„Es waren Leute verrückt genug“
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SALTO: Herr Krois, wie fühlt man sich als alternativer Deutscher in Südtirol?
Kris Krois: (lacht) Je länger ich hier bin, desto komplexer kommt mir Südtirol vor, und Bozen erst recht. Als ich im Jahr 2012 Anlauf genommen habe einen sozial und ökologisch engagierten Designstudiengang zu gründen, bin ich natürlich an grundsätzlich konservative Strukturen gestoßen, die in ganz Südtirol dominieren und damit eben auch an den Südtiroler Institutionen und an der Uni. Abgesehen davon bin ich auch Südtirolerin, weil meine Mutter und eine gigantische Verwandtschaft von hier ist. Auch bin ich ein bisschen Italiener* und noch so einiges mehr oder weniger. Wir sollten solchen Zuschreibungen nicht zu viel Bedeutung geben.
Was hält Sie im Land?
Es gibt hier viele Menschen, die nicht alles hinnehmen und sich gemeinsam engagieren. SALTO ist dafür ein gutes Beispiel. Dass die Gesellschaft und Medienlandschaft heute offener ist, hat auch mit SALTO zu tun. Es waren Leute verrückt genug, ein zweisprachiges Onlinemedium zu gründen, das nicht nur Nachrichten veröffentlicht, sondern auch einen eigenen Community-Bereich hat. Das war für Südtirol damals schon fast revolutionär. Alternativen wie SALTO ins Leben zu rufen und langfristig am Laufen zu halten, mitsamt der ökonomischen Basis, ist aber nicht nur eine Freude, sondern bisweilen auch ein Kampf.
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Zur Person
Kris Krois, geboren 1968 in München, arbeitet seit 2012 als Professor an der Freien Universität Bozen. Er lehrt und forscht im Rahmen des transdisziplinären und praxisorientierten Masterstudiengang Eco-Social Design. Seit 2013 kuratiert er die jährliche Konferenz „By Design and by Disaster“. Zuvor arbeitete Krois als Designer am Markt mit Schwerpunkt Kommunikationsdesign und interaktive Medien.
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Wieso ist das heurige Thema der By Design and by Disaster Conference der Umgang mit Macht?
Jede gesellschaftliche Veränderung braucht die Neuorganisation von Macht, weil sonst kann man ja nix machen – ohne Macht. Deshalb ist Macht nichts an sich Negatives, auch wenn Vorsicht gefragt ist. Denn ansonsten kann es passieren, dass sich wider bester Absichten neue Machtregime bilden.
Zum Beispiel?
Das große, klassische Beispiel dafür ist die Russische Revolution, die mit Ideen der Freiheit und Gleichheit angegangen wurde. Anfangs sah es noch vielversprechend aus, aber am Ende ist es mit dem Stalinismus im Horror geendet. Solche Prozesse finden leider auch in kleineren und harmloseren Kontexten statt. Egal ob Menschen sich gegen den Stopp zerstörerischer Betonprojekte oder für eine gerechtere Gesellschaft engagieren, es besteht immer das Risiko, dass in der eigenen Bewegung festgefahrene hierarchische Strukturen entstehen oder Menschen marginalisiert werden.
Ist die Basisdemokratie nicht nur ein schönes Ideal?
Es ist tatsächlich alles nicht so einfach. Dass es aber funktionieren kann, zeigt beispielsweise die Bewegung der Zapatista in Mexiko. Diese indigene Gemeinschaft verteidigt ihre Lebensgrundlagen, ihre Lebensweise und Kultur. Sie haben den Spruch „Fragend schreiten wir voran“. Bei Veränderungsprozessen ist es also wichtig, nicht nur einen Plan zu haben, sondern auch immer wieder innezuhalten und zu reflektieren. Denn das ermöglicht, sich zu fragen, wie es den Menschen geht, ob die Richtung und Vorgehensweise noch passt, und was die nächsten Schritte sein könnten.
„Die sogenannten Mittelschichten haben zum Teil berechtigte Abstiegsängste.“
Hier wird ähnliches unter anderen in der Klimagerechtigkeitsbewegung und in Bürgergenossenschaften versucht: jetzt so handeln, wie es der Richtung entspricht, in die es gehen soll. So werden beispielsweise Klimacamps durch das gemeinsame Beitragen von vielen ermöglicht, und die Bedürfnisse aller sollen berücksichtigt werden. Es geht nicht darum, dass dies perfekt gelingt, sondern dass im Kleinen gelernt und erlebt wird, wie gute Gesellschaft gelingen kann.
Wie lautet denn Ihre Vision einer besseren Welt?
Alle Menschen sollten ihre Bedürfnisse auf eine solidarische Weise befriedigen können, ohne die Natur zu zerstören. Das erscheint derzeit absurd aussichtslos. Doch niemand will ausgebeutet und diskriminiert werden. Und es kann doch keiner wollen, dass die Lebensgrundlagen zerstört werden, was derzeit der Fall ist. Also was so naiv klingt, ein gutes Leben für alle in einer intakten Natur, ist einfach nur vernünftig, und schön noch dazu.
„Dabei wäre genug da, es ist aber sehr ungerecht verteilt.“
Klimakrise, Inflation und extremistische Tendenzen prägen das aktuelle Weltgeschehen in Europa. Welche Art von Politik braucht es heute?
