie es ein Architekt einst zu mir sagte: "Wenn man ein Vordach baut, dann sieht es so aus, als wenn es ein Geometer entworfen hätte und nicht ein Architekt"

    Ach, der schöne Schein soll gewahrt bleiben. Ihr habt ja auch einen Podcast über Meran gemacht mit dem Titel: "Der schöne Schein einer unfrommen Stadt".  Dominiert in Südtirol der schöne Schein? Architektonisch gesprochen, versteht sich.

    Dejaco: Absolut.

    Und nicht-architektonisch gesprochen?

    Dejaco: Die Latte liegt überall hoch, in der Architektur, bei der Wahl des Autos, bei der Wahl der Schultasche (lacht). Die Latte liegt überall hoch und das erzeugt auch Druck und Stress. Wir haben in unserer Wohnung die alten Fenster dringelassen. Das hat für sehr viel Kopfschütteln gesorgt.

    "Es ist nicht alles schlecht, nur weil es ein bisschen alt ist."

    Was war euer Beweggrund?

    Pizzinini: Keine Kohle. (lacht)

    Dejaco: Natürlich ist es eine Kostenfrage, aber man muss ja nicht alles immer wegschmeißen. Es ist nicht alles schlecht, nur weil es ein bisschen alt ist.

    Ein Handwerker hat mir mal gesagt, dass alte Fenster zwar unter ökologischen Aspekten, und was die Dämmung betrifft, nicht gut sind, für die Luft im Raum aber schon….

    Pizzinini: …das war kein Südtiroler, oder?

    Nein. Aber behindert dieses Streben nach dem Klimahaus mit idealen Klimawerten die Menschlichkeit in der Architektur?

    Dejaco: Die Technisierung ist auf einem hohen Niveau. Das hat Vor- und Nachteile. Es ist nicht alles schlecht an der neuen Bauweise, aber es wird immer komplexer, komplizierter und eben auch teurer und auch fehleranfälliger. Aber da ist es wie in anderen Disziplinen eben auch: man kann nicht einfach zurückgehen. Hinzu kommt, dass alles, was wissenschaftlich ist, total relativ ist. Die Wissenschaft hat ständig neue Erkenntnisse und was heute aktueller Wissensstand ist, ist in fünf Jahren ein alter Hut. Menschliche und gestalterische Qualitäten haben aus unserer Sicht eine längere Lebensdauer.

    Thema Städteplanung. Werden Südtirols Städte durch den Tourismus vergewaltigt? Muss eine Stadt mit 100.000 Einwohnern und ein paar Millionen Touristen nicht zwangsläufig in Tilt gehen?

    Pizzinini: Da geht es nicht um Stadtentwicklung und Architektur, sondern um eine politische Grundsatzentscheidung, die längst getroffen wurde. Grundsätzlich empfinde ich Verdichtung in Städten nicht als etwas Schlechtes. Dass es auf der Welt viele Menschen gibt, freut mich. Das bedauere ich nicht. Dass wir näher zusammenrücken, finde ich auch gut. Die Frage ist, wie man das architektonisch ausbuchstabiert.

    Dejaco: Beim Tourismus muss es um das „Wie“ gehen. Nicht um das „Dass“. Es muss einfach darauf geachtet werden, dass die Bevölkerung nicht ausgeschlossen wird. Wenn ich ein historisches Hotel, wie etwa das Hotel „Adler“ in Brixen, hernehme: Da habe ich eine Bar, wo ich reingehen kann, die Rezeption ist von der Straße einsehbar – das Hotel gibt etwas an die Stadt zurück. Das Hotel nimmt etwas von der Stadt und gibt etwas zurück. Auf das muss bereits in der Planungsphase von Großprojekten geachtet werden. Öffentlicher Raum darf nicht einfach „weggenommen“ werden.

  • Pizzinini: Man muss aber auch sehen, dass Südtirol - touristisch gesprochen - eine Goldgrube ist. Und da wird jetzt das Letzte rausgeholt. Wie eine Zitrone, die man auspresst, bis der letzte Tropfen rausgequetscht wurde. Das war auch gesellschaftlicher Konsens. Allerdings entpuppt sich der Tourismus, so wie wir ihn betreiben, als Hauptverantwortlicher für die Teuerungen im Wohnsektor.

    "Der Tourist findet, was er sucht, indem er es zerstört."

