Società | Missbrauch Kirche

Oberstes Gebot: Transparenz

Welche Haltung nehmen das Katholische Forum, die Männer- und Frauenbewegung zur Skandalentscheidung der Diözese ein? Es geht um die Versetzung von Don Giorgio Carli.
Die Hl-Kreuz-Kirche
Foto: Oswald Stimpfl
  • Die Entscheidung der Diözesanleitung, den im Missbrauchsgutachten (Fall 16) genannten Priester ins Obere Pustertal zu versetzen, stößt auf deutliche Kritik. Sowohl das Katholische Forum, die Katholische Männerbewegung als auch die Katholische Frauenbewegung der Diözese Bozen-Brixen haben dazu Stellungnahmen veröffentlicht. Auch die Rete L’abuso.
     

    Im Bericht zum Missbrauch werde unmissverständlich festgehalten, dass Versetzungen in der Vergangenheit immer wieder eine ungeeignete Maßnahme waren.

  • Die Katholische Männerbewegung betont: „Bei allen verschiedenen Sichtweisen und Beurteilungen gilt unser erster Gedanke den Betroffenen von sexuellem Missbrauch. An sie ist zuerst zu denken, wie Vorgehensweisen und Lösungen zu bewerten sind.“ Schuldfragen zu klären sei nicht ihre Aufgabe, wohl aber der verantwortungsvolle Umgang mit Verdachtsmomenten. „Transparenz ist in diesem Zusammenhang oberstes Gebot. Was sich vom Zeitpunkt der Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens bis zur Veröffentlichung der Personalveränderung von Don Carli in seinem Fall getan oder nicht getan hat, entzog sich der öffentlichen Kenntnis in Südtirol. Dies trägt nicht zur Vertrauensbildung bei.“
    Es entstehe der Eindruck, heißt es in der Stellungnahme von Hannes Rechenmacher im Namen des Diözesanvorsitzenden Edl Huber und des Diözesanvorstandes der Katholischen Männerbewegung, dass die Diözesanleitung aus dem teuren Gutachten wenig gelernt habe, „da die Maßnahmen wohl von unabhängigen Stellen nicht mitgetragen worden wären“. Kritisiert wird auch die mangelnde Akzeptanz vor Ort. „Barmherzigkeit ist ein großer Wert mit jesuanischen Wurzeln: Jemanden, der gefehlt hat, eine neue Chance zu geben, kann von menschlicher Größe zeugen. Leicht fällt dies natürlich, wenn man nicht selbst Betroffene/r ist. Zugleich drängt sich der Verdacht auf, dass die Barmherzigkeit nicht gänzlich uneigennützig ist: In den Augen einiger ist es immer noch der größere Wert, einen Priester vor Ort ‚zu haben‘ als das Engagement der vielen ehrenamtlichen Gläubigen in allen bewährten und neuen Formen wertzuschätzen.“ Unklar bleibe zudem, was Bischof Ivo Muser mit seiner Erklärung, die Verantwortung zu übernehmen, konkret meine: „Würde er im schlimmsten anzunehmenden Fall sämtliche Kosten persönlich übernehmen? Würde er als Bischof zurücktreten? Oder ist seine Aussage nur rhetorisch zu verstehen, um zu beschwichtigen?“ 

  • Stimme erheben

    Auch die Katholische Frauenbewegung schließt sich der Kritik an. Sie erinnert daran, dass die Opferperspektive und Transparenz als oberste Prioritäten versprochen worden seien. „Wurden bei dieser Versetzung vom Dekanat Sterzing in die Seelsorgeeinheit Oberes Pustertal die Empfehlungen des Missbrauchsgutachtens berücksichtigt, wo sich doch solche Versetzungen als ungeeignete Vorgangsweise klar herausgestellt haben? Und: Wie kann unter den gegebenen Voraussetzungen ein Klima des Vertrauens entstehen und pastorale Arbeit überhaupt möglich werden, auch wenn letztere durch die geplanten Maßnahmen abgesichert zu sein scheint?“ Die Entscheidung vermittle zudem den Eindruck, dass die Präsenz eines Priesters wichtiger sei als das vielfältige Engagement von Laien. „Es ist nicht die Aufgabe des Diözesanvorstandes der Katholischen Frauenbewegung, Schuld und Unschuld festzustellen. Wir erheben aber unsere Stimme, wenn uns Vorgangsweisen – wie in diesem Fall – nicht überzeugen“, schreibt die Diözesanvorsitzende Irene Vieider.

