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Freiheit? Welche Freiheit?

Wenn wir einmal voraussetzen, dass „Freiheit“ grundsätzlich eine Illusion ist - wie illusorisch ist dann wohl „Freiheit für Südtirol“? Wie stellen wir uns das vor? Mitten in Europa, heutzutage? Südtirol, wirtschaftlich unabhängig? Militärisch unabhängig? Rechtlich, sozial, ökologisch und was es noch alles geben mag: Unabhängig? Und frei? In unserer globalisierten Welt? Die ungeschminkte Wahrheit, wie’s wirklich ausschaut in Europa und der Welt, in Sachen „Freiheit und Unabhängigkeit“ sogar "altgedienter" und mächtiger, souveräner Staaten, das hören/lesen/sehen wir ja wohl täglich, und ganz besonders eindringlich in diesen letzten Jahren der „Krise/n“. So, und in diesem Kontext und in diesem Umfeld fühlen wir 500.000 Gretel und Hansel uns stark genug, von „Freiheit für Südtirol“ zu träumen und sie zu fordern. Wie romantisch ist das denn?
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.

Freiheit für? Oder Freiheit von?

So hat es also den Anschein, dass es bei diesen Forderungen sehr viel weniger um „Freiheit für Südtirol“, als vielmehr um „Freiheit von Italien“ gehen kann, denn das ist ein Unterschied, und kein geringer. Und da wäre sie dann auch schon, noch immer und noch immer unbeantwortet, die Frage, die ich meine: Warum bloß? Warum will man so unbedingt und ungeachtet aller damit verbundenen Gefahren und Ungewissheiten „los von Italien“? Geht es uns schlecht, bei diesem Italien? (Geht es uns nicht, es geht uns sogar sehr viel besser als den allermeisten Bürgern Europas!) Werden wir unterdrückt, geknechtet, unterjocht, von diesem Italien? (Werden wir nicht, wir können uns sogar ganz und gar frei entfalten, als „völlig andere“ unter völlig anderen!) Profitieren wir denn letztendlich nicht in ganz außerordentlichem Maße von dem „Spannungsfeld“, in dem wir leben und uns bewegen? Ist es denn nicht just dieses Spannungsfeld, das uns zu dem macht, was wir sind, nämlich ein spannendes kleines Völkchen? Sind wir das nicht auch oder gerade wegen der Schwierigkeiten, die wir zu meistern haben (und die wir meistern), und wegen der konstanten Reibung, der wir ausgesetzt sind und die uns wachbleiben heißt? Was bliebe denn übrig von uns, wenn es  nicht mehr gegeben wäre, all das, und noch ein paar Dinge mehr? Und ja, nicht zuletzt: Ich denke, glaube und fühle, dass für einen nicht unbeträchtlichen Teil aller Südtiroler auch das "italienische Gen" mittlerweile eine Rolle spielt, im Sinne der Identität. Sollen wir das alles wirklich aufs Spiel setzen? Und noch einmal: Wofür? Warum? Wozu?

Von der Traufe in den Regen

Nein, ich verstehe es nicht, und ich kann mir auch überhaupt nicht vorstellen, wie es uns anderswo oder anderswie noch besser gehen könnte als es uns eh schon geht. Wie stellen wir uns das vor? Eine Loslösung, die Schaffung eines gänzlich neuen politischen Subjekts – ohne neue Grenzen, und seien die noch so durchscheinend gewebt? Sind sie denn etwas anderes als reinste politische Hypothesen, die Visionen (!), die da vor uns ausgebreitet werden, in ihren schönsten Farben (aber das Leben, das hält sich an keine Hypothesen, und auch nicht an die hehrsten Wünsche und Ideale)? Was wäre z. B. mit unseren italienischsprachigen Landsleuten, die – zum Beispiel - emotional so stark am restlichen Stiefel hängen, wie die meisten unserer Freiheitskämpfer an ihrem Vaterland von vorvorgestern?  Sollen sie auswandern? Wollen wir ihnen eine Option zumuten, eine wie die, die uns deutschsprachigen Südtirolern immer noch böse in den Knochen steckt, sogar uns, die wir sie nicht auf der eigenen Haut erleben mussten?  Und, stellen wir uns doch weiter vor: Einmal geschaffen, dieses neue, unabhängige Südtirol mit seinen drei (mindestens, sehr wahrscheinlich werden es schon sehr bald ein paar mehr sein) Ethnien – wer getraute sich zu sagen, dass nicht übermorgen die italienische und/oder die ladinische oder eine der neuen Ethnien sich davon abzuspalten wünscht, weil jenes (neue) Südtirol „keine gute Antwort auf ein falsches oder richtiges System“ ist? Und, was dann?

Nein, es will und will mir nicht gelingen, diesen Wunsch nach einem eigenständigen Südtirol zu Ende zu denken, ohne unweigerlich in gefühlten 300 Sackgassen anzukommen. Es wäre, so will’s mir scheinen, die Loslösung unserer Provinz von Italien sehr viel mehr als nur eine falsche Antwort auf ein falsches oder richtiges, das sei hier mal dahin gestellt, System, sondern schlicht eine Übersiedlung, von einer „Abhängigkeit“ oder „Unfreiheit“ in die andere und – mal so richtig aus dem Bauch heraus gedacht -  es sieht wahrhaftig nicht so aus, als wäre die andere die bessere: Wir gelangten wahrscheinlich nicht vom Regen in die Traufe, sondern vielmehr von der Traufe in den Regen. Und wir könnten ganz schön nass werden bei dem Abenteuer.