Società | Verhärtete Fronten

Ideologischer Kampf um Leihmutterschaft

Wieder einmal wird in Italien bei ethisch delikaten Themen alles politisch instrumentalisiert und ideologisch aufgeladen. Eine sachliche Debatte scheint unmöglich.
Avvertenza: Questo contributo rispecchia l’opinione personale dell’autore e non necessariamente quella della redazione di SALTO.
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Die Diskussion um die Übertragung von im EU-Ausland anerkannten Elternschaften ist in Italien zu einer ideologischen Schlacht ausgeartet. Rechte Reaktionäre und progressive Aktivisten bezichtigen sich gegenseitig inhumaner Haltungen. Von den einen heißt es, Leihmutterschaft wäre schlimmer als Pädophilie, von den anderen, Kinder würden aus Homophobie ihren Eltern gegenüber diskriminiert.

Auslöser der erhitzten Debatte war die Abstimmung im Senat über eine EU-Norm, laut der in einem EU-Land festgestellte Eltern-/Kindschaft automatisch in allen anderen Mitgliedsstaaten anerkannt werden muss. Konkret sollen Interessierte beantragen können, als Eltern ins Melderegister ihrer wo auch immer in der EU gelegenen Wohnsitzgemeinde eingetragen zu werden. Dies ohne Überprüfung des Bestehens der Elternschaft seitens der örtlichen Behörden und unabhängig davon, ob die Art der  Begründung der Elternschaft eine vom italienischen Recht vorgesehene Form darstellt.

In dem aufbrandenden Schlagabtausch zwischen Rechten, angeführt von Fratelli d’Italia von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni („donna e mamma“) und Linken, angeführt vom PD der neuen Vorsitzenden Elly Schlein („non mamma e non per questo meno donna“) wurde das Schlachtfeld auf das gesamte, konträre Familienbild der beiden Weltanschauungslager ausgeweitet und verschiedene Themen vermischt, was eine chaotische Polarisierung zwischen den rivalisierenden Lagern mit sich brachte. Da wird dann schon mal als homophob bezeichnet, wer in dem Emotionengewirr die Leihmutterschaft kritisch betrachtet. Das könnte auch damit zusammenhängen, dass im Heimatland der katholischen Kirche eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem sich möglicherweise veränderten Verständnis von Familie und Elternschaft bisher nicht wirklich angegangen wurde und sich diesbezügliche Debatten großteils in symbolischer Rhetorik und Schlagabtauschen erschöpften. Mag sein, dass sich die meist mit knapper Mehrheit regierenden Koalitionen mit diesen spaltenden Themen nicht die eigene Wählerschaft verprellen wollten. Familienpolitische Entscheidungen flossen eher verdeckt in technische Maßnahmen wie die Ausgestaltung der Kriterien der ISEE, die kinderreichen Familien mit lediglich einem Einkommen größere Unterstützung zukommen lassen oder die Erwerbstätigkeit beider Eltern als zu fördernden Faktor vorsehen können. Auch in Melonis für 2024 geplante Steuerreform spielt ein bestimmtes Familienbild hinein, und zwar durch die Einführung eines Familienquotienten, der für „famiglie monoreddito“ weit größere Entlastungen vorsieht als für solche, in denen beide Partner annähernd gleich viel verdienen.

Dabei wäre eine breite gesellschaftspolitische Debatte darüber, welche Definitionen von Familie die Mehrheit der Staatsbürger heute für angemessen erachtet, angezeigt, um der Familienpolitik längerfristige Leitplanken zu geben und den Schlingerkurs mit seinen unzähligen, untereinander nicht abgestimmten Normen im Arbeits- und Steuerrecht, im Familienrecht und bei Sozialleistungen zu beenden.

Laut geltendem Recht gründet die Elternschaft in Italien entweder auf biologischer Vater- und Mutterschaft oder auf Adoption. Letztere ist vom Gesetz verschiedengeschlechtlichen Paaren vorbehalten, in Sonderfällen wird sie auch Singles zugestanden. Dank der Stiefkindadoption kann der Ehepartner das Kind der Gattin adoptieren und umgekehrt. Nachdem die Rechtsprechung im Jahr 2007 diese Möglichkeit von Eheleuten auch auf Lebenspartner ausgedehnt hatte, stand diese Möglichkeit grundsätzlich auch gleichgeschlechtlichen Paare offen. 2014 hat das Jugendgericht von Rom erstmals einen konkreten Fall in diesem Sinne entschieden und das Kassationsgericht 2016 dieses Recht in letzter Instanz bestätigt.

Von diesem Startpunkt aus wäre eine umfassende Debatte über die im Raum stehenden ethischen Fragestellungen zu führen. Mit sachlichen Argumenten und demokratischen Verfahrensweisen folgend, weniger hysterisch und der Bevölkerung gegenüber verständlich kommunizierend. Und die Themenbereiche entflechtend. Die da wären:

Sollen gleichgeschlechtliche Paare Kinder adoptieren dürfen?

