„Unterschiedliche Realitäten“
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SALTO: Wie sind Sie zum Organisationskomitee der Tour of the Alps gekommen und seit wann sind Sie dabei?
Andreas Tschurtschenthaler: Die erste Ausgabe von Tour of the Alps im Jahr 2017 hat noch ohne meine Wenigkeit stattgefunden. Es war ein Projekt, das schon immer in die IDM eingelagert war. Ich bin 2019 zu dem Projekt gekommen, weil ich im Bereich PR und Events Preisleiter bin. Da liegt es nahe, dass man die Events in der Eventabteilung abwickelt und so bin ich dazu gekommen, genauso wie meine Kollegin Marion Fischer, die hauptsächlich das operative Abwickeln betreut.
Der Ursprung dieses Rennens geht ja noch auf die 60er Jahre zurück, wie kam es zu diesem transnationalen Wechsel?
Ursprünglich kommt das Ganze aus dem Giro del Trentino, der irgendwann mit dem Trofeo Melinda fusionierte. Dann hatten die Kollegen vom Gruppo Sportivo Alto Garda, die die entsprechende Lizenz für die Abwicklung von so einem Rennen verfügen, die Idee, das als transnationales beziehungsweise überregionales Projekt aufzusetzen.
Worin liegt Ihre Hauptaufgabe?
Meine Aufgabe besteht hauptsächlich in der strategischen Ausrichtung, in der Festlegung von Zielen, die für Südtirol gut gehen. Vor allem sind die Abstimmungsprozesse zwischen den einzelnen Beteiligten, ob das die Kollegen von der Tirol Werbung sind, ob das die Kollegen vom Trentino-Tourismus sind, das sind meine Hauptaufgaben. Natürlich müssen wir auch aufs Budget schauen, auf die operative Abwicklung, aber da werde ich stark von meinen Kolleginnen und Kollegen unterstützt.
Tour of the AlpsDie Tour of the Alps, früher bekannt als Giro del Trentino, ist ein internationales Straßenradrennen, das erstmals 1962 und 1963 als Eintagesrennen im Trentino ausgetragen wurde. Im Jahr 1979 nahm man den Namen wieder für ein Etappenrennen auf, das meist Ende April stattfand. 2015 fusionierte der Giro del Trentino mit der Trofeo Melinda, behielt aber seinen Namen bei. Seit 2017 erstreckt sich das Rennen über die gesamte Region Tirol, einschließlich der Provinz Südtirol und des österreichischen Bundeslandes Tirol. Die Tour of the Alps gilt aufgrund ihrer schweren Alpenetappen auch als Vorbereitungsrennen für den Giro d'Italia.
In den fünf Jahren, die Sie jetzt dabei sind, inwieweit haben Sie Veränderungen miterlebt?
Was ich selber miterlebt habe, ist die Tatsache, dass der Zuspruch zum Rennen auf internationaler Ebene steigt, dass es jetzt nicht mehr als eines der vielen Rennen wahrgenommen wird, sondern dass es als wichtiges Rennen, vor allem auf die Vorbereitung für den Giro d'Italia, wahrgenommen wird. Die Anzahl der Teams bleibt mehr oder weniger gleich, weil das logistisch nicht größer auszurichten ist, aber die Besetzung der Teams schaut so aus, dass man dort die guten Leute schickt. Die Gewinner, Simon Yates, Romain Bardet, auch Alexander Vlasov oder früher noch Vincenzo Nibali, der 2019 gewonnen hat, zeigen schon, dass hier nicht die zweite Garde geschickt wird, sondern die, die dann auch beim Giro d'Italia Chancen haben zu gewinnen. Vor allem die starke Besetzung der Franzosen, Frankreich ist ja eine Radsportmation, zeigt schon, dass es ein großes Interesse gibt. Wir wissen auch, dass die Kollegen von der Tour de Suisse ganz stark auf dieses Vorbereitungsrennen schauen. Sie sehen, es ist ein interessantes Format, es ist kein langes, sich über mehr als eine Woche ziehendes Rennen. Die Etappen sind kurz, sie sind zum Teil knackig, sie sind nicht diese „Mörder-Etappen“, wie sie es bei der Tour de France oder beim Giro d'Italia sind. Genau das richtige Format für ein Vorbereitungsrennen aus sportlicher Sicht.
„Es funktioniert besser, wenn es eine lokale Verankerung gibt, entweder aus der Historie heraus oder durch Sportler.“
Nach welchen Kriterien werden die Etappen ausgewählt?