    Habt ihr eine Lieblingsstadt?

    Dejaco: Ich kenne nicht so viele Städte so gut, aber in Holland beispielsweise sind viele Städte sehr lebenswert, weil dort die Fahrradmobilität so stark im Vordergrund steht. Es macht einen Riesenunterschied, wenn dem Fahrrad die Priorität gegeben wird.

    Pizzinini: Ich habe zwei Jahre lang in Edinburgh gelebt, in Schottland. Das ist die schönste Stadt, die ich gesehen habe. Die Stadt ist ältlich, etwas abgegriffen, menschengerecht und von einem romantischen Geist durchzogen.

    Ist Südtirol zu poliert?

    Dejaco: Der Tourist sucht den Komfort in der Einfachheit. Dieser Widerspruch wohnt jedem Menschen inne und Südtirol versucht dem vielleicht gerecht zu werden. 

    Pizzinini: Enzensberger hat gesagt: "Der Tourist findet, was er sucht, indem er es zerstört".

  • Romantische Almhütte: "Die kann ich nicht einfach aufblasen." Foto: Pixabay Tatjana Posavec
  • Dejaco: (lacht) Stimmt. Riesige romantische Hütten, kann es nicht geben. Wenn ich in großem Maßstab bauen muss, versuche ich das Gebäude so gut wie möglich in die Landschaft zu integrieren und da braucht es neue Ansätze. Ich kann die romantische Hütte nicht einfach aufblasen.

    Der Tonfall in eurem Podcast ist ja ein bisschen ironisch. Wollt ihr auch provozieren, wenn ihr beispielsweise in der Episode über Bruneck in Hinblick auf Nikolaus von Cusanus sagt: "Die Tiroler reagieren, wie sie immer reagieren, wenn sie einem großen Geist gegenüberstehen: sie schießen auf ihn.“

    Pizzinini: Ja natürlich. Provokation ist aber ein Mittel, nicht das Ziel. Ziel ist, dass über bestimmte Themen nachgedacht wird, die oftmals außen vorgelassen werden.

    "Ich kann die romantische Hütte nicht einfach aufblasen."

    Dejaco: Ein Beispiel: Die Leute in Südtirol sitzen nicht auf dem öffentlichen Platz, wie die Italiener, sondern gern zu Hause und haben eigentlich fast eher Angst davor mit den Anderen in Kontakt zu treten. Das ist städtebaulich relevant und spiegelt sich in der früheren und in der heutigen Stadtplanung wider.

    Über einen Parkplatz in Bruneck sagt ihr, dass der an Hässlichkeit kaum zu übertreffen sei. Ihr nehmt ja kein Blatt vor den Mund und werdet von Fremden sogar auf den Podcast angesprochen. Was kriegt ihr da so zu hören?

    Pizzinini: Die Reaktionen sind positiv, aber ich glaube, das hängt damit zusammen, dass die Leute sich nicht getrauen, mir die Sachen so zu sagen, wie sie sie denken. Aber offensichtlich trifft der Podcast auf Interesse. Bei dem eben angesprochenen Parkplatz geht es übrigens um Stegen. Die großen architektonischen Erneuerungen im 20. Jahrhundert kommen entweder aus München oder aus Wien. Bei uns kommen die mit der landesüblichen Retardierung von 20 Jahren an. Und wenn es bei uns endlich angekommen ist und anderswo schon passé ist, dann schwört man darauf, als ob es nichts anderes mehr gäbe. Darum darf man uns ein gewisses Maß an Ironie nicht verdenken.

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Josef Fulterer Ven, 08/30/2024 - 21:15

Was sich die sogenannten modernen Architekt:nen mit ihrer Verglasung bis auf den Fußboden + beim Wohnzimmer möglichst Rahmen-los um die Ecke so leisten + möglichst ohne Vordach, frisst für die Klimatisierung weitaus mehr Energie, wie im Winter mit den meistens Styrophor-verpappten Wänden eigespart wird.
Dabei gibt es schon längst spezielle Ziegel, die mit kaum größerer Wandstärke ausreichende Werte bringen.
Die Modefarbe ist gegenwärtig das bedrückende Schwarz, das sehr bedrückend wirkt + bei der kostspieligen Ausleuchtung der Räume Beleuchtungs-Planer erfordert.

Ven, 08/30/2024 - 21:15 Collegamento permanente