Ich kann jetzt nicht mal eben einen politischen Masterplan ausbreiten, aber grundsätzlich braucht es Politiken, die Ungerechtigkeiten und Naturzerstörung entgegenwirken, sowie vernünftige Planung mit echter Beteiligung ermöglichen. Dafür braucht es aber auch politische Maßnahmen, die Freiraum schaffen. Denn ansonsten schauen viele Menschen vor allem darauf, wie sie ihre Miete bezahlen und ihren gesellschaftlichen Status aufrechterhalten können. Konkret wäre es beispielsweise sehr sinnvoll, die Erwerbsarbeit zu reduzieren. Eine Vier-Tage-Woche wäre schon mal ein guter Anfang. Das ist überhaupt nicht revolutionär und glücklicherweise ist es wieder ein populäreres Thema geworden. An dem zusätzlichen freien Tag kann mensch sich nicht nur erholen, sondern für andere und die Natur sorgen, sich engagieren, mit anderen organisieren, etc.
Wahrscheinlich würde bei einer Vier-Tage-Woche aber niemand auf das ursprüngliche Gehalt verzichten wollen…
Die Frage, wer das finanzieren soll, ist immer das Hauptargument gegen Reformen, die gut für Menschen und Natur sind. Dabei wäre genug da, es ist aber sehr ungerecht verteilt. Die sogenannten Mittelschichten haben zum Teil berechtigte Abstiegsängste, und ärmere Menschen haben ernsthafte Schwierigkeiten. In dieser Situation von gefühlter Angst und realer Bedrohung, tatsächlichem Leiden und Stress, ist es sehr schwierig, positive Kräfte zu mobilisieren. Hingegen ist es für die Rechten sehr einfach, mit negativen Erzählungen und Imaginationen von „Volk“ Erfolge einzufahren, mit Schuldzuweisungen gegenüber migrantisierten Menschen und allen, die angeblich „anders” sind. Das ist schädlicher Unsinn.
Wie kann diese Hetze gegen schwächere Gruppen gestoppt werden?
Hier gilt es, emanzipatorische Politiken, Erzählungen und Praktiken zu entwickeln, also solche, die Menschen mehr Sicherheit geben, sodass niemand andere auskonkurrieren muss und selbst keine Angst hat, ausgegrenzt zu werden. Auch sollten Menschen sich nicht gezwungen fühlen in ihrer Arbeit schädliches oder sinnloses Zeug zu machen, um Geld zu verdienen und dieses dann für Dinge auszugeben, die mit der Ausbeutung von Menschen und Natur im globalen Süden produziert wurden. All dies, um essenzielle Bedürfnisse zu befriedigen und den sozialen Status zu sichern. Das ginge ganz anders viel besser für alle.
„Wenn man da nicht naiv wäre, würde man wahrscheinlich gar nicht anfangen.“
Gibt es für diese emanzipatorische Politik aus Ihrer Sicht aktuelle Beispiele?
Es gibt Fälle, wo etwas gelingt, zum Beispiel in Graz. Es ist heutzutage verblüffend, dass es dort eine kommunistische Bürgermeisterin und einen vorwiegend kommunistischen Stadtrat gibt. Sie haben deswegen gewonnen, weil sie sich um die unmittelbaren Bedürfnisse der Menschen gesorgt haben. Sie haben nicht eine Utopie in den Vordergrund gestellt, sondern sie kümmern sich um guten Wohnraum, Mobilität und Zugang zu Bildung für alle. Das sind Grundbedürfnisse.
Wie hat sich die Konferenz Ihres Master-Studiengangs in Eco-Social Design entwickelt?
Am Anfang hatten wir wenig Plan, aber man muss halt auch mal anfangen (lacht). Wenn man da nicht naiv wäre, würde man wahrscheinlich gar nicht anfangen. Mit der Zeit haben wir eine gute Resonanz gefunden, immer mehr Menschen und Organisationen helfen mit und nehmen gerne an der Konferenz teil. Bei uns sind nicht nur die interessanten Gespräche und Thematiken, sondern auch das freudige Beisammensein wichtig.
„By Design and by Disaster Conference”10–14 Juli 2024, Südtirol, Italien
Die Registrierung ist bereits abgeschlossen, aber wer reinschnuppern mag, ist auch ohne Anmeldung willkommen. Die Konferenz wird in englischer Sprache abgehalten, Grundkenntnisse in Englisch sind von Vorteil, aber nicht unbedingt notwendig.
Mittwoch bis Freitag, 10. – 12. Juli, BASIS Vinschgau, Schlanders
Start: Mittwoch, 10. Juli, 15:00 Uhr; Check-in: 14:00 Uhr
Die Tage an der BASIS enden mit einer Party am Freitagabend; am Samstagmorgen geht es ins Klimacamp Südtirol in Vöran (Anmeldung erwünscht)
Samstag und Sonntag, 13. – 14. Juli, Klimacamp, Vöran
Interessant. Die Autorin…
Interessant.
Die Autorin sollte sich allerdings zwischen "Desaster" (deutsch) und "Disaster" (englisch) entscheiden.
In risposta a Interessant. Die Autorin… di Stereo Typ
Danke für den Hinweis, wird…
Danke für den Hinweis, wird ausgebessert.
Sehr fundierte Überlegungen,…
Sehr fundierte Überlegungen, welche Kris Krois da in die Diskussion bringt. Ohne Utopien keine Zukunft.
Ich erinnere an große Utopien der Vergangenheit: Abschaffung der leibeigenen Bauern, Wahlrecht für alle, Selbstbestimmung der Frauen, Die Menschenrechte... Alles aus Utopien entstanden. Es mussten wirtschaftliche, religiöse und Machthindernisse beseitigt werden um voran zu kommen.
Wenn wir also heute an den Utopien mehr Hindernisse als Chancen sehen, dann kann der Blick in die Geschichte helfen.
Gerne schauen wir abschätzig auf die Macht-Eliten von damals, wie Fürsten und Kirchen, die sich mit Gewalt an Vergangenem festgehalten haben.
Woran halten wir uns heute fest, was - nüchtern betrachtet - schon heute den Geruch von Vergangenheit trägt?