Mall da, Mall dort

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„Ich war natürlich sehr gespannt während der Premiere, habe die wahnsinnige Entwicklung gesehen, die das Stück zwischen den zwei Proben, bei denen ich dabei war, und der Premiere genommen hat“, meldet sich Sepp Mall auf SALTO-Nachfrage gestern aus dem Zug, kurz bevor er im tschechischen Brno/Brünn aussteigt, wo er heute (6.5.) für eine Lesung ab 18 Uhr in der nach dem vor zwei Jahren verstorbenen Schriftsteller Milan Kundera benannten Bibliothek geladen ist. Auf dem Weg in die Geburtsstadt Kunderas – im Gepäck hat Mall natürlich seinen Roman Ein Hund kam in die Küche – dürfte der ansonsten in Meran beheimatete Schriftsteller mit einem Hauch Leichtigkeit des Seins die Bibliotheksbühne betreten.
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Ganz anders war das am vergangenen Samstag. Nach zwei Stunden gab es lang anhaltenden Applaus für ihn und die zur Premiere gebrachte Bühnenfassung von Ein Hund kam in die Küche auf der großen Bühne im Stadttheater Bozen. Sepp Mall stand vor dem ausverkauften Haus im Reigen der Mitwirkenden und war sichtlich gerührt über den anerkennenden Beifall. „Tolle Szenen, die dazugekommen sind“, erinnert sich Mall an die Uraufführung, sowie auch an Szenen die „auf phantastische Weise aus dem Buch umgewandelt wurden, wie etwa die wilde Szene mit der Kuh.“
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Literarische Einfädlerin im Interview: Tanja Raich antwortet auf RAI-Fragen. Ohne sie wäre der Roman vielleicht gar nie auf die Bühne in Bozen gekommen. Foto: SALTO
Ein Roman, ein Theaterstück – wer hat beides zusammengebracht? Noch bevor der Bestseller – erschienen im Leykam Verlag – auf die Longlist zum Deutschen Buchpreis 2023 kam, schickte Tanja Raich – selbst Schriftstellerin und Mitarbeiterin bei Leykam – eine Druckfahne an Rudolf Frey, seit der Saison 2023/2024 Intendant der Vereinigten Bühnen Bozen. Frey las und war begeistert. Und er wollte die von seiner Vorgängerin Irene Girkinger initiierte Begeisterung des Publikums für auf die Bühne gebrachte lokale Zeitgeschichte weiterführen – allerdings nicht in Form von Doku-Theater, sondern mit einem wahren Stoff, fiktionalisiert und von Schauspielern (nicht Zeitzeugen) aufgeführt.
Für die Bühnenadaption des Erfolgsromans engagierte Frey den aus Grinzens bei Innsbruck stammenden, international tätigen Regisseur Peter Lorenz. Dieser arbeitete sich spitzfindig an Malls Roman entlang und schuf mit einem kleinen Schauspielensemble ein Familiendrama, das einem immer wieder den Atem raubt.
„Zurückgeblieben“ – ein Wort, das im Stück mehrfach fällt und jedes Mal trifft wie ein Pfeil.
„In unserer Familie gab es keine Wörter für den Abschied. Mein Vater hatte keine, und meine Mutter auch nicht. Als wären sie ihnen mit der Zeit verloren gegangen, aus dem Sprachsack gefallen, Buchstabe für Buchstabe, und irgendwo liegen geblieben, wo sie niemand mehr fand“, sagt der zwei Stunden lang grandios agierende Fabian Mair Mitterer als Ludi zu Beginn, während er sich vom Zuschauerraum auf die Bühne bewegt. Kurz darauf entsteht ein fiktives Familienfoto – Vater, Mutter, Ludi und sein Bruder. Am Ende des Stücks posiert die Familie erneut für ein fiktives Bild. Doch der Bruder fehlt. Wie? Weshalb? Warum?
Einen Tag nachdem die AfD vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde, kommt das Stück im kleinen Land der Gauland-im-Hotel Elefant-Versteher*innen zur Aufführung. Und: achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Hund kam in die Küche ist also erinnerungstechnisch exakt getimed und passt in eine Zeit, in der sich peinlich viel Verständnis für rechtes Gedankengut vom entlegensten Talboden bis zum Vizelandeshauptmann oder dem achtlosen Fraktionsvorsitzenden der größten Partei gesellschaftsfähig gemacht hat. Vielleicht kaufen sie sich beide ja noch ein Ticket für die nächsten Aufführungen. Oder es wird ihnen unentgeltlich bereitgestellt.Vom Politischen zurück zum Theater: Im Zuge der Option ins Deutsche Reich wandert die Familie des elfjährigen Ludi 1942 aus Mariendorf aus. Lukas Lobis spielt den überzeugten Vater, Elisa Seydel die hilflose Mutter mit viel Heimweh. Ludi nimmt Abschied von seiner Freundin – vielleicht sehe man sich ja irgendwann in „Voradelberg“ wieder.
Neben Ludi gibt es noch den gehbehinderten jüngeren Bruder Hanno (gespielt von Laila White), der auf Krücken unterwegs ist. Mit den Worten hat er es nicht so. Wortspiele entstehen dennoch vereinzelt – auch wenn das Leben kein Spiel ist. Das erfährt die Familie bald im nationalsozialistisch verseuchten Innsbruck. Hanno wird in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen und später nach Kaufbeuren-Irsee überstellt – von dort wird er über interne Umwege in den Tod gehen. Da wohnt die Familie bereits in Sonnau. Der Vater wurde eingezogen, Mutter und Ludi blieben zurück. „Zurückgeblieben“ – ein Wort, das im Stück mehrfach fällt und jedes Mal trifft wie ein Pfeil. Ludi findet einen neuen Freund, Siegfried (ebenfalls von Lukas Lobis gespielt, diesmal im Wiener Slang).
Trotz des ernsten Themas ist „Ein Hund kam in die Küche“ ein sehens- und natürlich weiterhin lesenswertes "Vergnügen".
„Die Südtiroler Musikerin Maria Moling wird live auf der Bühne stehen und gemeinsam mit dem Sounddesigner Martin Hofstetter Malls Spiel mit der Sprache in eine faszinierende Klangwelt übersetzen“, hieß es in der Ankündigung. Und die Vereinigten Bühnen haben nicht zu viel versprochen. Moling übernimmt neben den vielen gelungen eingesetzten musikalischen Passagen sogar die Rolle einer Heilanstaltsmitarbeiterin. Kurz und schmerzvoll.
Auch Sepp Mall gibt sich dazu begeistert. „Die Musik Marias, die die Stimmung einzelner Szenen aufgenommen und vertieft hat und das alles aufeinander abzustimmen wie es Peter Lorenz gemacht hat, ist schon große Kunst“, so der Autor der auch die Leistung der Schauspieler und Schauspielerinnen mit einem jubelnden „Großartig!“ kommentiert. „Klar, dass das Uneindeutige aus dem Buch, auf der Bühne eine andere Gestalt annehmen muss“, legt er nach und findet Vergleiche zwischen Buch und Theater „eh blöd“, da beide Genres „für sich betrachtet werden“ müssen. Trotz des ernsten Themas ist „Ein Hund kam in die Küche“ ein sehens- und natürlich weiterhin lesenswertes "Vergnügen".Weitere Vorstellungen:
Do, 08.05.2025, 19.30 Uhr
Fr, 09.05.2025, 19.30 Uhr
Sa, 10.05.2025, 19.30 Uhr
So, 11.05.2025, 18.00 UhrArticoli correlati
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