Cultura | Salto Afternoon

Kulturvermittler auf vielen Ebenen

Max Tosi ging vielsprachig durchs Leben und gilt als ein Wegbereiter der "Neueren Ladinischen Literatur". Ein Gespräch über ihn und sein Leben. Mit Wolfgang Moroder.
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Foto: Wolfgang Moroder

salto.bz: Max Tosi wird als einer der größten Ladinischen Poeten bezeichnet. Dabei ist er eigentlich Friulaner. Wie ist das möglich?

Wolfgang Moroder: Die Mutter stammte aus dem Friaul, der Vater aus dem Veneto und Max Tosi wurde in der Provinz Rovigo geboren. Die Familie siedelte jedoch bald – das Datum ist nicht bekannt –, nach Meran um wo der Vater als Beamter arbeitete und die Mutter als Lehrerin. Er kann also leicht als „naturalisierter“ Südtiroler gesehen werden. 
Max Tosi verbrachte seine Sommermonate schon in frühem mit der Mutter in St. Ulrich in Gröden, wo er das Ladinische erlernte – laut ihm: „Mit viel Mühe“  
Tosi besuchte das klassische Lyzeum Carducci in Meran, wo noch kein Deutschunterricht angeboten wurde. Dennoch befasste er sich intensiv mit den tirolerischen  und den allgemein bajuwarischen Dialekten.


Welche sprachlichen Einflüsse finden sich in Tosis Literatur? 

Tosis Interesse an Kultur war sehr groß. Und er war sprachlich sehr begabt – sprach Italienisch, Ladinisch, Deutsch und Französisch nahezu perfekt. Er hatte natürlich auch Latein und Griechisch gelernt, kannte das Friulanische, das Nosbergerische, das Rätoromanische der Schweiz in einem gewissen Umfang.
In seiner Poesie sind oft Lehnwörter oder Wörter mit Herkunft aus den verschiedenen Sprachen eingebaut. Diese Wörter benutzte er sehr frei, je nach metrischen Bedürfnissen für seine Poesie. Er wurde für seine schriftstellerische und poetische Freiheit sehr geschätzt setzte damit ein wichtiges Zeichen für die Ladinische Literatur. In gewisser Hinsicht ist er ein Pionier. Er wollte auch das Ladinische der Bauern auf eine literarische Ebene setzen. In der für kurze Zeit erscheinenden mehrsprachigen Wochenzeitung Concordia (Nr. 2) schrieb er: 

nosc Parlé* dëssa deventé Lingua de cultura a per a'l talian y a per a'l tudësch** 

*Parlé: französisches Lehnwort
**unser Reden soll Kultursprache werden wie das Italienische und das Deutsche


Was hatte es mit der Zeitung Concordia auf sich?

Die Wochenzeitung Concordia erschien zum ersten Mal im Januar 1946. Bis zur Nr. 25 am 1. Juli 1946. Die Zeitschrift ist in Südtirol nahezu unbekannt und sie lässt sich hierzulande in keiner Bibliothek finden. Im Nachlass Tosi sind einige Nummern erhalten. Das erste Exemplar der Zeitung fehlt leider im Nachlass. Bereits in der 2. Nummer vom 21. Januar 1946 konnte man in großen Lettern lesen: Il gruppo etnico ladino dell'Alto Adige confida nel Governo dell'Italia democratica. Als Präsident der provisorischen Ladinervereinigung erklärt Max Tosi auf der ersten Seite, die Zeitung als offizielles Organ der Vereinigung.  
Ein Beitrag Tosis La voce dei Ladini (signiert mit dem Pseudonym forfesc = Schere) findet sich auf Seite 2. Der Artikel ist ein Aufruf an die Ladiner – besonders Grödner*innen –, aus dem tausendjährigen Schlaf aufzuwachen, denn die Zeiten haben sich geändert und, wenn man lieber weiterschläft, wird schon nach einer Generation alles verloren sein. Tosi erinnert im Artikel auch an die schlimme Zeit der Option, an die Lügen der Politikanten und der Nationalisten, die die ladinische Kultur den Ladiner*innen rauben und sich zu eigen machen wollten.
 
Wie würden sie die Zeitung Concordia politisch einordnen? Wie Tosi?

Sicher links. Auch Tosi. Die Zeitung wurde vom Rechtsanwalt Tèseo Rossi aus Bozen gegründet. Sie erklärte als: Unparteiisches Wochenblatt zur Verbrüderung der Völkergruppen verschiedener Muttersprachen.

 

Max Tosi hatte sich nach dem 2. Weltkrieg sehr intensiv für die ladinische Kultur, Schule, und Eigenständigkeit eingesetzt. Was weiß man dazu?

