„Von Tutn und Blasn koa Ahnung“
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SALTO: Sie waren 20 Jahre lang Almmeister und haben die Alminteressentschaft Stilfser Alm mitbegründet. Wie sind Sie zum Thema Herdenschutz gekommen?
Josef Ortler: Die Stilfser Alm liegt direkt an der Schweizer Grenze. Wir wussten, dass in der Schweiz Wölfe nachgewiesen sind, es war uns klar, dass die Jungwölfe vom Calanda-Rudel bei Chur auch nach Südtirol abwandern könnten. 2017 hatten wir die ersten Risse an unseren Schafen, aber nicht durch Wölfe, sondern durch Bären. Da traf ich mich mit Gleichgesinnten um herauszufinden, wie im Trentino Nutztiere gegen Bärenangriffe geschützt werden. Seitdem ging ich zu allen Info-Veranstaltungen. 2019 ging es dann richtig los mit zwei, 2020 mit acht und 2021 mit 19 gerissenen Schafen.
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Was waren die ersten Schritte, die Sie damals als Almmeister in die Wege leiteten?
Wir telefonierten zuerst mit dem Kleintierzüchterverband. Danach fragten wir die Verwaltung vom Nationalpark; diese empfahl die Schafe in der Nacht zu zäunen. Wir hatten schon immer Hirten, einer hatte auch eine Saison in der Herde gehütet. Es war uns klar, dass wir die Art der Behirtung umstellen und einen systematischen Herdenschutz einführen mussten, aber wie? Ich hörte vom LIFEstockProtect und telefonierte mit Leuten vom Projekt. Im Juni 2021 fand die erste Begehung statt, im Herbst 2021 hatten wir ein Konzept, das sah auch Herdenschutzhunde vor. Wir fanden für 2022 eine geeignete Hirtin, sie hatte bereits mit solchen Hunden gearbeitet. Die fünf Herdenschutzhunde hat uns LIFEstockProtect kostenlos zur Verfügung gestellt.
Einige der Flächen, die die Stilfser Alminteressentschaft beweiden lässt, liegen in Sulden, an der Bergstation vom Sessellift Langenstein und der Hütte K2, wo Tausende von Touristen unterwegs sind. Was ist Ihre Erfahrung?
Wir waren alle überrascht, wie reibungslos das ging. Die Herdenschutzhunde waren sehr gut auf Menschen sozialisiert und die Hirtin hatte sie zusätzlich eingewiesen, denn am K2 ist ganz schön Bewegung. Und tatsächlich gab es keine Zwischenfälle mit den Herdenschutzhunden.
Das war für Sie als Initiator von Herdenschutz auf der Alm eine Bestätigung. Aber Sie sind aus dem Vorstand der Stilfser Alm vor wenigen Wochen ausgetreten. Warum?
Ich habe mehrere Gründe, aber am meisten belasten mich die ständigen Anfeindungen von unwissenden Dritten zu Herdenschutz. Wenn du etwas Neues und Anspruchsvolles beginnst, geht nicht alles glatt, alle lernen dazu. Aber nur das Haar in der Suppe suchen, ist billig und es stresste unsere Gruppe.
In der Sendung von RAI Südtirol Pro und Contra vom 19. September 2023 warf Lorenz Müller, Obmann des Kleinviehzüchterverbands Südtirol, Ihrer Almorganisation und der Hirtin vom Vorjahr vor, die Schafe wären bei schlechter Gesundheit gewesen. Grund: Der geführte Weidegang.
Wie ich sage, lernen wir alle dazu! Tiergesundheit auf der Alm ist ein großes Thema und häufig wird es nicht so ernst genommen. Von den Kollegen in Tirol weiß ich, dass sie Tiergesundheit und Gewichtszuwachs auf den drei Tiroler Projektalmen dokumentiert haben. Als wir für die Stilfser Alm umstellten, versäumten wir den Schafhaltern klar zu sagen, dass sie die Schafe gründlich vor dem Almauftrieb mit dem richtigen Wurmmittel entwurmen mussten. Wir waren der Meinung, dass sie das von sich auch täten. Einige machten das, andere nicht. Diese Kultur muss man als Almorganisation erst einführen.
Wo ständig Wölfe sind, reicht der Nachtpferch nicht mehr, da braucht es auch Herdenschutzhunde.
