Blumensprachen und Zukunftsaussicht
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Vielsprachig, sozialkritisch und politisch, so treten neue und bereits bekannte Gesichter, die außerhalb des schulischen Kontexts bereits zu den aktiven Slammer:innen gehören, ans Mikrophon. Da es einiges zu sagen galt, dauerte der Slam am Ende fast drei Stunden. Gut, dass man, angesichts von insgesamt 24 Textbeiträgen (22 im Wettbewerb), das Zeitlimit mit 3 Minuten 30 etwas knapper fasst als auf den meisten anderen Bühnen. Am Wertungsmodus von 0 bis 10 mit einer Komma-Stelle und fünf Jurymitgliedern aus dem Publikum, deren höchste und tiefste Wertung gestrichen werden, änderte sich nichts.
Als erstes holte Zeremonienmeister Felix Maier, die außer Konkurrenz - als Opferlamm zur Jury-Kalibrierung - antretende Lena Simonetti auf die Bühne. In einem polyglotten Beitrag sprach sie von ihrem polyamoren Wohn- und Liebesverhältnis mit verschiedenen Sprachen: Deutsch, Italienisch, Französisch, Englisch, Spanisch und Portugiesisch genügen Simonetti kaum.
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Erster regulärer Starter im Wettbewerb war John Gritta, der direkt an die Vielsprachigkeit Simonettis anknüpfte und mit seinem Text „Eden“ an allzu idyllischen Europabildern kratzte und den Finger in die Wunde legte. Von Leichenbergen, die sich an den Stränden auftürmen, ging Gritta zu einer Vorstellung Europas als Garten über, den es zu pflegen und nicht als etwas Gegebenes hinzunehmen gilt, wenn er nicht welken soll. Das Gegenteil von Liebe ist eben nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Ein formal wie inhaltlich überzeugender Text, der mit 26,4 Punkten einen Platz unter den besten Sechs fand.
Eva Maria Gruber befasste sich mit ihrem neuen Ausweis und dem Leben auf dem Dorf. Als „Zugereiste“ schilderte sie ihre Schwierigkeiten, sich in die Dorfgemeinschaft einzubringen und die Verlegenheit, in die sie der neue Wohnort im Dokument oft bringt. Nicht jede oder jeder im Dorf kennt jeden.
Sichtlich nervös betrat Amely Tschugguel die Bühne und egal, ob diese Nervosität nun gespielt oder authentisch war, sie passte wie die Faust aufs Auge zu ihrem Text aus der Sicht eines Hundes. Als dieser fürchtete sich in englischer Sprache vor anderen Hunden. Um sich gegenüber diesen behaupten zu können, beißt er schließlich zurück und bekommt einen Maulkorb verpasst, was die von der Bühne transportierte Panik ins Unermessliche steigerte.
Startnummer 4, Elisabeth Krug, zog in ihrem Matura-Jahr Bilanz und schilderte als „schlechte“ Schülerin den mäandernden und mühevollen Weg zur Diagnose Lernschwäche, die erst mit 14 kam. Am Muster und am Notenschnitt änderte das nicht viel und die Floskeln blieben dieselben: „Wenn du dich nur ein bisschen mehr anstrengen würdest…“ Es stimme, dass „positiv“ ausreichend sei, am Ende fragte sich Krug jedoch, ob diese Noten ihrem Fleißund ihren Mühen entsprechen würden.
Lena Moroder befasste sich in ihren dreieinhalb Minuten mit Zeit und fand sich in einer ambivalenten Beziehung zu dieser wieder. Das „Tic Tac“ der Uhr bringt ihr auf der Bühne nicht nur Veränderung und allzu kurzes Glück, sondern charakterisiert sich für sie vor allem durch das, was sie Moroder wegnimmt: Die Zeit ist eine Diebin.
„Das Glauben“ und auch das Misstrauen gegenüber dem Nächsten - die Liebe springt weiter zum zweitnächsten Leben - waren für Agata Gritti Thema ihres Auftritts. Beginnend bei der Geburt Evas aus einer Rippe, nahm Gritti Bezug auf Ungleichbehandlungen und Unsicherheiten und proklamierte, dass man nicht „Haut als Einladung“ lesen dürfe. Der Text zwischen persönlicher Religiosität und Gewalt an Frauen überzeugte die Jury, mit insgesamt 27,3 Punkten ging es eine Runde weiter.
Abermals ein Beitrag in englischer Sprache kam von Seamus Wimhurst, der in „The Zodiac“ (auf deutsch: Das Horoskop) versucht, ein Mädchen im Bus anzusprechen, lediglich um zu erfahren, dass die von ihm aus der Ferne bewunderte Schönheit nicht an die Beziehungen zwischen Zwilling und Steinbock glaubt. Für den bitterböse-ironisch slammenden Wimhurst ist damit klar: Girls are Spacerasists. Den humorvollen Text belohnte die - mehrheitlich weibliche - Publikumsjury mit 28,4 Punkten.
