Economia | Maskenaffäre

Anzeige wegen Fälschung

Die Firma Oberalp hat dem Sanitätsbetrieb jetzt eine Zahlungsaufforderung über 28 Millionen Euro zugestellt. Zudem ist ein mysteriöses, gefälschtes Dokument aufgetaucht.
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Foto: Sabes
Die Hiobsbotschaft kam vor rund 10 Tagen.
Das Unternehmen Oberalp hat über seine Anwälte dem Südtiroler Sanitätsbetrieb eine sogenannte „diffida“ zukommen lassen. Es ist eine anwaltschaftliche Aufforderung zur Bezahlung jener in China produzierten Schutzausrüstung, die letztlich zum sogenannten Südtiroler Maskenskandal und zu den laufenden Ermittlungen der Bozner Staatsanwaltschaft geführt haben.
Der renommierte Sportartikel-Hersteller fordert vom Sanitätsbetrieb 28 Millionen Euro.
Es geht dabei um zwei Bestellungen, die der Sanitätsbetrieb gemacht hat. Mitte März 2020 hatten Florian Zerzer, Marc Kaufmann & Co KN95-Masken, chirurgische Masken und medizinische Schutzanzüge im Wert von 9,3 Millionen Euro geordert. Nach der Lieferung eines Großteils der Ware zahlte die Sanität dafür rund 6 Millionen an Oberalp. Mit der Abmahnung fordert das Unternehmen jetzt nicht nur die restlichen 3 Millionen ein, sondern auch eine weit größere Summe für eine zweite Bestellung, die Anfang April 2020 gemacht wurde. Dabei geht es um 25.085.000 Euro.
Oberalp-Besitzer Heiner Oberrauch hat mehrmals offen erklärt, dass dieses Finanzloch von fast 30 Millionen Euro für sein Unternehmen existenzgefährdend sei. Allen Beteiligten war deshalb seit längerem klar, dass Oberalp die Bezahlung notfalls vor Gericht einfordert wird. Diese formelle Zahlungsaufforderung ist der erste Schritt dazu.
 

Aufgeschreckter Aufsichtsrat

 
Der Schreiben des Oberalp-Anwaltes kommt so für die Führung des Sanitätsbetriebes keineswegs überraschend. Dennoch löst der Schritt vor allem im Aufsichtsrat des Südtiroler Sanitätsbetriebes jetzt einige Hektik aus.
Weil Dieter Schramm, Karin Runggaldier und Giorgia Daprà die Risiken einschätzen müssen, die aus der Maskenaffäre auf den Betrieb zukommen, hat sich der Aufsichtsrat auf seinen letzten beiden Sitzungen mit den Oberalp-Lieferungen beschäftigt. Dabei wurden auch die Leiter der Rechtsämter und die verantwortlichen Bereichsleiter angehört. Auf der Aufsichtsratssitzung vom 20. April 2021 wurde zudem vom Sanitätsbetrieb eine detaillierte Dokumentation vorgelegt und geprüft.
 
 
 
Einige Tage später haben die Oberalp-Anwälte dem Sanitätsbetrieb ihre diffida zugestellt. Auch diesem Schriftstück sind Dokumente beigelegt. Es handelt sich dabei unter anderem um den Schriftverkehr zwischen der Führung des Südtiroler Sanitätsbetriebes und dem Privatunternehmen. Daraus geht eindeutig hervor, dass Florian Zerzer & Co über alle Schritte des Unternehmens bei der Maskenbeschaffung und der Lieferung informiert waren und sie gutgeheißen haben.
Damit verbessert sich die Position von Oberalp in einem sich abzeichnenden Gerichtsstreit noch einmal deutlich.
Das Problem dabei: Große Teile dieser Dokumente war den Aufsichtsrat des Sanitätsbetriebes bisher nicht vorgelegt worden und damit nicht bekannt.
 

Kein Vertrag?

 
Wie chaotisch und absurd die gesamte Situation um die Oberalp-Lieferungen ist, wird aus einem Detail mehr als deutlich. Der Sanitätsbetrieb hat Schutzmaterialien im Wert von fast 35 Millionen Euro bestellt und inzwischen davon über 7 Millionen Euro an Oberalp gezahlt, aber es gibt bis heute keinen formellen von beiden Seiten unterschriebenen Vertrag. Weder für die ersten, noch für die zweite Lieferung.
Laut dem Sanitätsbetrieb gebe es nur einen „Vertragsentwurf“. Ob diese Interpretation aber vor einem Gericht stand hält, darf bezweifelt werden. Der Landtagsabgeordnete Paul Köllensperger hat per Landtagsanfrage Akteneinsicht zur Oberalp-Lieferung verlangt. Landesrat Thomas Widmann hat dem Team K-Kopf das „Vertragsabkommen“ für die erste Lieferung übermittelt.
 
