#310717
Landhausplatz
Nach einer erfolglosen Weiterbildung in einer fernen Stadt, kam ich am vergangenen Freitag gegen 22 Uhr in Bozen an, stieg aus dem Zug und schlenderte in die laue Sommernacht. Aber was war da los? Ich hörte keine Grillen zirpen, ich hörte lautes Geschrei:
Schimpffreiheit, Schimpfreiheit, Schimpffreiheit… tönte es aus den Lautsprechern am Landhausplatz. Hier war ich wohl richtig. Mit feuchten Augen stellte ich mich unaufdringlich in die Menge. Leider hatten sich auch einige Schimpfgegner in die Menschenmenge gemischt. Wie widerlich.
Gebetsmühlenartig schloss ich mich dem Sprechchor an und polterte mal laut und mal leise: Schimpffreiheit, Schimpfreiheit, Schimpffreiheit…
Doch dann passierte, was passieren musste. Ein böser Schimpfgegner, der meinen ehrlichen Protest beobachtet hatte, ließ mich mit einem wohl geplanten feigen Attentat plötzlich ohnmächtig werden. Puttega!
Gerichtsplatz
Zu Anbruch des folgenden Tages erwachte ich am Bozner Gerichtsplatz. Wer mich wohl hierher gebracht hat? Schimpfgegner? Faschisten? Kommunisten? Anhänger des Movimento 5 Celle? Ich schaute in meinen Kalender, bemerkte dass dieser mir den 29. Juli anzeigte, den Geburtstag einer alten, großen Drecksau. Scheiße. Wer hatte mir das eingebrockt? Was hatte ich damit zu tun? Nur weil ich ein Schimpfer war?
Ich wischte mir die Augen, wollte geradewegs auf das Relief des Künstlers Hans Piffrader blicken, konnte allerdings sein „Kunstwerk“ am Finanzgebäude nicht erkennen. War es verdeckt?
Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen dachte ich mir, frei nach Hannah Arendt. Das passte zum Duce-Geburtstag wie die Faust auf`s Auge. Ich nahm mir das Recht und diesen Tag zum Anlass, mich über das Fascho-Arschloch anständig zu ärgern und beschimpfte das verdeckte Relief lauthals. In Richtung des Finanzgebäudes tobte ich: Benito, du elendige Drecksau, du Mörder, Egomane und Demagoge, du Scharlatan…
Mehrere Minuten bin ich ein leibhaftes Tourette-Syndrom in Flip Flops und kurzen Hosen, gegen welches es kein Gegengift gibt. Denkste.
Eisplatz
In meinem Schimpfwahnsinn werde ich plötzlich von hinten angegriffen. Eine zarte Hand fährt entlang meines Rückens nach oben, hin zum Nacken und besänftigt meinen Unmut. Eine feine Stimme fordert mich auf, meine Augen zu schließen und den Mund zu öffnen. Plötzlich spüre ich einen Ghiacciolo zwischen den Lippen. Lecker, lecker.
Mir fällt der Satz "Attraversando il fuoco, con un ghiacciolo in mano" (frei nach Jovanotti) ein, ich summe ihn vor mich hin, und freue mich endlich den passenden Impfstoff gegen so viel aufgestauten Schimpfstoff gefunden zu haben. Doch wie lange wird das Gegengift anhalten? Muss ich all meine Schimpftermine absagen? Ich werde mich wohl in meinen Giftkeller zurückziehen, alte Jovanotti-Scheiben rausholen. Vielleicht auch ein paar Schimpfgegner einladen, diese Trottel.
Wie immer erfreulich: Salto
Wie immer erfreulich: Salto Return.