Er hat sich in der Nachkriegszeit u.a. mit Tresl Gruber – Verfasserin der ersten ladinischen Grammatik und Schulbücher –, um die Anerkennung des Ladinischen als offizielle Sprache in Südtirol eingesetzt. 1946 gründete er den Ladinerverein Meran Union Culturela  d'i Ladins a Maran, arbeitete mit Concordia eng zusammen und gründete nach dessen Schließung im August 1946 die Zeitung L Popul Ladin, von der aber nur eine Nummer erschien. Leider gelang es ihm nicht genügend finanzielle Mittel zu sammeln, um das Blatt weiterzuführen.
Am 4. April 1946 sprach er als erster in einer ladinischen Radiosendung im damaligen RAI Bozen. In seiner Ansprache Mi cara Gent de Gherdeina (Meine lieben Leute in Gröden) bekundet er seine große Liebe zur grödnerischen Bevölkerung und Sprache, die er mit großer Mühe erlernt hatte und die ihm sein Leben Wert war. Er fordert die Ladiner und Ladinerinnen auf, ihr kulturelles und sprachliches Erbe zu pflegen.
Tosi empfand Gröden als seine ideelle Heimat und wünschte auch in Gröden begraben zu werden. 


Erst Jahrzehnte später, im Jahr 1975, erschien Tosis Buch „Ciofes da Mont“. Damit hat er eine neue ladinische Literatur geschaffen und wurde Vorbild für eine neue Generation. Wie lesen sich seine Texte heute?

Ciofes da Mont besteht aus drei Teilen: ciofes da mont (Bergblumen) mit der erhabenen Poesie, ciofes de val (Talblumen) mit Prosa und ciofes da paluch (Sumpfblumen), sehr humorvolle Gedichte und Reime mit skurrilen, obszönen, und frivolen Themen.
Seine Gedichte und Schriften erscheinen heute etwas schwierig, aber ein moderner ladinischer Schriftsteller kann nicht von seiner literarischen Wegzeichnung absehen.
Tosi wollte auch das grödnerische Idiom als universelle Ladinische Sprache erheben. Nicht selten bekundete er aber auch Enttäuschung mit den Grödner*innen und er klagte über deren Undankbarkeit.

Es ist mir gelungen, nach seinem Tod, einen großen Teil seines materiellen Nachlasses vom Bruder abzukaufen, bevor dieser alles zerstören konnte und wollte.

Konnten Sie Max Tosi noch kennenlernen? Wie haben Sie ihn erlebt?

Ich war mit Max Tosi gut befreundet, habe ihn oft in Meran besucht und ihn auch  in Reisen in den Nonsberg und in den Kanton Graubünden begleitet. Tosi hatte schon als Kind meine Großmutter – sie besaß den größten Laden mit Zeitungen und Tabakware im Dorf – kennengelernt. Auch meine Mutter hatte mir in meiner frühen Kindheit über ihn erzählt. In den 1950er-Jahren kam er wegen eines noch nicht ganz geklärten Streits mit der der Union di Ladins de Gherdëina, kaum nach Gröden. In den 1960er Jahren kam er wieder häufiger und besuchte seine guten Bekanntschaften, meine Mutter Paula Moroder, Frida Piazza, Malia Obletter und Edith Moroder. Durch eine intensive Zusammenarbeit mit diesen Frauen, besonders Frida Piazza – Wegbereiterin der modernen grödnerischen Literatur –, hat Tosi doch einen starken Impuls der Entwicklung der neuen grödnerische Literatur gegeben. 
Es ist mir gelungen, nach seinem Tod, einen großen Teil seines materiellen Nachlasses vom Bruder abzukaufen, bevor dieser alles zerstören konnte und wollte.


 
Noch bis 2. Oktober ist eine Ausstellung zur Malerei von Max Tosi (Cësa di Ladins, St. Ulrich, bis 2. Oktober) zu sehen. Weshalb lohnt sich der Besuch dieser Ausstellung? 

Die künstlerischen Arbeiten Tosis sind malerisch und grafisch irgendwie sehr sonderbar, sollten deshalb von der Kunstkritik mehr gewürdigt werden. Es ist aber doch sehr besonders, dass endlich seine grafischen und malerischen Werke, anlässlich der Buchpräsentation Prim sintom d'autonn. Cunsunanzes poetiches cun Max Tosi (Erstes Symptom des Herbstes. Poetische Konsonanzen mit Max Tosi)  von Roland Verra in der Cësa di Ladins in St. Ulrich gezeigt wurden. 
Sicher bedarf es einer weiteren Aufarbeitung durch ein Forschungsinstitut des gesamten Nachlasses von Max Tosi, auch durch Auswertung seiner Korrespondenz. Damit könnten sicher noch viele offene biografische Fragen bezüglich Max Tosi geklärt werden.