 
 
Unter dem Betreff: "Vertragsabschluss“ und dem  „CIG: 82487099FF“ heißt es darin wörtlich:
 
„Mit gegenständlichem Schreiben wird der Vertrag zwischen der Firma Ober Alp S.p.A., mit Sitz in Bozen, Waltraud-Gebert-Deeg-Straße 4, St.Nr. 00122250210, und dem Sanitätsbetrieb der Autonomen Provinz Bozen für die Lieferung von verschiedener PSA an den Sanitätsbetrieb der Autonomen Provinz Bozen als dringende Maßnahme zur Eindämmung und Bewältigung des epidemiologischen Notstandes aufgrund des COVID-2019 gemäß Angebot der Firma Ober Alp S.p.A. vom 13.03.2020 wie folgt abgeschlossen.“
 
Es folgen die genaue Aufstellung der zu liefernden Waren, alle Vertragsbedingungen und der Gesamtpreis von 9.302.000 Euro.
 

Fragliche Rückerstattung

 
Unterzeichnet ist dieses Schreiben vom 17. März 2020, das per Pec-Mail versendet wurde, vom Direktor der Bezirksabteilung Einkäufe und Ökonomatsdienste Renato Martinolli. Ausgearbeitet wurde es von der Direktorin des Amtes für den Ankauf sanitärer Verbrauchsgüter Sophie Biamino.
Die Sachbearbeiterin hat dabei genau darauf geachtet, dass – trotz der damaligen Notlage - alle gesetzlichen Bestimmungen eingehalten werden. So steht in dem „Vertragsabschluss“ ein Standardsatz, der in allen gleichlautenden Verträgen enthalten ist: „Die Transport- und evtl. Zollkosten sind im oben angeführten Preis inbegriffen.
Es war einer der Punkte, der für den zuständigen Oberalp-Finanzchef Manuel Stecher, als nicht annehmbar angesehen wurde. Nachdem sich Amtsdirektorin Biamino aber nicht erweichen ließ, wurde ihr die gesamte Angelegenheit kurzerhand von ihren Vorgesetzten entzogen.
 
 
Obwohl der Vertragsentwurf nie geändert wurde, beschließt der Sanitätsbetrieb genau zwei Wochen später, am 31. März 2020 „der Firma Ober Alp Ag laut Prämissen, die für den Flugtransport vom Flughafen Xiamen in China bis zum Flughafen Wien durch Lufthansa Cargo AG vorgestreckten Spesen in der Höhe von € 705.603,23 + MwSt. zurückzuerstatten“.
Das Geld wurde auch umgehend an das Unternehmen überwiesen.
Auf welcher rechtlichen Grundlage diese einseitige Änderung der Vertragsbestimmungen erfolgte, bleibt bis heute ein Geheimnis des Glaubens.
Doch es kommt noch schlimmer.
 

Gefälschtes Dokument

 
Seit 11 Monaten tickt rund um die undurchsichtige und verzwickte Vertragssituation eine kleine Bombe.
Bereits im Frühsommer 2020 findet in der Anwaltschaft des Landes eine Aussprache zu den Oberalp-Lieferungen mit den zuständigen Abteilungsdirektoren Enrico Wegher und Renato Martinolli, dem Direktor des Rechtsamtes des Sanitätsbetriebes Marco Cappello und dem damaligen Direktor der Vergabeagentur Thomas Mathá statt. Dabei wird plötzlich ein Vertragsabkommen zur zweiten 25-Millionen Lieferung vorgelegt.
Es handelt sich dabei um eine Pec-Mail des Sanitätsbetriebes vom 7. April 2020 an die Oberalp Ag mit der der Sanitätsbetrieb den „Vertragsabschluss“ für die 25-Millionen-Lieferung mitteilt. Das Dokument ist mehr oder weniger identisch mit dem Schreiben vom 17. März 2020. Nur die Zahlen, die Mengen und der Preis wurden ausgetauscht.
 
 
Auch dieses Dokument ist digital von Renato Martinolli unterzeichnet. Zudem scheint auch hier Sophie Biamino als „Sachbearbeiterin“ auf.
Als die Amtsdirektorin wenig später von diesem Schreiben Kenntnis erhält, fällt sie aus allen Wolken. Denn Biamino hat dieses Dokument niemals vorher gesehen und schon gar nicht bearbeitet.
Im Juli 2020 erstattet sie deshalb Anzeige bei den Carabinieri wegen Falschbeurkundung (denuncia di falso).
Bis heute ist nicht klar, woher dieses Schreiben kommt.
Auf der letzten Aufsichtsratssitzung des Sanitätsbetriebes tischten der zuständige Abteilungsdirektor Renato Martinolli und Verwaltungsdirektor Enrico Wegher eine abenteuerliche Erklärung für dieses Schreiben auf. Es handle sich um einen Entwurf, der aus Zeitgründen von der Firma Oberalp vorbereitet und dann von Martinolli an das Unternehmen verschickt wurde. Ein Entwurf, der aber vom Sanitätsbetrieb nie angenommen wurde.
Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Es handelt sich um einem 25-Millionen-Euro-Auftrag und ein Scheiben auf dem offiziellen Briefpapier des Sanitätsbetriebes und unterzeichnet vom zuständigen Bereichsleiter. Angeblich vom direkten Begünstigten entworfen.
Amtsdirektorin Sophie Biamino bestätigte dem Aufsichtsrat ihre Anzeige wegen Falschbeurkundung. Zudem erklärte sie auch, dass sie – wie es das Disziplinarrecht vorschreibt – ihre Anzeige vorab auch dem Rechtsamt des Sanitätsbetriebes übergeben habe.
Bis heute hat die Amtsdirektorin von ihrem Arbeitgeber dazu aber nichts mehr gehört.