Heuer haben wird das Entwurmen besser mitgeteilt, aber nicht mit dem passenden Mittel, denn einige Schafe brachten Bandwurmbefall gleich am Anfang mit auf die Alm. Daraus aber abzuleiten, das Herdenschutz nicht funktioniert, das finde ich nicht richtig. Es ist ein großer Vorteil für die Tiere, wenn Hirt oder Hirtin immer da sind: Bei den Ablammungen können sie Verluste vermeiden. Sie können bei Verletzungen sofort eingreifen oder uns und die Tierhalter verständigen. Die Hirten schützen die Herde nicht nur vor Wölfen oder Bären, sondern auch vor allen anderen Gefahren am Berg. Bevor die Wölfe und Bären auftauchten, wussten alle, dass im Herbst mit Verlusten von Weidetieren zu rechnen ist, da gab es nicht so viel Lärm.
Kam denn 2022 jemand von den Behörden und dem Kleinviehzüchterverband, um sich das Stilfser Herdenschutzprojekt genauer anzuschauen?
Der Direktor vom Nationalpark und Lorenz Müller besuchten uns, als wir Anfang Oktober 2022 zu Ende der Saison unsere Erfahrungen und Ergebnisse vorstellten. In der Zeit waren die allermeisten Schafe nicht mehr auf der Alm, es blieben noch ein paar trächtige Schafe und Mutterschafe mit gerade geborenen Lämmern in einer Koppel, bis sie ihre Besitzer abholen kamen. Diese Schafe hatte der Geschäftsführer vom Kleintierzuchtverband gesehen. Noch immer bewacht von der Hirtin und den Herdenschutzhunden.
Sie waren 2022 noch Almmeister, Sie kennen Herrn Müller ja schon viele Jahre. Hatte er Gelegenheit, Fragen an Sie und die Hirtin zu stellen?
Zu Ende der Almsaison informierten sich mehr als 100 Kollegen über unsere Erfahrungen, auch Lorenz Müller befragte die Hirtin und mich. Wir informierten ihn über die positiven Ergebnisse, wie allen sagten wir ihm auch, dass wir einiges sehen, das wir verbessern möchten.
Auf der Stilfser Alm arbeiteten 2022 und 2023 Herdenschutzhunde, immer Pastore Abruzzese. Kommen wir noch einmal zum Thema Herdenschutz und Touristen. Häufig wird behauptet, das eine schließt das andere aus.
Wenn man so gut sozialisierte Herdenschutzhunde hat wie wir 2022 und 2023, sehe ich mich imstande, dass ohne Konflikte mit den Touristen zu organisieren. Die Wanderer und Biker konnten sogar die Schafherde durchqueren. Das heißt jetzt nicht, dass Leute mitten durch Herden laufen oder radeln sollen, normalerweise wird gerade das nicht empfohlen! Wir waren während der Almsaison entspannter als früher. Klar, wenn du ein Wolfsrudel in der Nähe hast, brauchst du mindestens fünf oder sieben Herdenschutzhunde, und das geht ins Geld. Wir waren im Frühjahr beim Landesrat Schuler, aber leider gibt es weder Unterstützung für den geführten Weidegang noch für Herdenschutzhunde.
Im Unterschied zu Österreich, Bayern oder der Schweiz. Sie hatten 2022 wieder Wolfspräsenz auf der Alm?
Die Hirtin berichtete es und daher wissen wir, dass diese Herdenschutzhunde ihre Arbeit gut erledigten. Nach zwei Jahren sage ich klipp und klar: Herdenschutz funktioniert.
Es wurde uns allmählich klar, dass viele versucht haben, unsere Erfolge herunterzuspielen.
Was würden Sie in Ihrem Konzept verbessern?