Auf halbem Weg durch Runde eins brachte Annalena Kluge „Mitvergangenheit mit Vergangenheit“ mit und führte uns in einen Wald. Es sollte nicht irgendeiner sein, sondern ein Wald „mit Vergangenheit“, in dem sich das lyrische Du des Textes auf die Suche nach „seinem“ Baum macht. Wenngleich die Struktur des Textes mit wiederkehrenden Elementen arbeitet, so macht der Wandel vor dem Wald nicht halt. Kluge ist sich im Klaren darüber, dass auch wenn ein Wald aufgeforstet wird, er häufig seine Eigenart und seine Geschichte verliert.
Als einziges Duo im Wettbewerb traten „Caro und Caro“, Carolin Paoli und Carolina Waldmüller Unterweger an. Bezug nehmend auf die Engel und Teufel, die in Cartoons oft auf den Schultern der Trickfiguren Platz nehmen um ihnen ins Gewissen zu sprechen, trat man farblich aufeinander abgestimmt, ganz in weiß, sowie in rot und schwarz auf die Bühne. Ob es sich dabei schon um eine Verkleidung handelte, die nach den Regeln, wie Requisiten oder Musikbeiträge, nicht auf die Slambühne sollen, mussten die Organisatoren am Ende nicht klären. Ohnehin entsprach das, was die rote Teufelin uns zu sagen hatte, mehr dem, was ein gewisser „bärtiger Teufel“ im Südtiroler Landtag von sich gibt. Am Ende überzeugte uns der Engel am meisten, als er den Teufel von der Bühne warf.
Elsa Gigliotti, Startnummer 10, trat mit einem lyrischen Text „The poet and the moon“ an, der abermals die Freude der Schülerinnen und Schüler am Spiel mit Sprache und Sprachwechseln untermauerte. Der lyrische Text mit Märchenzügen, der voller jugendlicher Sehnsucht steckt, fragt sich trotz der Unmöglichkeit der abgebildeten Beziehung: Kann etwas von ihr (der Mond ist außerhalb der Deutschen Sprache meist weiblich), mit Anklängen von Shakespeare, in seinen Texten fortleben? Kann es sein, dass es für eine gute Performance am Ende 27,3 Punkte gibt?
Nach Gigliotti betrat Deliah Frisbee die Bühne, von der auch das gelungene Plakat zur Veranstaltung stammt. Scheinbar reichen Frisbee ihre graphischen Talente allerdings nicht, so dass sie sich auch auf ein weiteres Talent verlässt: Das Hellsehen. Bereits in ihrer Einleitung wusste Frisbee nämlich, dass ihr das Publikum zuhören und am Ende klatschen würde. Lieber als Prognosen nach Wahrscheinlichkeit zu entwickeln, blieb die Slammerin jedoch beim sich „Selbstausmahlen“ möglicher, aber unwahrscheinlicher Szenarien. Im Text in Listenform legte Gigliotti dabei unter anderem offen, dass Jesus bei seiner Wiederkehr E-Skateboard fahren würde und der Sitz der Seele in den oberen Backenzähnen zu finden sei. Mit 28,9 Punkten sollte Deliah Frisbee Vorrundenzweite sein, verzichtete jedoch auf den Startplatz in Runde 2. Ihren Erfolg hatte sie nicht kommen sehen und somit nur einen Text vorbereitet.
Das Dutzend voll machen durfte Sonia Gottardi, die Gewalt in der Beziehung als Parabelform umschrieb, die mit Prozentzahlen begleitet wird. Einen Nachmittag lang folgen wir der isolierten Protagonistin zum Besuch einer Freundin und spüren sichtlich, wie diese aufblüht, bis ihr Mann nach Hause kommt und er sie durch (verbale) Gewalt zurück an den Nullpunkt bringt. Dafür gab es satte und verdiente 29 Punkte.
Weniger Erfolg sollte Adam Dalpiaz haben, der seinem lethargisch, depressivem (Kunst-)Wesen treu blieb. Etwas unausgereift in den Inhalten unterhielt Dalpiaz das Publikum und sich mit ihm. Auf der Suche nach reizvollen Aufgaben im Bildungswesen oder der Berufswelt, stellte sic Dalpiaz den Job eines Unternehmensberaters vor und rät, post hoc, dem „Herrn Alpitronik“ zu besserem Brandschutz. Was die Zukunft anbelangt, so kann der Slammer eine menschliche Kompetenz ausmachen, die sich nicht durch künstliche Intelligenz ersetzen lässt: Sich zu beschweren.
Judith Pfeifer setzte sich anschließend kritisch mit einem Kalenderspruch auseinander: Lebe jeden Tag so als wäre er dein letzter. Dabei erkennt sie, dass ein Tag nie ausreichend sein könne und dass sie sich lieber nicht mit „irgendwie, irgendwo, irgendwann“ sehnt, sondern nach dem gegenwärtigen Moment.
