Cultura | N.C.Kaser Lyrikpreis
Im Geiste Kasers
Foto: Privat
Es eröffneten mit eigenen Texten Jakob Kraner, Greta Pichler und Matthias Vieider, nachdem der Präsident der Bücherwürmer Elmar Locher und Christine Vescoli Gruß- und Dankesworte gesprochen hatten. Kraner las Auszüge aus seinem Debütroman „Kosmologie“ (Verlag Rohstoff) vor, wobei seine Literatur experimentellen Zuschnitts, auf halbem Wege zum wissenschaftlichen Traktat und ganz dem literarischen Experiment verschrieben den Romanbegriff wohl dehnt. Wie das Schreiben Pichlers und Vieiders ist Kraners Literatur an der Wiener Sprachkunst geschärft und, zwischen den entrückenden Klängen einer „Niemandslandorgel“ und den Bewegungen von „Bierglaskolben“ in der Weidinger-Wirtshaus-Maschinerie, geprägt von genauen Beobachtungen und kühner Abstraktion.
Pichler und Vieider hatten in Südtirol bereits Gehörtes im Gepäck: Pichler las, mit Variationen in Textauswahl und finalem Text (einer „ausufernden“ Liste, welche in letzter Zeit gewachsen war und frei assoziativ zusammengesetzt wurde, „Salzwasser“. Die Arbeit am Text zeigt, dass wir uns der finalen Form des mit dem „Open Mike“ prämierten Prosagedicht-Werks annähern. Die Textform Vieiders hatte sich nicht merklich verändert, er las von Kapitel 1 seines Romanmanuskripts „Die guten Tage von Pistazien“ weg, bis ihm die Zeit ausging, was nach Mikrokapitel 28 der Fall war. Anschließend förderte Vieider noch eine thematische Überschneidung zu Tage: Nicht nur bei Pichler und Vieider spielen Winde eine Rolle, auch bei Kaser wehten sie über ein „feld bei rimini“. Dann wurde noch eine Zeitlang zu dritt mit Zettelchen aufs Publikum geworfen, auf welchen zufällig gezogene Verse standen, so dass auch jene, welche den Büchertisch am Ende des Abends links liegen ließen mit ein, zwei Zeilen Poesie nach Hause gehen konnten.
Michael Krüger
Die Laudatio Krügers, der als Bücherwürmer Freund nun zum dritten Mal mit einer Empfehlung (nach John Burnside und Valzhyna Mort) den Preisträger nominiert hatte, nahm den Löwenanteil des Abends in Beschlag. Er begann mit einer Typologisierung von LyrikleserInnen in drei Kategorien: Den ehrfürchtigen mit Samthandschuhen, den arbeitsamen und auf Entdeckung fokussierten LeserInnen, welche einen Gedichtband durcharbeiten und jenen sorglosen, die chaotischer vorgehen und immer wieder, mal diese mal jene Seite aufschlagend, „Zufallsbeziehungen“ zur Lyrik eingehen. Krüger rechnete sich selbst dieser Kategorie zu und erzählte von seinem literarischen Erstkontakt mit Pusterla, Anfang der 2000er Jahre, in Form des beim Limmat Verlag erschienen „Solange Zeit bleibt / Dum vacat: Gedichte Italienisch und Deutsch“. Geschenkt wurde Michael Krüger das Buch vom Übersetzer und Vorwortschreiber Hanno Helbling, ehemaliger Feuilletonchef der NZZ, was für Krüger ein Zeichen war, hier, bei einem lebenden Schriftsteller, genauer hinzusehen. Er schlug also die aufwändig gestaltete zweisprachige Edition an einer zufälligen Stelle auf und las. Der Text auf den er dabei stieß, ließ Pusterla in der ersten Reihe in die Hände klatschen. Ein poetischer Zufall war geschehen.
„Il dronte“, die historische Bezeichnung des ausgestorbenen Dodos, von Helbling seltsamerweise als „Tölpel“ übersetzt. Ein Exkurs in die Ornithologie wurde glücklicherweise (in Hinsicht auf die Länge des Abends) nur zweimal angedeutet, jedoch nicht ausgeführt. Dieser „Dronte“ hatte sich, ohne Vorwissen Krügers und Pusterlas, den Weg auch in die Dankesrede des Laureaten gefunden. Zusammen mit dem Bocksten-Mann (einer Moorleiche, der Pusterla mit „Bocksten“ seinen zweiten Lyrikband verschrieben hatte) war dieser für das Schreiben eines Dichters untypische Vogel emblematisch für die Praxis Pusterlas als „Knochensammler“ und „Sichtbarmachung“. Pusterla sei jemand, der den stimmlosen eine Stimme und Individualität verleiht.
