Als die Bomben fielen
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Als fast zweistündiger Bilderrausch zu dramatischen Streichern, ganz ohne Dialoge oder Interviews, ist Sergei Loznitsas Luftkriegs-Essay gänzlich aus Archivmaterial geschnitten worden. Das Endergebnis wird am Donnerstag, den 15. Februar um 20 Uhr der Bozner Filmclub, im Rahmen der DOC DAY-Reihe der FAS, diesmal in Zusammenarbeit mit der Galerie Fotoforum, gezeigt.
Seinen Titel entlehnt die filmische Collage von einer literaturhistorischen Studie von W.G. Sebald, die in ihrer übersetzter Version „On the Natural History of Destruction“ hieß. Sebald hielt im Spätherbst 1997 erste Vorlesungen im Zürcher Puppentheater zu „Luftkrieg und Literatur“, die aufgrund eines starken Medienechos auf einen Spiegelartikel im Januar 1998, weitere Verbreitung und Gegenliebe, wie auch schließlich in eine überarbeitete Buchform fanden. Was erst als eine einzelne Poetikvorlesung gedacht war, wuchs zu einer deutlich weitläufiger geführten Debatte aus, die Sebald auch in der Kritik sah. Seine streitbare These war es, dass die Aufarbeitung der Alliierten Flächenbombardements Deutschlands unzureichend gewesen seien und sich Nachgeborene kein Bild von Fläche, Ausmaß oder Folgen machen könnten.
Während ihm Schriftsteller vehement mit Einzelbeispielen sowie Sammlungen von sich selbst wie auch von Kolleg:innen widersprachen, sah sich Sebald auch mit der Fragestellung konfrontiert, ob es sich in seiner Studie um eine Ästhetisierung der deutschen Opferrolle handeln könne. Diese Frage will auch instinktiv bei der filmischen Archiv-Material-Meditation aufkommen, zumal der Film die Definition eines Dokumentarfilms bis ans Äußerste ausreizt und gerade auch auf einer Klangebene mit emotionalen Mitteln arbeitet. Der Soundtrack von Christiaan Verbeek, vom Cello Octet Amsterdam ausgeführt, muss sicherlich an dieser Stelle angeführt werden, da er uns für einen Dokumentarfilm ungewöhnlich, durchwegs mit starken Emotionen konfrontiert.
Wir beginnen jedoch mit im visuellen, aufgehübschten, wie zum Teil auch neu vertonten Archivmaterial, das uns durch die Straßen deutscher Städteführt, mit Hirtenromantik und fast nur Zivilist:innen in unbeschwerten Alltagsmomenten wird uns ein Bild der Unschuld gezeigt. Die Nachtausgabe der Berliner Illustrierten in den Händen eines Straßenverkäufers zu sehen, titelt: „Japanische Offensive zur Einkreisung von Schanghai in vollem Gange“. Wir haben den Herbst ’37. Just in dem Moment, als der Kragen einer Naziuniform in einem Biergarten in unseren Blick fällt, kippt nach fast zehn Minuten die Stimmung. Im ersten Moment, angekündigt von einem anschwellenden Dröhnen im Sound des Films, wissen wir gar nicht was wir sehen.
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Die Luftaufnahmen der beginnenden Bombardements wirken surreal, der Film hat definitiv einen emotionalen Effekt auf seinen Betrachter. So gut wie nichts wird den Bildern erklärend zur Seite gestellt, weder Jahreszahlen noch Ortsangaben. Einzig politische Reden sind neben dem Hintergrundrauschen der Städte und den Alltagsgesprächen der Zivilist:innen zu hören. Sie werden im Halbstundentakt in den Film eingesetzt und sind, mit Ausnahme der vierten Rede, Rechtfertigungen alliierter Militärs vor Publikum, das es nicht mehr zu überzeugen gilt. Unsere letzte Stimme sieht Deutschland dann in der Opferrolle, mit letzter, manischer Trotzigkeit und von realitätsfernem, religiös anmutendem Eifer motiviert. Der Film heißt keineswegs gut, was da geschieht, er findet aber erschreckend schöne Bilder und Klänge für etwas, das wir instinktiv auf größtmöglichen Abstand zu jedem Schönheitsbegriff halten möchten. Spannend sind auch einige der Gedanken, die in den politischen Reden aufgeworfen worden sind. Die Flächenbombardierungen der Alliierten von deutschen Städten und Industriestandpunkten war für den Regisseur ein geschichtlicher Wendepunkt, so viel scheint klar. Auch wenn vorab die Rechtfertigung zu hören ist, dass man noch nicht wissen könne, ob sich ein Krieg auch aus der Luft gewinnen lässt; man müsse es versuchen.
Wenn „The Natural History of Destruction“ in sein letztes Viertel kommt, sehen wir ebenso eindrücklich wie die fallenden Bomben, das Bild der Zerstörung und auch ganz leise Stimmen dringen zu uns durch, wie Schriften an den Wänden von Ruinen „Wer hat die Frau gesehen, die hier lebte?“, oder: „Wir leben und kommen bei Freunden unter.“ sinngemäß. Beeindruckend auch die Dauer für die im Film eine Karawane an Leiterwagen durchs Bild gezogen wird. Wir sehen Familien mit all ihrem Hab und Gut ins Ungewisse ziehen. Der Film übernimmt hier im letzten Abschnitt das sonst nur punktuell angewandte Mittel Farbe nun flächig. Ein bisschen Hoffnung kommt auf, bis wir uns erinnern, dass die Bombardierung von Zivilbevölkerungen keine einmalige Sache blieb. Der Krieg hat sich verändert und wir müssen lernen, damit zu leben.
Am Ende bringt einen der Film von Sergei Loznitsa die Geschichte des 2. Weltkriegs nicht etwa neu bei, er zeigt sie uns neu: Sie ist in Bild und Ton restauriert, umkommentiert und emotional nahbar gestaltet. Das Mittel der Schönheit oder Ästhetisierung, wenn wir zu diesem Begriff noch einmal zurück wollen, macht es dabei nicht einfacher, sich den Film anzusehen, sondern erhöht unser fast schon körperliches, instinktives Unbehagen im Kinosessel, während man wie bei einer Celan-Lektüre sein eigenes Empfinden hinterfragt. Es ist aber auch gut vorstellbar, dass die Frage, ob man das Gezeigte für sich persönlich als einen Dokumentarfilm einstufen würde oder nicht, zu einer spannenden Debatte im Kinosaal führt, wenn der Streifen abgelaufen ist.
„The Natural History of Destruction“ ist am 15. Februar um 20 Uhr im Filmclub Bozen zu sehen.
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