Società | Flüchtlinge

"Wir müssen Acht geben"

Sind die Südtiroler ein "einig Volk von Flüchtlingshelfern" oder feige Beobachter eines zunehmenden Fremdenhasses? Florian Kronbichler versus Fritz Gurgiser.

Fritz Gurgiser ist sicher niemand, der die Zustände beschönigt. Das gilt auch für das Klima des Fremdenhasses, der angesichts der aktuellen Flüchtlingsproblematik in den Sozialen Medien um sich greift. Nicht umsonst hat der Obmann des Transitforums vergangene Woche mit einem Video der österreichischen Musikgruppe STS ein Statement für mehr Toleranz gesetzt. Allerdings hatte er zu dem Zeitpunkt noch nicht den salto-Artikel zu menschenverachtenden Hasspostings in Südtirol gelesen, der in den vergangenen Tagen rekordverdächtige Zugriffe verzeichnete. „Es ist also schon weiter fortgeschritten, als ich geglaubt habe“, meint Gurgiser nach der Lektüre von „Oschlogn und vergasen“. „Da geht es nicht mehr um das „Wehret den Anfängen“, sondern schon um das „Wehret den Fortgeschrittenen“.

Dass diese Meinungen und Positionen ausgerechnet aus dem Süden Tirols kommen, findet Fritz Gurgiser noch mehr zum Schämen – „weil ist, weil es ihnen ja gar so schlecht geht, wie wir alle wissen“, so sein Seitenhieb über den Brenner. Der beschränkt sich allerdings nicht darauf. Denn, wie Gurgiser in einer Aussendung austeilt:

„Und dann eine ‚Doppelstaatsbürgerschaft’ verlangen, bei jedem Furz die ‚Schutzmacht Österreich’ anrufen, aber diejenigen ‚ohschlogn’, ‚vergasen’ oder ‚oi untran wossr kearat des gsindl’ posten (obwohl ohnedies täglich Hunderte im Mittelmeer ersaufen), das passt nicht zusammen und ist schleunigst zu beenden.“

Obwohl selbst Gurgiser einräumt, dass es nur eine Minderheit sein mag, deren Gedankenwelt mit den heutigen Gegebenheiten nicht mehr zusammenpasse: „Wenn die Mehrheit, und vor allem die politischen Mandatsträgerinnen und Mandatsträger auf allen Ebenen, dazu schweigen, dann ist das eine Katastrophe“, findet er und ruft dazu auf, sich in der Diskussion auf das Grundrecht der Würde des Menschen statt auf jenes der Meinungsfreiheit zu berufen.

Südtirol ist ein einig Volk von Flüchtlingshelfern“

Ein vollkommen konträres Bild zeichnete dagegen am Wochenende SEL-Kammerabgeordneter Florian Kronbichler. „Südtirol ist ein einig Volk von Flüchtlingshelfern“, erklärte der SEL-Kammerabgeordnete in einem Facebook-Post, in dem er zahlreiche „gutgemeinte“ Aktivitäten im Land aufzählt.

„Hier nur aus dem Gedächtnis heraus, was mir an Meldungen über Gut-Gemeintes von diesem Wochenende hängen geblieben ist: Fußballverein organisiert „Mitspielgelegenheit“ für Flüchtlinge; Familienverband-Ortsgruppe lädt zu „Solidaritätsfrühstück“; bekannter Jugendbetreuer führt „Wanderungen“ mit Flüchtlingen; Starkoch „kocht“ mit Flüchtlingen, Bezirksgemeinschaft veranstaltet „Vorbereitung“ der Bevölkerung auf Unterbringung von 16 Flüchtlingen ...“

Dennoch wendet sich Florian Krobichler weniger an die Öffentlichkeit um zu loben als zu warnen. Sein Appell an das „Südtirol der Anständigen“: „Wir müssen Acht geben, es nicht zu übertreiben.“ Denn gut gemeint sei „halt gelegentlich doch das Gegenteil von gut“.  Warum? Einerseits weil gar zu gut gemeinte „Betreuung“ an der Würde rühre und sich eine „Überbetreuung leicht in fürsorgliche Belagerung verkehren kann“. Andererseits beruft sich der Kammerabgeordnete auf die immer häufiger zu hörenden Klagen von Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen. Unter Berufung auf den „erfahrenen Sozialreferenten einer Südtiroler Großgemeinde“ berichtet Kronbichler von wachsendem Sozialneid in Südtirols Bevölkerung.

„Zunehmend bekomme er von Leuten zu hören: „Um die wird der große Wirbel gemacht, und um uns schert sich niemand. Ich hab auch Probleme“. Es geht ums Recht, sich benachteiligt zu fühlen. Der Sozialreferent meint kleine Leute, die ihr Kind auch nicht im Sportverein unterbringen, mit denen auch niemand wandert, die auch kein Starkoch bekocht ... kurzum: Mit der Aufmerksamkeit für die neuen Mitbewohner wächst auch die Anzahl derer, die sich um ihr eigenes Recht aufs Klagen betrogen fühlen. „Da müssen wir Acht geben, dass die Stimmung nicht kippt“, sagt der Erfahrene.“

Müssen wir also Angst vor noch mehr „Oschlogn und vergasen“ haben, wenn Flüchtlingen Solidarität entgegen gebracht wird? Muss Gastfreundschaft versteckt werden, damit der Fremdenhass nicht weiter hochkocht? Wie die heiße Diskussion um Kronbichlers Post zeigt, ist es ein gefährlicher Pfad, auf den sich ein zweifelsohne als Gutmensch etikettierter  Politiker hier begibt. Allerdings präzisiert Kronbichler selbst, dass es nicht darum geht, in der Hilfsbereitschaft für die Flüchtlinge nachzugeben.

„Aber vielleicht sollten wir ein bisschen selbstverständlicher sein in unserem Helfen. Nicht alles soll die öffentliche Hand tun müssen, einverstanden, die Freiwilligkeit in Ehren, aber es soll auch nicht jede selbstverständliche Nächstenhilfe zur Eigenwerbung der Helfer verkommen. Das Flüchtlingsproblem wird noch größer werden. Auch in Südtirol. Drum, wer helfen will, ist gut beraten, sich nicht jetzt gleich zu verausgaben.“

Es gibt vieles zu sagen, zu diesem Einwand. Stellvertretend einer der Kommentare, die der Kammerabgeordnete damit bisher auf Facebook ausgelöst hat: „Wie man es macht, ist es falsch.“