Fabio Pusterla
Nach einem Exkurs zur KI und der Unverletzbarkeit des Poeten durch diese, verblieb Krüger mit Glückwünschen und übergab an Pusterla, der Worte des Ansporns für die junge Generation an LiteratInnen seinen eigenen Dankesworten vorwegschickte. Der aus seiner Sicht überraschend kommende Kaser Preis, der „keine Kandidaturen, Diskussionen und Verlagsmachtspiele vorsieht, da er von den Poeten selbst kommt“, dies wecke „Mut, Freude und ein Gefühl aufrichtiger Dankbarkeit“. Pusterla suchte nach Verbindungen zu Südtirol und zu N.C. Kaser, bei welchem er sich inzwischen eingelesen hatte. Ein Dank ging auch an die Übersetzer, da ohne diese Krüger wohl nicht in Kontakt mit dem Schreiben Pusterlas gekommen wäre.
Christoph Ferber, welcher „In der vorläufigen Ruhe des Flugs / Nella quiete provvisoria del volo“, die aktuellste zweisprachige Ausgabe Pusterlas übertragen hatte, berichtete Pusterla, als dieser ihm vom Kassapreis erzählte, dass er Kaser gekannt habe, auf dessen Begräbnis gewesen sei und seine Werke auswendig kenne. An Kasers Lärche anknüpfend spannte Pusterla den Bogen zum letzten Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner, dem der Kaserpreisträger ein Gedicht gewidmet hatte. Diese bedrohliche, vielleicht unvollständige Arbeit, am verfrühten Lebensende ’38 des Künstlers. Diese graue Berglandschaft mit Lärchen und Schafen wurde gleichsam zur Seelenlandschaft und Pusterla bekannte sich mit beiden Künstlern, Kirchner und Kaser, solidarisch, auch wenn er unterstrich, dass deren Leid eine andere Dimension hatte.
Pusterla sah es als seine dichterische Mission, sich nicht beschwichtigen zu lassen und las, einige der beunruhigendsten Verse Kasers (auf Deutsch): „Wozu die Welt verändern? Über die Leichen fahren ruhige Panzer, über die Lebenden auch.“ Vom ersten Treffen mit Krüger, symbolträchtig bei Giorgio Orellis Vortrag zu Hölderlins „Hälfte des Lebens“ kam Pusterla auch über diverse Grenzsprünge, auf die eigene Familiengeschichte. Sein Vater war zur Zeit des Weltkriegs unter anderem auch in Südtirol stationiert. Grenzen interessierten ihn dabei nicht, Südtirol war Teil einer „fantastischen Geographie“
Zur Beschwichtigung des Publikums gab es noch eigene Gedichte, die alle etwas von Echo hatten: Besagter „Dronte“, der an einen ungleichen Vogel beim von Pusterla geschätzten Dichter Montale erinnerte, ein Rosenverkäufer der mit der Stimme Rilkes ins Zwiegespräch kam und Überlagerungen von Geschichte und Gegenwart am Holocaust-Mahnmal in Berlin, wo man für sechseinhalb Jahre den zweiminütigen Biografien der bekannten Opfer des Holocausts lauschen könnte. Aber Pusterla wollte keineswegs als untätiger Dichter in Erinnerung bleiben, so dass er mit einem noch unveröffentlichten Gedicht schloss, das - mit Bezug auf eine Rede von Max Frisch beginnt, in welcher dieser, auf Literaten vor ihm Bezug nehmend, Hoffnung als Seelenzustand definiert. Von dort macht sich Pusterla auf den Weg, die Straße ist heiß, lang und trostlos, die Füße sind schwer. Er lässt sich nicht beschwichtigen.
Der Abend endete mit der symbolischen Übergabe eines kleinen Rosengestecks und einem kleinen Wehrmutstropfen: Selbst in einem Jahr, in welchem der Kaserpreis an einen italienischsprachigen Poeten ging, war das Medieninteresse nur von deutschsprachiger Seite groß. Aber es bleibt ja immer Hoffnung.
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Io ci sarei andata
Io ci sarei andata sicuramente. Pur leggendo giornali in lingua italiana e tedesca non sapevo di questo appuntamento, anche se avevo letto dell'attribuzione del premio a Pusterla.
Siamo alle solite, povero Kaser, nulla è cambiato.
Ovviamente, è andato a un poeta di lingua italiana. Come no. Vergogna per l' ipocrisia.
Correggo: norbert conrad
Correggo: norbert conrad kaser.
Scritto piccolo, ce lo siamo tutti dimenticati