Das ist die Landwirtschaft der Zukunft
Die Pandemie bringt auch unsere Landwirt*innen dazu, neue Wege zu gehen. Für viele bedeutet das ein nachhaltigeres Konzept von Landwirtschaft - regional, direkt und zukunftsfähig. Ein Interview mit Meike Hollnaicher, Brand Manager Direttissima, Messe Bozen.
In Italien gibt es zum heutigen Stand 89.621 Direktvermarktende, das sind knapp 22% aller Bauern und Bäuerinnen.
Seit der Pandemie gibt es 14% mehr Jungunternehmer*innen unter 35 Jahren in der italienischen Landwirtschaft. (Statistik Coldiretti, Dezember 2020)
Die Zahl der Landwirt*innen, die ihre Hofprodukte direkt an die Verbraucher*innen vermarkten, ist 2020 um 5% angestiegen. (Statistik fasi.biz, September 2020)
Liebe Meike, wie siehst du denn die Landwirtschaft der Zukunft?
Das ist eine schwierige Frage. In meinen Augen müsste sie eher lauten: wie sieht die Zukunft der Landwirtschaft aus, wenn es so weitergeht wie bisher? Da haben wir nämlich eine fortschreitende Industrialisierung, in dem große Betriebe die kleinen Betriebe auffressen. Auf der anderen Seite sehe ich gerade jetzt die Möglichkeit, die kleinen Betriebe zu stärken. Genossenschaften neu zu strukturieren, wie es Bio Alto macht, den Direktverkauf zu stärken, um den Produkten wieder ein „Gesicht“ zu geben – da können dann auch höhere Preise verlangt werden. Ich persönlich finde es sehr wichtig, diese emotionale Verbindung zwischen Produkt und Konsument wiederherzustellen. Das wäre auf jeden Fall eine Zukunft, die ich vorziehen würde, denn viele kleine Betriebe im Gegensatz zu wenigen großen bedeutet auch mehr Biodiversität. Auch wenn man sagen muss, dass in Südtirol – auch dank des Tourismus – viele kleine Höfe die Möglichkeit haben, weiterhin zu bestehen, und dass das „Höfesterben“ noch lange nicht so ausgeprägt ist wie zum Beispiel in Deutschland.
Was ist denn der Unterschied zwischen der Landwirtschaft in Deutschland und in Südtirol?
Der größte Unterschied ist wahrscheinlich das Image der Landwirt*innen. In Deutschland sind die Betriebe vor allem jetzt wegen der Klimafrage stark in Kritik geraten – teilweise zurecht – aber es ist für viele momentan auch emotional schwierig. Es hat sich mittlerweile sogar der Begriff „Bauern-Bashing“ etabliert, wo Bauern teilweise wirklich beschimpft werden. Natürlich gibt es auch unter deutschen Landwirt*innen die Bewegung in Richtung Nachhaltigkeit und Biodiversität, aber in Südtirol hat die Landwirtschaft schon mal einen ganz anderen Stellenwert. Hier ist sie eng mit dem Landschaftsbild verknüpft, das als eines unserer höchsten Güter gilt, da der Tourismus davon lebt. Das schafft eine direkte Verbindung zwischen Landwirtschaft und Tourismus und fördert das Image der hiesigen Bauern und Bäuerinnen. Außerdem hat die Landwirtschaft hier in Südtirol eine sehr starke Lobby.
Ganz persönlich: wie kommt man zum Thema nachhaltige Landwirtschaft in Südtirol?
[lacht] Man kommt dazu, indem man in Deutschland auf einem kleinen Bauernhof aufwächst, so wie ich. Wir hatten eine Mutterkuhhaltung mit 10 Kühen, was zum Überleben absolut nicht reicht, also muss man das eigentlich als Hobby ansehen. Die Ställe im Umland waren – sofern sie nicht leer standen – wesentlich größer, mit mindestens 200 Tieren pro Stall. Für mich war daher immer klar, dass ich mit Landwirtschaft nichts am Hut habe. Ich habe dann Design studiert und angefangen, mich für das Thema Nachhaltigkeit zu interessieren. Als ich dann nach Bozen gezogen bin, um einen Master in Ecosocial Design zu machen, habe mich erst wieder an meine eigenen Wurzeln erinnert. Denn Nachhaltigkeit hat ganz viel mit dem Thema Lebensmittelproduktion zu tun – in meinen Augen sind sie untrennbar miteinander verbunden. Lebensmitten nachhaltig herzustellen bedeutet nämlich, auch das Land richtig zu nutzen und es wieder in Richtung Biodiversität zu führen. In Südtirol ist mir das erst wieder klar geworden.
Wie kam dann aber der Kontakt zu dieser neuen Generation an nachhaltigen Landwirt*innen zu Stande?
