Religion, Kunst, Freiheit
Beim eben zu Ende gegangenen internationalen Kongress der katholischen Theologen Europas im Forum Brixen habe ich den Vortrag von Letizia Ragaglia über "Aspekte des Religiösen in einigen Werken zeitgenössischer Kunst: eine Sprache für die Auseinandersetzung mit dem schrecklich Menschlichen? gehört.
Das letzte der vorgestellten Werke war Kippenbergers "Zuerst die Füße" (der Frosch!). Kein Skandal, kein Aufschrei der Theologinnen und Theologen, sondern Beifall für die Ausführungen der Rednerin!
Könnte die lokale Kirche dies nicht zum Anlass nehmen, die ungeschickte Geste eines in Kunstdingen unerfahrenen Mannes zu korrigieren und Thomas Sterna einzuladen, sein Bild, das aus der Ausstellung "CRUX" in der Hofburg entfernt werden musste, wieder in die Ausstellung zu bringen, vielleicht im Rahmen einer Gesprächsrunde mit Interessierten?"
Hirte und Herde
Was Theologen unter sich sagen und denken und was sie dem Volk zumuten sind zwei Paar Schuhe. Hier geht es darum, dass die Kirche nicht ihren Gläubigen etwas zumuten will, mit dem viele Überfordert sind und zwar sowohl emotional und intellektuell. Dies wurde im Sommer 2008 im Leserbriefteil einer Lokalzeitung reichlich dokumentiert.
Auch die Fraktion der Hardcoregläubigen will man nicht vor dem Kopf stoßen, und welche Firma läßt zu dass ihr Markenzeichen verunstaltet?
Die Kirche ist eine Organisation mit feudaler Betriebskultur und keine Aufkärungsanstalt. Ich glaube einige erwarten sich hier einfach zu viel.
In risposta a Hirte und Herde di gorgias
besser als ihr Ruf...
Die katholische Kirche ist bei Weitem besser als ihr Ruf (den sie bei dir hat). Worte eines Konfessionslosen - und somit neutralem - Bürger. Ich habe viele Vertreter dieser Kirche - einflussreiche und weniger - aus der Nähe kennenlernen dürfen und war immer wieder positiv erstaunt. Ich denke, Alles ist möglich im Vatikanbetrieb, aber die Reaktionszeiten einer 2000 Jahre alten Institution sind eben - biblisch... eigentlich auch durchaus verständlich bei 1,196 Milliarden Clubmitgliedern. Denen kann man - emotional und intellektuell - tatsächlich nicht alles zumuten, wie du richtig sagst.
Wenn die Muslime auch eine "feudale Betriebskultur" hätten, wäre vielleicht etwas mehr Ruhe auf dem Planeten. Man erinnere sich nur, welche dramatischen Auswirkungen die demenziellen Äußerungen eines bekannten Lega-Nord-Politikers hatten. Da hat die katholische Kirche ihre Schäfchen doch (Gott sei dank) weitaus besser im Griff...
In risposta a Hirte und Herde di gorgias
Unter Schafen
Lieber Frank,
du erwähnst die "dramatischen Auswirkungen der demenziellen Äußerungen eines bekannten Lega-Nord-Politikers", und suggerierst, dass die etwas mit dem islamischen Pendant zur katholischen Kirche zu tun hatte. Nur, genau so wie die Attacken gegen den Frosch nicht von der Kirche gesteuert wurden, sondern sich dem Umstand verdankten, dass eine Lokalzeitung im Lokalwahlkampf den Wahlkämpfenden desto mehr Gehör verschaffte, je demenzieller sie sich gerierten, genau so erklärte sich die Attack auf das italienische Konsulat in Benghazi (wenn du darauf anspielst) nicht aus dem Islam oder seinem Klerus (wenn es denn einen solchen gäbe), sondern aus den politischen Gegebenheiten in der Diktatur eines durch und durch demenziellen Diktators in Libyen.
In risposta a Hirte und Herde di gorgias
Lieber Salt
ich sage ja auch nicht, dass die Ereignisse "Frosch" und "Calderoli" vom jeweiligen Klerus ausgegangen sind. Ich wollte nur sagen, dass die von Gorgias kritisierte Hierarchie der katholischen Kirche für gigantisch große Religionsgemeinschaften besser geeignet zu sein scheint, als der zerstückelte und zerstrittene Klerus der Muslime, den Diktatoren allgemein gerne für ihre Interessen ausgenutzt haben (s. Gheddafi) und ausnutzen (s. aktuelle Weltlage und speziell im Nahen Osten)...
Danke für Herz und Kommentar, und noch ein paar Gedanken
Ich nehme an, dass nichts Dramatisches passiert wäre, wenn das Foto mit dem Frosch-Tattoo in der Ausstellung verblieben wäre, und vor allem hätte man sich ja auf eventuelle Kritik oder Proteste vorbereiten können. Es müsste doch nicht so schwer sein, zu erklären, dass das Kreuz nicht für Jesus erfunden worden ist, sondern in der damaligen Zeit eine der üblichen grausamen Strafen war, und dass Kippenbergers Frosch nicht als Spott auf den gekreuzigten Jesus zu verstehen ist, sondern als Geste eines zerrissenen Künstlers, der sich selbst am Kreuz sieht.
Eine Diskussion könnte dann auch die allgemeine Frage nach dem aufwerfen, welche Äußerungen in unserer Gesellschaft erlaubt bzw. verboten sein sollen. Schade also!
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die übertriebene Vorsicht eines Kirchenmannes, der sich vermutlich nicht viel mit zeitgenössischer Kunst auseinandersetzt, nicht die grundlegende Frage zu einer Ausstellung mit dem Thema „CRUX“ darstellt. Die Sache ist dumm gelaufen, und das tut mir vor allem für den Künstler Thomas Sterna leid, aber man kann nicht sagen, dass die Kunstfreiheit hierzulande ganz allgemein in einem Maße bedroht ist, dass man von einem Skandal reden müsste. Das Bild war ja schon im Jahr vorher für einen Monat in der Stadtgalerie Brixen ausgestellt und niemand, auch kein Kirchenmann, hat damals protestiert.
Die eigentlichen Fragen sind doch jene, die an den theologischen Deutungen des Kreuzes ansetzen. Jesus, der die Menschen auffordert: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ ist eine Sache, das Bild eines allmächtigen und allwissenden Gottes, der die Folter Jesu am Kreuz als notwendige Sühneleistung für die verfehlten Taten der von ihm erschaffenen Geschöpfe verlangt, ist etwas ganz anderes. Es würde der Kirche guttun, dieses Bild entschieden und offiziell zu verabschieden. Sie hätte dann immer noch genug damit zu tun, eine halbwegs überzeugende Begründung dafür zu geben, warum ihr allmächtiger und allwissender und allgütiger Gott nicht zumindest die allerschlimmsten zwischenmenschlichen und natürlichen Tragödien verhindert – Freiheit hin oder her.
Die organisierten Religionsgemeinschaften sind menschliche Institutionen, die im Lauf ihrer jeweiligen Geschichte Gutes und Schlechtes bewirkt haben. So war es nun einmal, und so wird es wohl noch lange sein. Wenn die Menschheit Glück hat, wird sie einmal soweit kommen, dass alle Weltanschauungen die Grundregeln eines respektvollen Umganges über das richtige Glauben stellen werden.