Cultura | Mafia

Boss in Gonnella

Die ORF-Korrespondentin Mathilde Schwabeneder hat in Toblach aus ihrem Buch über die Frauen der Mafia gelesen.

Frau Schwabeneder, wo hat denn Ihre Recherche begonnen, zu welchem Anlass?

Mathilde Schwabeneder: Ich habe bereits vor meiner Zeit als ORF-Korrespondentin journalistisch in Italien gearbeitet und bin in meiner täglichen Arbeit immer wieder auf die Geschichten und Gesichter der Mafia gestoßen; es gab auch Verhaftungen von Frauen, die mich dann besonders interessiert haben, da wollte ich genauer hinschauen und die Stellung dieser Frauen innerhalb der Mafia-Clans detaillerter recherchieren. Allerdings habe ich die apulische Mafia beiseite gelassen, ich spreche in meinem Buch von den Frauen aus der Camorra in Kampanien, der `Nrangheta in Kalabrien und der Cosa Nostra in Sizilien.

Welche Frau war denn die allererste Patin?

Nun, den Ausdruck Lady-Boss oder Boss in Gonnella hat man zum ersten Mal auf die Patin, Giuseppina „Giusy“ Vitale angewandt, die einen Familienclan der Cosa Nostra angeführt hat und die verhaftet und vor Gericht gebracht wurde. Sie  wurde als erste Frau wegen Vergehens gegen den Mafiaparagrafen von der Staatsanwaltschaft Palermo angeklagt. Sie ist ein klassisches Beispiel dafür, wie Frauen an die Spitze eines Mafia-Familienunternehmens kommen können.

Und wie läuft das, da Frauen offiziell nicht Mitglieder der Mafia werden können?

Bei Giusy Vitale war es so, dass ihre drei Brüder im Gefängnis bzw. auf der Flucht waren, der Platz des Clan-Führers also vakant war. Giusy besaß das Vertrauen der Brüder, sie wurde ganz im Sinne der Wertevorstellungen der „Famiglia“ erzogen, hat früh Botengänge ins Gefängnis zu den verhafteten Verwandten absolviert, und war ganz im Dunstkreis dieser Omertà gefangen. So war es eigentlich nur logisch, dass die Brüder ihre Schwester mit der Führung des Familienclans beauftragten. Ähnlich geschah es bei Maria Licciardi, die beinahe 10 Jahre lang in Neapel als Boss agierte. Auch sie war „Lückenbüßerin“ für ihre beiden verhafteten Brüder bzw. ihren Ehemann.

Mathilde Schwabeneder lebt seit 1983 in Rom, zuerst als Korrespondentin für Radio Vatikan, ab 1955 dann für den ORF.  Das Buch "Die Stunde der Patinnen" ist im Styria Verlag erschienen und erzählt die Geschichten von 15 Frauen der Mafia in Sizilien, Kampanien und Kalabrien. 

Wie waren diese Frauen an der Spitze, genauso blutrünstig und kaltblütig wie ihre männlichen Kollegen?

Ja, das kann man so sagen, diese Frauen haben ganz genauso Morde in Auftrag gegeben und Killerkommandos losgeschickt, wie wir das von anderen männlichen Paten kennen. Die Macht über den Clan zu haben, bedeutet auch die Macht über Leben und Tod auszüben, und wer das nicht tut, ist kein richtiger „Boss“. Außerdem hat sich die Mafia in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch geändert, hat ein anderes Gesicht bekommen. Mittlerweile werden die Familiengeschäfte wie ein Unternehmen, wie ein Konzern geführt, die Agenden sind strategischer geworden, Beziehungen zu Politik und Wirtschaft werden nicht mehr mit gewalttätigen Mitteln durchgesetzt, sondern geschickt genutzt.

Sie haben vom Wertekodex in den Familien gesprochen, dem auch die heranwachsenden Mädchen und Frauen unterworfen sind, welcher ist das?

