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Netzpolitischer Murks

Sechs Gründe, warum die Klarnamenpflicht nicht nur ihr erklärtes Ziel verfehlen wird, sondern auch echten Schaden anrichten könnte.
Seifenblasen
Foto: Lanju Fotografie on Unsplash

Klarnamenpflicht für Online-Medien – ja oder nein? An dieser Frage scheiden sich viele Geister. Wir haben kontroverse Meinungen eingeholt. Den Auftakt macht Hans-Magnus Egger, Rechtsanwalt, salto-Mitbegründer und einer der elf Verwaltungsmitglieder des Herausgebers demos2.0.


 

Die Forderung nach einer Klarnamenpflicht ist netzpolitischer Murks: Sie droht das Kind der Meinungsvielfalt mit dem Badewasser der hate speech auszuschütten. Sie ist auch keine Antwort auf die Herausforderung, wie Meinungsfreiheit und der Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet zusammengehen können. Dazu kommt: Sie ist technisch nicht umsetzbar. Alles in allem überwiegen also ihre Nachteile die möglichen Vorteile.
Aus aktuellem Anlass: Hier sind sechs Gründe, warum die Klarnamenpflicht nicht nur ihr erklärtes Ziel verfehlen wird, sondern auch echten Schaden anrichten könnte.

 

Klarnamenpflicht hemmt Schöpfung

 

Das Thema der Pseudonymität ist größer und älter, als es der aktuelle Beschlussantrag wahrhaben möchte: Seit jeher wird Kunst und Kultur (auch) unter Pseudonymen geschaffen und möglich. Paul Celan, Kurt Tucholsky, Jack London, Pascal Mercier, Elena Ferrante, Joanne K. Rowling (um nur einige quer durch die schreibende Zunft zu nennen) waren oder verwendeten Pseudonyme. Ohne Pseudonymität wären die jeweiligen Werke wohl nicht oder nicht so entstanden.
Pseudonymität ermöglicht Kreativität und Schöpfung.

 

Klarnamenpflicht verhindert Vielfalt

 

Das Argument, jeder müsse zu seiner Meinung mit Namen und Gesicht stehen, ist zynisch und schmeckt nach Angry White Men. Es ist vielfach belegt und ausgeführt, aus welch vielfältigen Gründen Klarnamen eine offene, demokratische, gleichberechtigte Diskussion verhindern und  einschränken. Soziale, familiäre, ethnische, wirtschaftliche, religiöse Umgebung und Abhängigkeiten, Gesundheit, höchstpersönliche, private Situationen: Es gibt eine lange Liste von möglichen Gründen dafür, dass Pseudonymität vielen Menschen erst die Möglichkeit gibt, sich zu äußern, eine (unbequeme) Meinung zu vertreten, auf Um-/Missstände hinzuweisen. Wenn der/die geneigte Leser/in sich in dieser Kasuistik nicht wiederfinden sollte, so ändert dies nichts an deren Wahrheit, kann er/sie sich allerdings glücklich schätzen und seinen/ihren Klarnamen verwenden.
Aber es gilt zu verhindern, dass durch Klarnamenpflicht ein „chilling effect“ dergestalt entsteht, dass durch die Verhinderung von anonymen Meinungskundgaben ein Klima erzeugt wird, in dem die Meinungsäußerung letztendlich unterdrückt wird.
Pseudonymität schafft ein Sprachrohr.

Pseudonymität ist nicht Anonymität.

 

Klarnamenpflicht dient nicht der Meinungsfreiheit

 

Das Argument, dass Klarnamen Teil der freien Meinungsäußerung seien, ist an sich schon eine Gimpelfalle. Durch Klarnamenpflicht wird der öffentliche Diskurs unweigerlich einschichtiger, ärmer und konzentriert sich auf schon bekannte Namen, Gesichter und Meinungen. Monothematik sollte uns in und nach der Covid-Krise Gräuel sein.
Der deutsche Bundesgerichtshof (BGH) hat schon 2009 dazu befunden: „Die Verpflichtung, sich namentlich zu einer bestimmten Meinung zu bekennen, würde... die Gefahr begründen, dass der Einzelne aus Furcht vor Repressalien oder sonstigen negativen Auswirkungen sich dahingehend entscheidet, seine Meinung nicht zu äußern. Dieser Gefahr der Selbstzensur soll durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung entgegengewirkt werden.“
Pseudonymität dient der Meinungsfreiheit.

 

Klarnamenpflicht ist ein Feigenblatt

 

