“Wir können das absolut nicht dulden”
salto.bz: Herr Stauder, Sie haben am vergangenen Samstag die Holzschilder im Brunnen an der Maria-Hilf-Straße entdeckt. Was hat sich seither getan?
Harald Stauder: Wir haben bei den Carabinieri Anzeige erstattet. Ich habe sie zufällig vor mir liegen.
Was steht drin?
Es ist ein Strafantrag gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung und Schmierereien auf einem öffentlichen Eigentum. Das ist der Straftatbestand. Der Tatbestand, jetzt zitiere ich wieder, abgesehen von der Meinungsfreiheit eines jeden, kann von der Gemeindeverwaltung nicht geduldet werden und die Schmierereien mit der Farbe im Wasser ist absolut nicht in Ordnung.
Lana, 30. Juli 2016: die Aktion weist stark auf die Identitäre Bewegung hin.
Das eine ist der Tatbestand laut Strafgesetzbuch. Das andere die perfide Aussage der Aktion beziehungsweise die Ideologie dahinter – sollte es sich tatsächlich um eine Aktion der Identitären Bewegung handeln. Sie gehen davon aus?
Das mit den Identitären war, nun ja, eine spontane Vermutung von mir. Aber wenn man sieht, wie der Buchstabe “O” bei “Europe” gestaltet ist, dann deutet das halt doch sehr stark darauf hin. Das griechische Lambda verwendet die Bewegung ja als Symbol. Und vom Ideologischen her würde es natürlich auch passen, wenn da auf den Brettern steht “Multikulti tötet”. Wenn man die Ideologie kennt, dann weiß man, dass solche Aussagen den Identitären nicht fremd sind.
Ich bin sehr optimistisch, dass der Vorfall aufgeklärt wird.
Kennen Sie die Identitäre Bewegung, die inzwischen in mehreren europäischen aktiv ist, steckt und die Forderungen, mit denen sie an die Öffentlichkeit tritt?
Ich habe recherchiert, die Sache hat mich das ganze Wochenende gekostet. Aber es interessiert mich ja selbst auch, aus gesellschaftspolitischer und soziologischer Sicht.
Worauf sind Sie gestoßen?
Bei meiner Recherchetätigkeit bin ich auf der Webseite der Identitären Bewegung in Österreich gelandet. Wenn man sich die Seite anschaut, dann sieht man, dass in Graz vor wenigen Wochen eine ähnliche Aktion gestartet wurde. Ein zweiter Hinweis darauf, dass die Vermutung nahe liegt, dass die Identitären auch in Lana dahinter stecken.
Soweit bekannt ist, sind Mitglieder einer Identitären Bewegung weder in Lana noch in Südtirol bisher mit Aktionen in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum gerade jetzt?
Ich habe gesehen, dass es eine Facebook-Seite “Identitäre Bewegung Südtirol” gibt. Mit 1.500 Likes in etwa. Es gibt diese Bewegung also bei uns. Aber die Identitären haben es ja so an sich, dass sie nicht unbedingt große Veranstaltungen abhalten oder irgendwelche Mitgliedskarten ausgeben.
Die Frage war: Warum gerade jetzt?
Das lässt sich unter anderem an den Reaktionen, die es in Lana auf die Aktion gegeben hat, ablesen. Die Leute, die davon mitbekommen haben, haben die Orte, die auf den Schildern geschrieben standen und an denen Attentate stattgefunden haben, natürlich wiedererkannt. Entsprechend die Reaktionen: “Na, aufpassen müssen wir schon”, “Es ist doch gefährlich geworden”, “Man weiß ja nie, was passiert.” Man merkt einfach, dass die Leute verunsichert sind.
Und die nächste Frage: Warum in Lana?
Das ist kein Lana-Spezifikum und auch kein Südtirol-Spezifikum. Sondern Unsicherheit herrscht mittlerweile in ganz Europa. Die Leute haben Angst vor dem, was noch auf sie zukommt.
Bleiben wir in Lana: Es ist nicht das erste Mal, dass Fremdenfeindlichkeit offen zutage tritt. Man denke an die Wandschmierereien von vor wenigen Wochen…
In diesem Fall hat es Entwicklungen gegeben, die wir zu gegebener Zeit bekannt machen werden. Soweit dazu. Ich wiederhole: Es handelt sich hierbei um kein Lana-spezifisches Thema. Wenn ich mit Kollegen von anderen Gemeinden spreche, dann sehen sie das auch so. Und wenn ich mit Kollegen aus Österreich oder Deutschland diskutiere, dann ist dieses Unwohlsein auch dort ein Thema, ebenso wie in der Bevölkerung im restlichen Staatsgebiet. Ich habe vor einiger Zeit mit einem Kollegen aus Mittelitalien gesprochen, der gemeint hat: “Siamo in altomare” – was die Stimmung betrifft. Den Leuten fehlt die Sicherheit. Wo hält man sich fest?
links: eine Aktion der Identitären Ende Juli im steirischen Voitsberg, rechts: dieselben Schilder mit denselben Schriften am 30. Juli in Lana
Worauf führen Sie diese Ängste, auch vor der Zukunft, zurück?