Als vorletzte vor der Pause trat Isabella Burchia auf, deren Textbeitrag, eine „Ode an den Kapitalismus“ wohl eher als abschreckendes Beispiel dienen sollte. Mehr noch als an eine Ode erinnerte der Text dabei an ein Gebet, nur nicht an einen gütigen Gott. Für Burchia verschlingt unsere Wachstumsgesellschaft das Individuum und die Autorin rät, das System zu sprengen.
Der letzte Namen, der aus dem Hut gezogen wurde, sollte jener von Arno Bertella sein, der Blumen in Textform mitbringen sollte. Dabei ging es ihm vor allem um die Sprache der Blumen in einer Beziehung. Er stellte fest, dass es nicht immer die Rose sein müsse. Alles lasse sich durch die Blume sagen, es ließen sich Blumen aber auch als Freifahrtschein nutzen. Mit 25,9 Punkten rückte Bertella anstelle von Deliah Frisbee nach.
Der letzte und der ersteNach der Pause kommt Nina Trettl Demetz die Aufgabe zu, das Publikum wieder auf den Slam einzustimmen und sie beschließt dies mit der dramatischen Schilderung eines Fahrradsturzes zu tun. Ihrer „bici arancione, grigia, rossa e blu“ widmete sie übrigens den bis dahin einzigen Text ganz auf Italienisch.
Anschließend wurde es für Bertella noch einmal spannend. Er stellte die durchaus ernst zu nehmende, oft auch zur Floskel verkommene Frage „Geht es euch gut?“. Sein Text „Therapie“ ist dabei sehr kritisch gegenüber dem Berufsstand Therapeut:in und verfängt sich bei „performativem Altruismus“ und der Vorstellung der Selbsthilfe ein wenig. Therapie ist sicher nicht für jede und jeden der richtige Weg aus einer Krise, doch für viele.
John Grittas zweiter Textbeitrag stellt sich, irgendwo zwischen König der Welt und dem Gefühl, belanglos zu sein, dem Gefühl „wie eine Pizza im Toaster“, fehl am Platz zu sein. Bis an den Rand seines Bewusstseins treibt ihn dabei der Wunsch, auch nur einen kleinen Teil zur Geschichte beitragen zu können, wenn sich in der augenscheinlichen Belanglosigkeit schon kein Sinn ablesen lässt.
Elsa Gigliotti brachte zum Finale einen etwas knappen italienisch Text mit, der kritisch das Konzept einer gehassten Heimat oder eines geliebten Mutter- oder Vaterlands hinterfragte, die den Odysseus auf eine Irrfahrt führt und andere zum stolzen Tod für die Patria verleitet. Gigliotti zeichnet den Tod unter einen „cielo blu di piombo“ und unterstreicht die Gleichgültigkeit des Systems.
Mehrsprachig trat Agata Gritti mit ihrem Slam-Gedicht „vorrei una pioggia fredda“ auf, das sich auf die Sinnes - insbesondere Geschmackserfahrungen - seines lyrischen Ichs konzentrierte und in ihnen, trotz Widerstands von außen, etwas lebensbejahendes sucht. Gefühlen wie Zorn wird ein Geschmack wie Bitterschokolade zugeschrieben und am Ende verläuft sich der Text etwas im verlorenen Maß und der Genussbotschaft.
Als „Partyanimal“ würde Seamus Wimhurst sich selbst nicht beschreiben und dennoch widmet er dem Begriff gerade diesen einen abermals englischen Text. Dem Ausgehen gemeinsam mit anderen Primaten, die sich gemeinsam in einen Zementzoo zwängen kann er nicht viel abgewinnen und auch nicht dem Senken der Hemmschwelle durch Alkohol, der ältere „Affen“ dazu verleitet, die Äffinnen auch noch zu küssen, im Wissen, dass diese noch minderjährig sind. Was lernen wir aus diesem Affenzirkus? Wohl nichts, da Wimhursts Text mit „next friday“ endete.
Sonia Gottardi brachte zum Abschluss der zweiten Runde einen Text mit, der Individualität und Anpassung thematisierte und, wie schon zuvor Bertellas Text mit Blumenbildern arbeitete. Die Geschichte von einem etwas altklugen Kind, das der Mutter einen Blumenstrauß pflückt, erzählt in blumiger Sprache, was die Rose der Tulpe und die beiden der Sonnenblume neiden. Am Ende sind sich Kind, Mutter und Blumen einig: Den schönsten Strauß bindet die Vielfalt.
Was die Gewinner des Abends anbelangt, so wurden alle 17 von ihnen am Ende für ein Gruppenfoto auf die Bühne gerufen. Die Preise entgegennehmen durften am Ende Seamus Wimhurst (Platz 1 mit insgesamt 57,3 Punkten), Sonia Gottardi (Platz 2 mit 56,9 Punkten) sowie Agata Gritti (Platz 3 mit 56,7 Punkten). Allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ist für viel Mut und Kreativität in jungen Jahren zu gratulieren.