Sollen das auch Singles grundsätzlich dürfen oder weiterhin nur unter stark eingeschränkten Bedingungen?

Soll, kann das Adoptionsverfahren schneller und kostengünstiger gestaltet werden?

Soll die Leihmutterschaft als eine der gesetzlichen Formen der Elternschaft in Italien anerkannt werden?
Falls nein, wie soll mit der Anerkennung von im Ausland mittels Leihmutterschaft geborener Kinder verfahren werden? Soll dabei unterschieden werden, ob beide Elternteile durch Eizellen- und Samenspenden biologische Eltern des Kindes sind, nur einer oder gar keiner?

Im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens sollten solche und eventuell weitere Grundsatzfragen in der Öffentlichkeit des parlamentarischen Diskurses erörtert und nachvollziehbare Entscheidungen getroffen werden. Unter Aufhebung der Fraktionsdisziplin, um eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen zu ermöglichen. Ergänzend steht die Möglichkeit der Volksbefragung über die vom Parlament beschlossene Regelung offen, was dem Prozess und der Entscheidung eine größere demokratische Legitimation verleihen könnte. Dies auch angesichts der Tatsache, dass die Positionen in der Bevölkerung, wie bei solchen Themen, üblich nicht deckungsgleich sind mit jenen der Partei, der sie sich laut Umfragen zugehörig erklären. Laut diesen Umfragen gibt es derzeit in der Bevölkerung eine große Mehrheit für die Adoption durch verschiedengeschlechtliche Paare, während sich die Befragten beim Thema Leihmutterschaft in etwa die Waage halten, mit einer leichten Tendenz zu einem Verbot.

Unabhängig davon erscheint jedoch wichtig, dass Italien zu diesen Themen grundsätzliche Entscheidungen trifft, anstatt herumzuwursteln und aufgrund eines Flickwerks aus Normen, Urteilen und sich überschneidenden Zuständigkeiten Schleichwege zu eröffnen, auf denen jene Ziele erreicht werden können, die das staatliche Gesetz eigentlich untersagt. Wenn in Italien ansässige italienische Staatsbürger zwischen Indien, Tschechien und Kanada für durchschnittlich 100.000 Euro (von denen 15-20.000 bei der betreffenden Leihmutter ankommen) ein Kind austragen und gebären, ihre Elternschaft je nach Geburtsland zunächst in einem anderen EU-Staat anerkennen und schließlich ins Melderegister ihrer Wohnsitzgemeinde transkribieren lassen können, dann wäre vielleicht doch eine systematische Neuregelung der Materie nach eingehender Beleuchtung aller involvierten Aspekte angezeigt, die entweder die Leihmutterschaft in Italien gesetzlich regelt und erlaubt oder die aktuelle Hintertür-Praxis unterbindet. Dabei handelt es sich um ein gesamtgesellschaftliches Thema, bei welchem die verschiedenen Meinungen nicht als Einstellungen zu gleichgeschlechtlichen Lebensformen instrumentalisiert werden sollten. Dies, zumal 9 von 10 Anträgen auf Registrierung von im Ausland anerkannten Eltern-/Kindschaften von verschiedengeschlechtlichen Paaren gestellt werden.
Aber anstatt eine Grundsatzdebatte zu führen, scheint die rechteste Regierung der italienischen Republik die Abkürzung zu nehmen und kurzerhand auch die im Ausland in Anspruch genommene Leihmutterschaft strafrechtlich verfolgen zu wollen. Ende der Diskussion.

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Michael Bockhorni Sab, 04/08/2023 - 10:02

"Konkret sollen Interessierte beantragen können, als Eltern ins Melderegister ihrer wo auch immer in der EU gelegenen Wohnsitzgemeinde eingetragen zu werden" Also ich finde keine Angaben zu den Eltern im Wohnsitzformular in Südtirol (auch nicht im Meldeformular in Österreich). Diese Angaben finden sich doch auf Geburtsurkunden und sind somit eher die Zuständigkeit von Standesämtern. Der Artikel spricht wichtige Aspekte der Familienpolitik in Italien an, allerdings leider ebenso durcheinander und nur "angerissen", wie der Autor selbst kritisiert. Die Einführung eines Familienquotienten für „famiglie monoreddito“ würde tatsächlich die faire Verteilung von Familien- und Erwerbsarbeit zwischen den Eltern und somit die Vermeidung von Altersarmut massiv erschweren. Ein breiter gesellschaftspolitische Diskurs in formeller und transparente Form (u.a. mit einer Ethikkommission) muss die verschiedenen Professionen bzw. Organisationen aus dem Bereich Familie, Pädagogik, Psychologie, Soziales, Recht usw. umfassen als Basis für eine (partei)politische Debatte und gesetzliche Reformen.

Sab, 04/08/2023 - 10:02 Collegamento permanente