Auch auf ein Versagen der Politik, das in der aktuellen Situation rund um die Flüchtlinge festzustellen ist. Es wird zu wenig aufgeklärt, man weiß zu wenig. Man sagt, “Alle sind willkommen”. Aber wo ist die Rolle des Staates, wer lenkt das Ganze? Da gibt es sicherlich noch viel zu tun, um den Leuten wieder Sicherheit zu geben.
Eine Aufgabe, die auch der Politik und somit Ihnen als gewählter Volksvertreter zufällt?
Wenn die Politik nur mit Schlagworten arbeitet, wird sie auch Schlagworte ernten. Daher: Es ist hoch an der Zeit, die Leute mitzunehmen in diesem ganzen Prozess, ihnen die Ängste zu nehmen und ihnen die Sachen möglichst so erklären, dass man nicht Angst haben muss vor der Zukunft.
Abgesehen von der Strafanzeige, plant die Gemeindeverwaltung in Lana weitere Initiativen nach der Bretter-Aktion?
Nicht direkt. Wir haben ein Netzwerk für kulturelle Vielfalt, wo der Vorfall sicher aufgegriffen werden wird. Aber wie gesagt, das war eine Einzelaktion und absolut kein großes Thema.
“Na, aufpassen müssen wir schon”, “Es ist doch gefährlich geworden”, “Man weiß ja nie, was passiert.” – Man merkt einfach, dass die Leute verunsichert sind.
Wegschauen ist aber wohl auch keine Lösung?
Nein, natürlich nicht. Deswegen habe ich ja reagiert. Wir hätten die Schilder auch einfach aus dem Brunnen herausnehmen und zur Tagesordnung übergehen können. Aber das darf es halt auch nicht sein. Aber noch einmal: In Lana ist die Stimmung nicht anders wie in Meran, in Ulten, in Bruneck oder in Sterzing. Wir müssen feststellen, die Leute fühlen sich alleine gelassen, es ist eine Unsicherheit da. Und da ist es absolut die Aufgabe der Politik, eine Hilfestellung zu leisten. Denn ansonsten geht es sicherlich nicht in die richtige Richtung.
Die Nachbargemeinde Meran nimmt weitere 25 Flüchtlinge auf, das Land ist immer noch auf der Suche nach weiteren Unterkünften. In Lana sind bislang keine Asylbewerber untergebracht. Können Sie sich vorstellen, dass sich das in Zukunft ändert?
Wir sind, wie jede andere Gemeinde auch, in der Pflicht. Es gibt schon eine enge Kooperation mit der Gemeinde Tisens, wo es bereits eine Aufnahmestruktur gibt. Es hat einige gemeinsame Aktionen und Treffen gegeben, wo man sich ausgetauscht hat. Es war auch schon eine Gruppe bei mir zu Besuch, ich habe einen Vormittag lang über unsere demokratisch funktionierende Gemeindeverwaltung referiert. In Kürze werden wir drei Flüchtlinge, die in Tisens untergebracht sind, bei uns in der Gemeinde beschäftigen. Sie werden bei Arbeiten, die ihrer Ausbildung entsprechen, zur Hand gehen.
Harald Stauder, seit 2010 Bürgermeister von Lana. Der Unternehmensberater hat Politikwissenschaften in Innsbruck studiert und in Wien die Diplomatische Akademie besucht. Stauder war für die EU und die OSZE zwischen 1997 und 2000 als Wahlbeobachter in Asien und am Balkan unterwegs.
Wird in Ihrer Gemeinde eine Aufnahmemöglichkeit geschaffen?
Es hat in Lana schon einen Ortsaugenschein einer Struktur gegeben, in der man Flüchtlinge unterbringen kann. Wir stehen zu unserer Verantwortung. Allerdings hat die Hauptaufgabe sicherlich nicht das letzte Glied in der Kette.
Sie meinen die Gemeinden? Es gibt immer wieder Beschwerden, dass jene, wo Asylbewerber untergebracht werden sollen, im letzten Moment von Bozen informiert werden.
Auch hier: Die Kommunikationspolitik muss sich ändern! So geht es nicht weiter.
Unabhängig davon, ob nun welche in Ihrer Gemeinde untergebracht werden oder nicht – ist in Lana für Flüchtlinge Platz?
Ja. Ich kenne einige Leute, die freiwillig in anderen Strukturen außerhalb von Lana mitarbeiten. Leute, die sagen, wir wollen mithelfen.
Wie geht es nach der Aktion mit den Holzschildern und dem rot gefärbten Wasser weiter? Sie haben Strafanzeige erstattet – und jetzt?
Die Carabinieri gehen der Sache weiter nach.
Abgesehen von der Meinungsfreiheit eines jeden, kann die Gemeindeverwaltung das nicht dulden.
Rechnen Sie damit, dass der oder die Täter gefasst werden?
Die Umgebung, wo die Schilder aufgetaucht sind, ist videoüberwacht. Es befinden sich ja mehrere Banken in der Nähe. Das stimmt uns sehr optimistisch, was die Aufklärung betrifft.
Werden Sie die Augen weiter offen halten?
Wie immer. Wir werden jetzt auch verstärkt auf Videoüberwachung setzen. Ich würde aus dieser Einzelaktion kein Drama machen, aber wie gesagt: Wir müssen die Leute aufklären und dürfen sie nicht alleine lassen.