Cultura | Aus meinem Bücherregal

Der Vinschgauer Sonnenberg

Die dritte Ausgabe „seiner“ Kulturzeitschrift widmet Hans Wielander dem Vinschgauer Sonnenberg. Er fragt sich eingangs zurecht: „ Kann eine Landschaft Gedächtnis haben? Der Sonnenberg hat Gedächtnis und also Geschichte: geprägt und gezeichnet – neben den gewaltigen Naturkräften – durch die Eingriffe der hier seit Jahrtausenden siedelnden Menschen. Aber wer vom Berg lebt, ist an seinem Leben interessiert und nun versucht man, die Wunden zu heilen .„
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Wind, Sonne, Wasser, Frost und Hitze sind die Gestalter dieser Landschaft. Nach Brandrodung und Raubbau am Wald wurde die fruchtbare Bodenschicht von den meist heftigen Regengüssen weggeschwemmt. Die waldarmen Flanken, die „Sonnleiten“ lassen das Material und die Struktur des Berges wie ein Skelett hervortreten und verleihen der Landschaft das Unheimlich-Monumentale.

Der Vinschgau ist das klassische Beispiel einer inneralpinen Trockenzone. Wegen seiner Steppenvegetation gehört der Sonnenberg zu den interessantesten Forschungsgebieten des Alpenraumes und bietet zudem ein eindrucksvolles Landschaftselement. Während der Nörderberg einen ausgeglichenen Wasserhaushalt aufweist, herrscht am Sonnenberg durch die intensive Sonneneinstrahlung die Trockenheit vor. Diese Umstände kamen aber dem Anbau von Getreide zugute, der den Bauern einen gewissen Wohlstand brachte und den Vinschgau zur Kornkammer Tirols werden. Heute ist man fast ausschließlich zur Gras- und Viehwirtschaft übergegangen, zumal die neuen Beregnungsanlagen das Wasserproblem besser lösen. Schon längst sind die spielerisch kreisenden Wasserfontänen, in deren Wasserschleier sich Wind, Sonne und Regenbogen fangen, zu einem Lebenssymbol des Sonnenberges geworden.

Früher waren die Wasserwaale eine wesentliches Landschaftsmerkmal und ein wichtiger Bestandteil der Landwirtschaft im Kampf gegen die Versteppung. Die Waale, teilweise so alt wie die Besiedlung selbst, machen eine Bodenkultur überhaupt erst möglich und durchpulsen das Gelände wie der Blutkreislauf den Körper. Sie zaubern Inseln der Fruchtbarkeit hervor, die am Sonnenberg, wo die Bewässerung nicht mehr hinreicht, plötzlich in Steppe übergeht.

Die Waale sind gekennzeichnet durch üppigen Baumwuchs und lange Buschreihen, in denen auch eine Menge Kleintiere ihren Lebensraum finden. In den Wiesen entstehen die typischen „Ilzen“, diese dünenartigen, langgestreckten Hügel, über deren Scheitel ein kleiner Verteilerwaal führt. Das Wasser hat im Laufe der Zeit beim Bewässern der Wiesen eine Menge Sand und Schlamm angeschwemmt, der sich im Gras wie bei einem Filter absetzt und den Hügel wachsen lässt.

Die bis noch vor einigen Jahren im Sommerwind wogenden Roggenfelder am Sonnenberg ließen die Leute zu folgendem Spruch hinreißen:

                                                 Sonnenseit gebenedeit,

Nörderseit vermaledeit,

sein nicht als Stauden

und Teufelsleit.