Die Etappen dürfen nicht zu lange sein, sie überschreiten die 140 Kilometer nicht und sie überschreiten auch die 3.400 Höhenmeter nicht. Das ist das sportliche Limit, das wir haben, weil das in die Vorbereitungsphase der Rennfahrer passt. Die Auswahl hat sportliche Gründe. Für den Teil Südtirols, entwickeln sich auch logistische Notwendigkeiten. Wir müssen Orte suchen, die ins Konzept der gesamten Tour of the Alps passen. Wenn die Kollegen in Trentino starten, durch Südtirol durchfahren und nach Nordtirol weiter müssen oder ob die Startetappe bei uns ist und dann nach Tirol oder ins Trentino weiterführt. Aber die sportlichen Notwendigkeiten stehen im Vordergrund.
Was erwartet man an Fans beziehungsweise Zuschauerzahlen?
Bei den Zuschauern gibt es unterschiedliche Realitäten. In Trentino, das hat historische Gründe, ist das Thema Radsport ganz anders verankert bei der Bevölkerung als in Südtirol. Trentino hat mit Francesco Moser einen Weltstar des Radsports gehabt und das lebt man in Trentino. Dort säumen tausende Zuschauer die einzelnen Etappen, auch bei den Zielankünften. In Südtirol schaffen wir es, die Bevölkerung für diesen Tag zu begeistern, wo die Zielankunft in den jeweiligen Orten ist. Aber in Südtirol ist das Thema Rennradsport nicht so historisch verankert wie bei den Kollegen im Trentino. Bei den Tirolern ist das auch gewachsen. Das hat vor allem damit zu tun, dass Tirol einen jungen aufstrebenden Radsportler hat, Felix Gall, ein Osttiroler, der voriges Jahr bei der Tour de France ganz stark aufgeschienen ist, aber davor auch bei der Tour of the Alps war. Dort, wo es einen Lokalmatador gibt, funktioniert es gut. Dort kommt auch das Publikum. In Österreich ist dieses Mal, wie schon das letzte Mal, auch die österreichische Nationalmannschaft dabei. Es funktioniert besser, wenn es eine lokale Verankerung gibt, entweder aus der Historie heraus oder durch Sportler, die gut sind, gut performen. Da bekommen die Dinge eine andere Wertigkeit. Radsport gibt es auch viel in Südtirol, aber das bezieht sich mehr auf den Bahnradsport, wo wir wirklich gut sind. Bei der Tour of the Alps ist dem leider nicht so.
„Allein über die Fernsehausstrahlung erreichen wir fast 22 Millionen Leute.“
Wie sieht es bei der medialen Coverage aus?
Medial sind wir extrem gut abgedeckt, weil Rennradsport international ist und das hat in den letzten Jahren wirklich gut funktioniert. Wir sehen, dass wir vor allem in Frankreich stark gestreamt werden, weil es dort eine gute Abdeckung gibt. Wir streamen national auf der RAI Sport, was gut läuft und international über Eurosport und dort haben wir eine sehr gute Abdeckung. Wenn wir von Reichweiten reden, allein über die Fernsehausstrahlung erreichen wir fast 22 Millionen Leute, was wirklich viel ist. Klar kann man nicht sagen, ob der Fernseher nur nebenher läuft, aber das sind gute Zahlen. Fernsehen ist auch das Schlüsselmedium beim übertragenen Radsport, wo man die Sportler aus der Nähe sieht und wo man vor allem auch die Destinationen, das ist eines der Interessen von Südtirol, gut kontextualisieren kann. Da sieht man nicht nur das sportliche Ereignis, sondern auch wo der Sport stattfindet und wie sich die Landschaft dafür eignet. Das gelingt uns beim Fernsehen am besten.
Löst das für einen Ort wie etwa Neumarkt auch touristische Reize aus?
Da wäre ich vorsichtig zu sagen, ob das jetzt einen touristischen Impact hat. Es vermittelt aus meiner Sicht die Idee, dass Radfahren in dieser Landschaft schön sein kann und schön ist. Ich sehe da nicht eine Unmittelbarkeit, dass man aus den Fernsehbildern gleich auf die Urlaubsidee kommt. Aber der Name, wo dieses Rennen stattfindet, der bleibt auch im Gedächtnis. Das ist sicherlich so.
Wie läuft die Finanzierung? Es sind ja einige lokale Sponsoren wie etwa Forst dabei.
Heuer ist es uns zum ersten Mal gelungen, mehrere Sponsoren zu animieren. Würth ist schon ein langjähriger Sponsor und Forst ist jetzt neu dazugekommen. Das ist auch ein großer Teil, die Veranstaltung ist nicht ganz billig, aber sie wird auch von der öffentlichen Seite finanziert. Rein aus Sponsoren heraus ginge das nicht.
„Das Interesse wächst, man schätzt die Veranstaltung.“
Was sind zukünftige Ziele?