Auf der Fahne der Klarnamenpflicht stehen der Kampf gegen die Hassrede (hate speech) und die Verstärkung der Haftung des Einzelnen für sein Tun. So richtig und unumstritten diese Absichten sind: Für beide erklärten Ziele ist die Klarnamenpflicht kein Heilmittel.
Klarnamen sind kein wirksames Mittel gegen Hassrede und verbale Entgleisungen (Facebook, you name it…). Der Hang zu Übergriffen, Untergriffen und Beleidigungen entsteht nicht durch Pseudonymität, sondern durch die gefühlte Distanz zwischen Hassredner und Adressaten, die vermeintliche Omnipotenz und Unangreifbarkeit hinter Bildschirm und Tastatur. Die einzigen Mittel dagegen sind eine angemessene Moderation, ein zivilisiertes Gesprächs- und Diskussionsklima und eine engagierte Community-Umgebung, die selbstregulierend wirkt.
Pseudonymität heißt nicht Straffreiheit. Jeder haftet schon jetzt für sein Tun und Handeln; dies gilt für das Internet genauso wie Offline. Dies gilt für pseudonyme Beiträge genauso wie für die Verwendung von Klarnamen.
Im genannten Beschlussantrag ist selbst erwähnt, dass das Landesmediengesetz bereits jetzt vorschreibt, dass Kommentare und Beiträge über ein eingerichtetes Benutzerkonto verfasst werden müssen; damit ist nach Stand der Technik gewährleistet, dass auch jedes Pseudonym (wie jeder unter Klarnamen verfasste Beitrag) einer E-Mailadresse und IP-Adresse zugeordnet werden kann. Die Pseudonymität gilt nicht zwischen User und Seitenbetreiber.
Darin liegt auch der wesentliche Unterschied zwischen Pseudonymität und Anonymität, der im besprochenen Beschlussantrag (unbewusst?) völlig verwischt wird: Der pseudonyme Beitrag hat und behält einen Urheber, der dafür haftet und zur Verantwortung gezogen werden, der aber auch dessen Änderung oder Löschung beantragen kann.
Schließlich haftet der Betreiber der Online-Seite, sofern er es unterlässt, geeignete Maßnahmen zur allenfalls erforderlichen Identifikation der User zu setzen.
Pseudonymität ist nicht Anonymität.

Der Vorschlag der Klarnamenpflicht ist ein Verlegenheitssignal.

 

Klarnamenpflicht ist anachronistisch

 

Der Vorschlag der Klarnamenpflicht ist ein Verlegenheitssignal. Der technische Fortschritt und die Zentralität des Internets stellen uns (und unsere Politiker) vor neue Herausforderungen. Diesen kann nur sachgerechten Maßnahmen auf der Höhe der Zeit wirksam begegnet werden. Was dem Leserbriefschreiber ein Vor- und Nachname war, ist dem Online-Plattform-User seine E-Mail- und IP-Adresse. Die Klarnamenpflicht ist eine Maßnahme aus dem Offline-Zeitalter, in dem jede Zeitung ihre Leser wissen hat lassen: „Anonyme Zuschriften werden nicht veröffentlicht.“
Alle die kleineren und größeren Unstimmigkeiten, die hinsichtlich der Klarnamenpflicht manifest werden, zeigen, dass es sich dabei um keine zeitgemäße Antwort auf neue Fragen handelt.
Besonders misslich ist der reflexhafte Griff der beschlussbeantragenden Abgeordneten zum Geldhahn. Das Landesmediengesetz „fördert die Freiheit und Pluralität der Medien mit dem Ziel, die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft Südtirols zu befriedigen…“ (Art. 1 LG 6/2002), kann aber nicht die Aufgabe haben, in den Betrieb der privaten Medienanbieter einzugreifen. Dass der Zugang zur Förderung jenen vorbehalten ist, die Recht und Gesetz beachten, steht nicht in Frage.

 

Klarnamenpflicht ist technisch nicht umsetzbar

 

Die vorgeschlagene Klarnamenpflicht ist aus technischer Sicht nur mit drakonischen Nebenwirkungen überhaupt umsetzbar: Offensichtlich hat man sich die Frage der Missbrauchsgefahr nicht gestellt. Nach den aktuellen technischen Standards steckt hinter dem User „Peter Maier“ genauso wahrscheinlich ein bürgerlicher Peter Maier wie hinter den Usern „Max Mustermann“ oder „Darth Vader“. Wer ist in der Lage, und wer ist berechtigt, zu überprüfen, dass der angegebene Klarnamen auch der tatsächliche Vor- und Nachname des angemeldeten Users ist?
Eine eindeutige Identifikation (offline: Ausweiskopie, Fingerabdrücke, Taufschein?) wäre für private Seitenbetreiber ein nicht zumutbarer Aufwand, würde den öffentlichen Diskurs im Internet wieder zum Erliegen und neue Gefahren des Daten- und Kontrollmissbrauchs mit sich bringen.

Fazit: Die Fragestellung hat bessere Antworten verdient.
Die Politik benennt, worum es hier im Kern eigentlich geht: „Das Land Südtirol anerkennt die zentrale Rolle des öffentlichen Diskurses zum Zwecke der demokratischen Meinungsbildung.“ (Art. 10 Absatz 5, LG 6/2002). Der öffentliche Diskurs ist auch und besonders im Internet zu gewährleisten und zu fördern. Dies kann naturgemäß nicht in geordneten und vorgezeichneten Bahnen geschehen, auch wenn man dabei Gefahr läuft, dass Teile der Vielfalt unschön, irritierend und nervig sind.
Neue Verbote und Beschränkungen sind dafür keine Lösung, wenn sie selbst eine größere Gefahr für die Meinungsfreiheit darstellen als das, was sie beschränken wollen.
Nicht umsonst plakatiert die Landesverwaltung in diesen Tagen (zu anderem, auch aktuellen Thema, etwas verkürzt): Freiheit ist Verantwortung.
Pseudoymität bedeutet Freiheit UND Verantwortung.