Die Familienstruktur der Mafia funktioniert nach wie vor nach den Regeln der Omertà, der Geschlossenheit und des Stillschweigens. Bei meinen Recherchen hat mich sehr erstaunt, dass gerade auch diese in den 1970er und 80er Jahren geborenen Mädchen nach diesen Regeln leben, die ja direkt aus dem 19. Jahrhundert zu stammen scheinen. Es wird also sehr jung geheiratet, die Verlobung gar schon im Kindesalter vollzogen, die jungen Frauen dürfen ohne Begleitung nicht aus dem Haus, es gibt sogar noch die Liebesflucht, obwohl die meisten dieser jungen Ehen dann sehr unglücklich verlaufen; viele dieser Frauen haben also bereits mit 20 Jahren sehr viel durchgemacht und kennen nichts anderes als diese Art zu leben. Ein sehr reaktionäres Leben.

Wie sieht es aber mit Schulbildung aus, es gibt doch sicherlich Einflüsse von außen, denen auch die Mafia-Clans nicht entgehen können?

Nun ja, vielfach wurde die Schule im Alter von 14 oder 15 abgebrochen, die Familien haben dann wieder ihre Hand auf den Heranwachsenden. Die einzige Veränderung die ich sehen kann, ist jene, die durch die social media langsam um sich greift. Facebook, Twitter etc., hier gibt es die Möglichkeit einer Öffnung und eines relativ unkontrollierten Rückzugraums.

Gibt es auch Frauen, die sich gegen die Vereinnahmung der Familien gewehrt haben?

Fast alle diese Frauen, mit denen ich gesprochen haben, gehören zu den „pentite“, jene die schlussendlich mit der Polizei zusammenarbeiten. Ein besonders tragischer Fall ist der von Maria Concetta Cacciola, die aus der Familie ausbrechen wollte. Sie hatte auf facebook einen Mann kennengelernt,  mit dem sie die Flucht aus ihrem Clan wagen wollte; sie hatte sich auch bereits bei der Polizei gemeldet zu einer Zusammenarbeit. Von ihrer Familie wurde sie dann festgehalten und in einem fingierten Selbstmord getötet; ihr wurde Salzsäure eingeflößt. Ein ganz besonders tragischer Fall, die Tochter sollte geopfert werden, um den Clan zu schützen.

Wie leben diese Frauen, die dann wirklich die Familie verlassen?

Ich habe mit vielen der Frauen im Rahmen ihres Zeugenschutzprogrammes gesprochen, das war eine langwierige und mit vielen Vorsichtsmaßnahmen verbundene Recherche. Viele von ihnen haben Kinder und leben nun unter anderem Namen an einem unbekannten Ort, sie werden von der Polizei geschützt, doch ist die Bedrohung immer spürbar. Der psychische Druck ist unglaublich und aufreibend.

Sie haben vorhin von einer langsamen Öffnung in Richtung soziale Medien gesprochen, kann die Omertà wirklich auf diese Weise aufgeweicht werden?

Die reaktionäre Familienstruktur ist nach wie vor fixer Bestandteil der Werte- und Moralvorstellungen besonders innerhalb der Mafia-Gesellschaften; doch habe ich auch eine Veränderung zwischen den Generationen feststellen können. Während Paten wie Riina oder Provenzano eisern im Gefängnis sitzen und keine Miene verziehen, noch jemals mit der Polizei zusammenarbeiten würden, haben die Jungen nicht mehr dieses Durchhaltevermögen, sie geben schneller auf und werden in Folge schneller zu „pentiti“. Vielleicht lösen sich auf diese Weise gewisse Strukturen von alleine auf.

 

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gorgias Sab, 08/01/2015 - 11:09

Es ist Zeit mit dem Mythos aufzuräumen Frauen seien die besseren Menschen. Wenn Frauen an die Macht kommen sind sie nicht besserer, egal ob Mafiaboss, KZ-Aufseher oder ganz einfach Politiker.

Sab, 08/01/2015 - 11:09 Collegamento permanente