Zu Anfang hätte es zwei Hirten gebraucht, bis sich die Schafe daran gewöhnt haben als Herde zusammenzubleiben. Das braucht ein paar Jahre, bis die jungen Schafe nichts anderes mehr kennen. Sobald die das kennen, reicht auch ein Hirte. Erfahrene, sorgfältige Hirten oder Hirtinnen sind unerlässlich, die immer bei den Tieren sind. Zweitens ist die Kontrolle der Tiergesundheit vor dem Almauftrieb entscheidend. Die Klauen müssen gut gepflegt sein, Tiere mit ansteckenden Klauenkrankheiten dürfen nicht aufgetrieben werden. Da reichen auch die Klauenbäder vor dem Auftrieb nicht aus. Und wie ich gesagt habe: Nur wurmfreie Tiere kommen auf die Alm. Am besten keine Ablammungen am Berg, hier sterben die Lämmer leicht, im Stall hast du mehr Möglichkeiten. Wo ständig Wölfe sind, reicht der Nachtpferch nicht mehr, da braucht es auch Herdenschutzhunde. Die Hirten müssen sich ja ausruhen. Gut sozialisierte und zertifizierte Herdenschutzhunde aus Arbeitslinien wären das Beste.
Sie sagen, die Hirtin hat ihre Sache gut gemacht 2022. Warum dann die Kritik von Bauern und von Vertretern der Landwirtschaft?
Ja, ich denke, dass wir eine junge Frau eingestellt haben, hat vielleicht manche dazu veranlasst, das sind sie nicht so gewohnt. Lorenz Müller verteidigte in Pro und Contra ausdrücklich die männlichen alten Hirten. Klar gibt es sehr gute Hirten unter denen, die heute nicht mehr aktiv sind. Die ganz Alten übten sogar noch den geführten Weidegang, ich kenne noch einige. Es wurde uns allmählich klar, dass viele versucht haben, unsere Erfolge herunterzuspielen, damit die Erfahrungen der Stilfser Alm in Südtirol keine Schule machen sollten.
Seit Jahren wissen die Beamten in Bozen, dass Abschüsse nur schwer umzusetzen sind und in keinem Fall Herdenschutz ersetzen.
Hätten wir heuer also wieder bis zum Ende der Saison gezeigt, dass Herdenschutz umsetzbar ist, wäre das mit dem Gesetz zu den Weideschutzzonen nicht zusammengegangen. Es kam daher vielen vermutlich sehr gelegen, dass die Almverwaltung sich vom Hirten Anfang August getrennt hatte und die Herdenschutzhunde von der Alm geholt wurden. So konnte niemand mehr behaupten, es kann funktionieren.
In zahlreichen Gesprächen äußern die Tierhalter ihre Frustration über die Hirten. War das auch für die Stilfser Alm 2023 Thema?
Der Hirte in diesem Jahr war gut. Er hatte sehr viel Erfahrung mit Tierkrankheiten. So stellte er schnell die Verwurmungen fest und telefonierte, um Medikamente einzusetzen. Einige fühlten sich dann angegriffen, der Hirt übertreibt die Sache, sagten sie. Aber er hat die Verantwortung für die Tiere. Manche wollen auch nicht, dass ein Hirt vor Ort ist.
Die Stilfser Alm wurde schon immer von den Forstbehörden und dem Nationalpark Stilfserjoch unterstützt. Die Hütten, die auf den Almflächen stehen und umfassend saniert wurden, damit sie für das Almpersonal bewohnbar sind, wurden von der öffentlichen Verwaltung finanziert, oder?
Wir hatten schon länger Pläne, die Ochsenberghütte herzurichten. Als wir dann die ständige Behirtung einführten, ging es schneller mit der Genehmigung, die Hütte herzurichten. Letztes Jahr schlossen wir auch die Sanierung der Oberen Schäferalm ab, die nun Solarstrom, eine Toilette und Dusche und fließend Warmwasser hat.
Wenn Herdenschutz auf der Stilfser Alm vom Gesetz her nicht möglich ist, warum kann dann eine Hütte für die Hirten mit öffentlichem Geld saniert werden? Ist das nicht ein Widerspruch?
Wir alle hier wissen nun, dass Herdenschutz auf den Stilfser Almen geht. Das Gesetz (Weideschutzzonen vom 13. Juni 2023, Nr. 10 A.d.R.) ist ein Blödsinn. Ich kann nicht den Erhalt von alten Landschlägen wie dem Schwarz-braunen Tiroler Bergschaf mit öffentlichem Geld unterstützen, und den Wolf diese Schafe dann ungeschützt überlassen! Seit Jahren wissen die Beamten in Bozen, dass Abschüsse nur schwer umzusetzen sind und in keinem Fall Herdenschutz ersetzen. Viele landwirtschaftliche Vertreter wollen keinen Herdenschutz zulassen, und wo er von besorgten Bauern trotzdem gemacht wird, wird diese Sorge und Mühe schlecht geredet wie in der Pro und Contra-Sendung.