Wir sind zur Zeit sozusagen die zweite Liga des Etappenradsports, zumindest auf dieser internationalen Radsportebene. Letztes Jahr war auch der italienische Vizepräsident der internationalen Radsportorganisation hier, um zu prüfen, ob wir den Sprung in die ProSeries schaffen .Als Beispiel in die Liga von Paris-Roubaix, Milano-Sanremo oder einer Tour de Suisse. Wir hätten die Voraussetzungen, weil es organisatorisch gut passt, weil es landschaftlich gut passt und weil es vom Kalender her passen könnte. Allerdings sind wir da nicht selber am Drücker, sondern die UCI entscheidet, wo wir hineinpassen würden. Für uns ist das Veranstaltungsdatum zur Zeit ideal, sei es jetzt, was Unterkünfte anbelangt, wir sind in einer Zeit, wo, sei es in Tirol, sei es im Trentino oder in Südtirol, noch nicht allzu viel los ist. Dort kriegen wir das Ganze runter, ohne dass wir große Einschränkungen für die Bevölkerung in Kauf nehmen müssen. Sprich, Straßensperren, Absperrungen in Dorf- und Stadtzentren und so weiter. Zur Zeit ist das noch in einem sehr erträglichen Maß, wie ich glaube, südlich sowie nördlich des Brenners. Beim Aufstieg in die World Tour, also von der Pro Tour in die World Tour, heisst das, es werden zwei Etappen mehr. Der Tross wird grösser, weil mehr teilnehmen, weil man mit mehr Teilnehmen arbeiten muss, weil es eine Begehrlichkeit gibt. Da muss man schauen, ob das noch in diese Zeit hineinpasst. Da wären wir vom internationalen Kalender abhängig. Natürlich, wir liebäugeln auch mit diesem Sprung hinauf. Das wäre eine enorme Aufwertung für die Veranstaltung. Und es wäre eine Belohnung für die gute Arbeit, die man seit 2017 macht.
Heuer kommt auch erstmalig ein Team aus Japan. Die Veranstaltung ist also schon wirklich international?
Ja, wir sind sehr international. Die Teams, die die großen Klassiker wie die Tour de Suisse, Tour d'Italia, Tour de France, bestreiten, die sind da. Das freut uns, das Interesse, dass das erste Mal ein Länder im Japan-Team dabei ist, zusätzlich zum Österreich-Team. Das heißt, das Interesse wächst, man schätzt die Veranstaltung. Dass die großen, finanzkräftigen Teams dabei sind, spricht für die Veranstaltung, für alle Leute, die für die Veranstaltung arbeiten, da arbeiten mehr oder weniger 100 Leute, die den Tross begleiten, zwischen Ziel- und Startaufbau, Verpflegung, beziehungsweise Straßensperren. Da sind auch viele Freiwillige dabei, zusätzlich zu den „Professionisten“, welche auch dafür abgestellt sind, für Sicherheit zu sorgen, nicht nur für die Teilnehmer, sondern auch für die, die sich rund ums Rennen herum aufhalten.
„Mein persönliches Highlight ist die Nähe zu den Fahrern, die unvorstellbare Leistungen vollbringen.“
Was sind die Besonderheiten der heurigen Ausgabe?
Die Steckenführung ist interessant heuer, weil sie landschaftlich schön ist, denn sie führt durch den südlichen Teil von Südtirol. Das Spannende am Rennen selbst, aus meiner Sicht, ist dass man durch drei Regionen fährt, ohne, dass man vielleicht merkt, dass man Sprachgrenzen und Staatsgrenzen überwindet.
Was sind Ihre Highlights seit Ihrer Zeit bei den Tour of the Alps?
Ich bin privilegiert, weil ich zu allen Etappen mitfahren kann. Mein persönliches Highlight ist die Nähe zu den Fahrern, die, aus meiner Sicht, unvorstellbare Leistungen vollbringen und mit Geschwindigkeiten bergauf fahren, die ich mir kaum vorstellen kann und das auch fünf Tage hintereinander machen. Ich finde das einerseits spannend und auch belohnend, wenn man das Glück sieht, wenn jemand gewinnt, dem Fahrer das Glück aus den Augen ablesen kann, wenn man hinter dem Ziel steht.
Was ist Ihr persönlicher Wunsch für künftige Ausgaben?
Mich persönlich würde der Aufstieg zur World Tour reizen. Das wäre ein Qualitätssprung und auch von der sportlichen Seite nochmal ein großer Sprung und ich finde das aufregend, sich in der Top-Liga weltweit zu messen.
Die diesjährige Ausgabe der Tour of the Alps findet von 15. bis zum 19. April statt. Die Etappe des ersten Tages umfasst 133 km, startet in Neumarkt und endet in Kurtinig. Salurn (am zweiten Tag) sowie Leifers (am vierten Tag) sind zwei weitere Startpunkte in Südtirol.