Römischer Geisterfahrer auf der A22
Auf die Frage, ob er denn niemals in die Luft gehe, antwortet Arno Kompatscher im salto.bz-Interview Mitte August: “Von wegen!” Und wenn er wütend werde, dann habe derjenige, der dafür verantwortlich ist, “ein ernsthaftes Problem”. Nun ist es eingetreten: Arno Kompatscher ist stinkwütend. Das berichten die, die den Landeshauptmann nach seinem Termin vergangenen Mittwoch in Rom gesprochen haben. Offiziell ist keine Silbe nach außen gedrungen – ein weiterer Hinweis darauf, dass Kompatscher um Fassung ringt. Mit schlechten Nachrichten will man schließlich nicht hausieren gehen. Am Samstag scheint sich der Landeshauptmann gefangen zu haben als ihn die Journalisten fragen: Steht die A22-Konzession auf dem Spiel?
Römische Launen
Eigentlich stand der Fahrplan fest. Bis 30. November sollte das Abkommen zwischen Südtirol, Trentino und dem Transportministerium unterzeichnet sein, mit dem die Konzession für die Brennerautobahn für 30 Jahre an die neu gegründete Inhouse-Gesellschaft “BrennerCorridor AG” – kurz “BC” – übertragen werden soll.
Die Gründung der rein öffentlichen Gesellschaft beschließt die Regionalregierung am 19. Oktober. Basis dafür ist das Einvernehmensprotokoll, das am 14. Jänner 2016 mit dem damaligen Verkehrsminister Graziano Delrio (PD) unterzeichnet wurde. Damit gab Rom grünes Licht für die Inhouse-Vergabe der A22-Konzession.
“Eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahrzehnte”, frohlocken die Südtiroler Senatoren noch vor wenigen Monaten, “da die Brennerautobahn unter der Kontrolle der lokalen öffentlichen Körperschaften bleibt, womit garantiert wird, dass die Einnahmen dieser ertragreichsten Autobahn Italiens nicht in die Tasche privater Investoren fließen, sondern dem Ausbau des Schienenverkehrs und Umweltschutzmaßnahmen zugeführt werden”.
Mit dem Regierungswechsel in Rom werden erste Bedenken laut: Wird die 5-Sterne-Lega-Regierung unter Ministerpräsident Giuseppe Conte an dem Fahrplan festhalten? Lange Zeit sieht es danach aus. Noch am Dienstag (30. Oktober) lanciert Verkehrsminister Danilo Toninelli folgende Nachricht auf Facebook:
“Ho una bella notizia da darvi che riguarda le autostrade A22 Brennero-Modena e A4 Venezia-Trieste. Su questo dossier stiamo lavorando da mesi e ora l’Europa ci ha preannunciato il via libera all'affidamento in house delle due concessioni. La formalizzazione ci sarà la seconda settimana di novembre quando a Bruxelles chiuderemo positivamente questa partita.”
Darf man Toninellis Worten glauben, werden kommende Woche in Brüssel die letzten Weichen gestellt, um die Konzessionsvereinbarung ins Trockene zu bringen. Anders die Meldung, die der Corriere dell’Alto Adige am Samstag veröffentlicht: Die Unterzeichnung der Vereinbarung wird sich verschieben. Weil das Dossier, von dem der 5-Sterne-Minister spricht, in Südtirol auf Gegenwehr stößt.
Was ist in der Zeit zwischen Toninellis Post und dem Corriere-Artikel passiert?
Den Fuß des Staates in der Tür
Vergangenen Mittwoch – einen Tag nach der “bella notizia” von Toninelli trifft Arno Kompatscher den Minister in Rom. “Er besteht darauf, dass einige Stellen in der Vereinbarung abgeändert werden”, berichtet der Landeshauptmann am Samstag den Journalisten, die ihn nach den Sondierungsgesprächen zur Bildung der Landesregierung in der SVP-Parteizentrale danach fragen.
Im Besonderen geht es um ein Komitee, das vonseiten der BrennerCorridor-Gesellschafter eingerichtet und die gemeinsame analoge Kontrolle über die Inhouse-Gesellschaft ausüben wird. Dieses externe Überwachungskomitee soll aus sechs Mitgliedern bestehen: drei nominieren die lokalen Gesellschafter und drei das Verkehrsministerium als Konzessionär. Das Überwachungsorgan wird als “Stelle für Information, Kontrolle, Beratung, Bewertung und Prüfung der Führung und Verwaltung der Gesellschaft” dienen, heißt es in der am 19. Oktober von der Regionalregierung genehmigten Satzung der BrennerCorridor AG.