Man weiß, dass Herdenschutz machbar wäre, will sich aber das Geld sparen, um es anderswo auszugeben.
Ich habe einen Vorschlag: Wenn Südtiroler Politiker und landwirtschaftliche Vertreter echt an den Blödsinn von den wolfsfreien Zonen glauben, sollen sie sich am Chavalatsch in die alte Zollhütte mit Schießscharten Tag und Nacht, 365 Tage im Jahr, auf die Lauer legen, um jeden Wolf versuchen abzuschießen. Ich rufe nicht zur Wilderei auf! Ich suche nur ein Bild um klarzumachen, warum wir auf der Stilfser Alm Herdenschutz brauchen.
Herr Ortler, wenn Wölfen mehrmals Herdenschutzmaßnahmen überwinden, was schlagen Sie hier vor?
Logisch den Abschuss dieser einzelnen Wölfe! Wenn wir Herdenschutz umsetzen, und nicht nur fürs Papier machen, und die Risszahlen gehen sehr deutlich zurück, und ein Wolf das überwindet, erlaubt uns die FFH Richtlinie, dass dieser Wolf geschossen werden kann. Das habe ich extra nachgefragt.
Warum, meinen Sie, wurde dieses Gesetz der Weideschutzzonen dann erlassen?
Man weiß, dass Herdenschutz machbar wäre, will sich aber das Geld sparen, um es anderswo auszugeben. Wir Schafbauern sind in der Landwirtschaft ja nicht wichtig. Die Landesregierung und die Verwaltung sagen uns vom Schreibtisch aus, dass es nicht möglich ist, was wir machen. Oder haben sie von Tutn und Blasn koa Ahnung?
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Dieses Gespräch mit dem…
Dieses Gespräch mit dem früheren Almmeister der Stilfser Alm bringt die gesamte Wolfsproblematik in Südtirol auf den Punkt und arbeitet das Versagen der Südtiroler Bauernschaft beim Umgang mit den großen Beutegreifern perfekt heraus.
Schon 2019 wurde mir klar, dass da eine Herausforderung auf Südtirol zukam und weil ich mich schon lange für eine zeitgemäße Landwirtschaft und eine symbiotische Kooperation zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft einsetze, habe ich mit meinem damaligen Projekt "Schule des Wandels" in Zusammenarbeit mit der URANIA Meran und dem Dachverband für Natur- und Umweltschutz sowie der Landwirtschaftsschule Salern erste Herdenschutzseminare organisiert und die Gründung einer Arbeitsgruppe angeregt, die beim Südtiroler Bildungszentrum angesiedelt wurde.
Von Anfang an haben die Bauern auf stur geschaltet und eine schon damals absehbar unrealistische Strategie eines "wolfsfreien Südtirol" postuliert und sich damit in eine Sackgasse begeben. Angetrieben wurde diese kurzsichtige und unprofessionelle Strategie von einer dummdreisten, gewissenlosen und journalistisch unredlichen Kampagne der "Dolomiten", die auf diese Weise die Bauern ins Ebner-Lager treiben will, um die politischen Gleichgewichte in Südtirol zu ändern.
Jetzt stehen Südtirol Bauern vor einem Scherbenhaufen, rennen aber weiter in die Sackgasse hinein. Anstatt ausgewiesene Experten wie den Almmeister Ortler in eine neue Strategie einzubinden, feinden sie ihn an und zwingen ihn zum Rücktritt. Der Obmann der Südtiroler Kleintierzüchter hat erst kürzlich in der RAI-Sendung pro&contra gegen den Herdenschutz gewettert und dabei ein peinliches Bild abgegeben, eine traurige Mischung aus Sturheit, Inkompetenz und frustrierter Untergriffigkeit.
Werden wir es noch erleben, dass Südtirols Viehbauern und das hetzerische Tagblatt auf den Weg der Vernunft zurückkehren?
In risposta a Dieses Gespräch mit dem… di Markus Lobis
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Zu Markus Lobis, letztem Satz: Ich denk das ganze Land könnte heiler werden, wenn es sich auf flächendeckende Traumaaufarbeitung einlassen würde.
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