  • Befremden und Unverständnis

    Mit Befremden bezieht auch der Vorstand des Katholischen Forums zur Versetzung des Priesters in die Seelsorgeeinheit Oberes Pustertal Stellung. „Es steht uns nicht zu, zur Person Don Giorgio Carli etwas zu sagen oder gar ein Urteil auszusprechen. Dazu gab es das Gerichtsverfahren im Jahr 2009 und die Dokumentation im unabhängigen Gutachtens zum sexuellen Missbrauch in der Diözese Bozen-Brixen“, heißt es im Schreiben, „aber es ist uns unverständlich, dass dem Wunsch Don Carlis nach einer Versetzung in eine andere Pfarrei einfach stattgegeben wurde.“  
     

    „Mut zum Hinschauen“ und „die Stimme der Betroffenen hören“ waren die oft wiederholten Losungen unmittelbar nach der Veröffentlichung des Gutachtens. Die vor kurzem getroffene Versetzungsentscheidung spricht eine andere Sprache.


    Zwar habe Bischof Ivo Muser die Versetzungsentscheidung die Verantwortung übernommen und auf die begleitenden Maßnahmen wie psychologische Begleitung und ständiges Monitoring hingewiesen, es sei aber trotzdem unverständlich, warum der Bischof nicht eine Versetzung in einen Bereich „fern jeder pastoralen Verantwortung“  angeordnet habe. „Aus der Perspektive von Betroffenen wäre das wohl der naheliegende und einzig konsequente Schritt nach den Ergebnissen des Gutachtens zum Missbrauch gewesen. Es bleibt Befremden und Unverständnis und eine vertane Chance, Glaubwürdigkeit im schmerzvollen Prozess des so dringend notwendigen veränderten Umgangs mit dem Thema Missbrauch in der Katholischen Kirche an den Tag zu legen.“  

  • 24 Stunden Überwachung

    Auch Francesco Zanardi von der Vereinigung Rete L’abuso verweist auf ähnliche Fälle in Italien: „Ähnliche Maßnahmen wie die gegen Don Carli wurden im April dieses Jahres gegen Don Samuele Marelli aus der Diözese Mailand verhängt. Der Priester muss für fünf Jahre die Erzdiözese Mailand verlassen. Für ihn gilt ein fünfjähriges Verbot der Ausübung seines Priesteramtes, ein lebenslanges Verbot, Kontakt zu Minderjährigen und Personen aus dem Ort aufzunehmen, in dem er sein Priesteramt ausgeübt hat, sowie ein zehnjähriges Verbot, Beichten abzunehmen und Seelsorge zu betreiben.“ Doch auch er äußert Zweifel: „Ich wäre neugierig zu erfahren, wie mit diesen Maßnahmen sichergestellt werden soll, dass sich ein Missbrauch nicht wiederholt. Es ist ja nicht so, dass die betreffenden Priester rund um die Uhr überwacht werden.“

    Die Stellungnahmen verdeutlichen: Es geht nicht um den Schutz einzelner Priester, sondern um die Glaubwürdigkeit der Kirche und den Schutz der Betroffenen. Transparenz, Konsequenz und die Umsetzung der Empfehlungen des Gutachtens werden eingefordert, um Vertrauen zurückzugewinnen und erneute Missbrauchsfälle zu verhindern.