Unter anderem muss das Komitee Stellung zur Bilanz der Autobahngesellschaft beziehen, seine Zustimmung zur Besetzung des Verwaltungsrates geben und den vier Milliarden Euro schweren Investitionsplan genehmigen. In diesem sind auch die Gelder aus dem staatlichen Eisenbahnfonds enthalten, die nach der Übertragung der Konzession an die BrennerCorridor gehen und für den Bau des Brennerbasistunnels und dessen Zulaufstrecken verwendet werden müssen.
Danilo Toninelli besteht darauf, dass die Stimme des Präsidenten im Überwachungskomitees doppelt zählt. Weil der Präsident vom Staat und nicht von den lokalen Gesellschaftern nominiert wird, würde das einem Vetorecht für den Staat gleichkommen – und bedeuten, “dass wir wieder so weit sind, dass es für alles grünes Licht aus Rom braucht”, bringt es Arno Kompatscher auf den Punkt.
Damit werde sich Südtirol nie und nimmer einverstanden zeigen, gibt der Landeshauptmann zu verstehen. Denn so hat man sich die Heimholung der A22-Konzession nicht vorgestellt.
Schulterschluss mit der Lega
Hintergrund für Toninellis Beharren: Nach dem Brückeneinsturz von Genua im August hat die Regierung angekündigt, die Autobahnbetreiber stärker unter staatliche Kontrolle zu stellen. “Lo Stato sta tornando a fare lo Stato”, schreibt der Minister am 2. November auf Facebook.
In Südtirol kommen solche Botschaften nicht gut an. Die strategischen Entscheidungen der BrennerCorridor AG müssen den lokalen Gesellschaftern überlassen werden, ist man hier überzeugt.
Um den zentralistischen Wind aus Rom zu bekämpfen, sucht Kompatscher jetzt Unterstützung. Ausgerechnet die Lega soll den 5-Sterne-Minister zur Vernunft bringen.
Im Veneto und im Friaul will Toninelli im Falle der A4-Konzessionsvergabe an Autovie genauso vorgehen wie in Trentino-Südtirol. “Ich habe bereits mit Luca Zaia und Massimo Fedriga gesprochen”, verrät Kompatscher. Er erhofft sich, dass die beiden Lega-Präsidenten gemeinsam mit ihm – und dem neuen Trentiner Landeshauptmann Maurizio Fugatti – Druck auf ihre Vertreter in Rom und damit auf die Regierung ausüben, um die Autonomie der BrennerCorridor AG zu retten. “Wir werden verhandeln”, kündigt Kompatscher an.
Verzögerung mit Folgen
Innerhalb 30. November wird die Konzessionsvereinbarung jedenfalls nicht unterzeichnet werden. So viel steht fest. Auch, weil vorher das Ok des interministeriellen Komitees für die Wirtschaftsprogrammierung (CIPE) und eine Stellungnahme der Behörde für die Regelung des Transportwesens (ART) eingeholt werden muss. Dann ist das Verkehrsministerium wieder am Zug, das mit dem Finanzministerium die Vergabe mittels Dekret festlegt, das wiederum vom Rechnungshof genehmigt werden muss.
“Die Unterzeichnung wird sich um ein paar Wochen verzögern”, gesteht der Landeshauptmann. Bis 30. November, so hofft er, werde man zumindest den endgültigen Text besiegeln, um dann den weiteren Iter in Gang zu setzen.
Es könnte Frühjahr 2019 werden bis die BrennerCorridor AG die A22-Konzession tatsächlich in den Händen halten wird, munkeln manche.
Auch die Folgen, die die Verzögerung mit sich bringt, haben Arno Kompatscher veranlasst, für diesen Donnerstag (8. November) eine Krisensitzung der öffentlichen Gesellschafter der Autobahngesellschaft einzuberufen.
Denn so lange die Konzession nicht da ist, sind auch die Investitionspläne eingefroren. Die großen Mobilitätsprojekte, darunter jene in der “Agenda Bozen” enthaltenen Pläne für die Landeshauptstadt – insgesamt 586 Millionen Euro hat die Autobahngesellschaft für mehrere Vorhaben zugesichert – können nicht starten.
Bei der Gesellschafterversammlung am Donnerstag will man eine Strategie überlegen, um der sich abzeichnenden Notlage zu entkommen.
Indes hat einer den Ärger des Landeshauptmannes schon abbekommen: Bei den Sondierungsgesprächen am Samstag kam es zu einem Wortgefecht zwischen Arno Kompatscher und dem neuen 5-Sterne-Landtagsabgeordneten Diego Nicolini. In den sozialen Netzwerken behauptet dieser, Kompatscher habe seine Bewegung beschuldigt, Italien zu ruinieren.
Für den lang ersehnten und hart errungenen Neustart auf der A22 verheißen die (Fünf) Sterne derzeit jedenfalls nichts Gutes.