Das geschah im Rahmen meines Masterstudiums, genauer gesagt meiner Masterarbeit. Diese habe ich den Südtiroler Landwirten und Landwirtinnen gewidmet, sie trägt den Titel „Farmfluencers of South Tyrol“. Ich habe mich da vor allem mit Betrieben auseinandergesetzt, die neue Konzepte von Nachhaltigkeit oder sogar regenerativer Landwirtschaft aktiv leben – das heißt praktisch, dass sie nicht nur ressourcenschonend arbeiten, sondern versuchen, mit ihrer Landwirtschaft Ressourcen auch wiederaufzubauen. Genau hier hat die Landwirtschaft ein extrem großes Potential. Sie kann den Klimawandel nicht nur stoppen, sondern kann auch ganz vieles wieder gut machen. Während meiner Recherche und diversen praktischen Erfahrungen habe ich dann beschlossen, eine Interviewreihe mit den Landwirt*innen zu starten, in denen sie ihre ganz persönlichen Erfahrungen teilen können. Was zum Beispiel passiert, wenn man auf wenig Verständnis stößt mit dem, was man macht, wenn die Nachbarn einen belächeln, oder wenn Dinge plötzlich funktionieren von denen alle immer gesagt haben: das geht nicht. Aus dieser Interviewreihe ist mittlerweile ein eigenes Projekt geworden, das denselben Titel trägt wie meine Masterarbeit: Farmfluencers of South Tyrol.
Farmfluencers of South Tyrol als Projekt - was können wir uns darunter vorstellen?
Farmfluencers ist eine Community von nachhaltigen und zukunftsfähigen Bäuerinnen und Bauern in Südtirol, die sich regelmäßig trifft, um sich auszutauschen. Auf der anderen Seite ist Farmfluencer aber auch ein Storytelling Projekt, das Mut machen und jene inspirieren soll, die nachhaltiger werden möchten. Auf unserer Webseite www.farmfluencers.org finden Interessierte dann Artikel und Podcasts, die gibt’s mittlerweile auch auf Spotify, und demnächst launchen wir auch unsere ersten Videos.
Du hast ja jetzt schon dein nächstes Projekt am Start, diesmal mit uns zusammen: Direttissima. Was ist das denn?
Direttissima ist die erste „digital first“ Messe der Messe Bozen, das heißt ein Projekt, das von Anfang an als hybrid gedacht wurde, Corona hin oder her – es ist praktisch von Geburt an „natürlich hybrid“ [lacht]. Ziel ist es, die Direktvermarktenden aus ganz Italien mit einzubinden, von Nord bis Süd, da in diesem Bereich jetzt vor allem mit der Pandemie ein Umdenken stattgefunden hat. Der Anteil der Jungunternehmer in der italienischen Landwirtschaft ist vergangenes Jahr erheblich gewachsen, so viel wie noch nie zu vor, und die Direktvermarktung wird als Thema immer wichtiger. Direttissima wird zunächst eine digitale Community für all diese Direktvermarktende sein, wo sie sich austauschen können, aber auch an digitalen Events teilnehmen können und Informationen finden. In einem zweiten Schritt – voraussichtlich 2022 – wird Direttissima dann zu einer physischen Messe mit Ausstellern, also den Ausstattern unserer Direktvermarktenden, zum direkten Austausch von eben Produkten und Services, natürlich mit einem maßgeschneiderten Eventprogramm.
Farmfluencers und Direttissima – was ist das Ziel dieser Communities für die neue Generation an Landwirt*innen?
Egal ob Storytelling-Projekt, digitale Community oder physische Messe – das sind alles Mittel und Wege, der Landwirtschaft eine Richtung zu geben und die kleinen Betriebe zu stärken. Auch weil die einzelne Person oft schneller ist als die Institution oder die Politik. Wenn man sich nachhaltig entwickeln will, braucht es irgendwann natürlich die entsprechenden institutionellen und politischen Entscheidungen, aber in der Zwischenzeit hat jeder einzelne Landwirt und jede Landwirtin die Macht, für sich selbst zu entscheiden, etwas anders zu machen. Und so können irgendwann alle Landwirt*innen gemeinsam entscheiden, nachhaltig zu werden. In der Kleinteiligkeit der Landwirtschaft liegt unglaublich viel Kraft, so wie man eben in einem Kollektiv stärker ist. Das alles würde man heute wahrscheinlich einen „bottom up approach“ nennen [lacht].
Wie’s mit Farmfluencers weitergeht, wissen wir – wie geht’s denn mit dem neuen Projekt Direttissima weiter?
Für unsere neue Direttissima feilen wir schon an den ersten konkreten Initiativen, aber auch hier ist uns der eben genannte „bottom up approach“ sehr wichtig. Daher läuft gerade eine italienweite Umfrage unter allen Bauern und Bäuerinnen, die entweder schon direkt vermarkten, oder darüber nachdenken. Da versuchen wir genau herauszufinden, was diese neue Generation an Landwirt*innen jetzt braucht, und wie wir ihnen als Messe und als Direttissima helfen können. Gerade weil wir wissen, dass die Direktvermarktung für die Gestaltung einer nachhaltigen und zukunftsorientierten Wertschöpfungskette unverzichtbar ist.
Mehr Infos zu Direttissima finden Sie hier!
Und wer kümmert sich bei all
Und wer kümmert sich bei all dem Tierwohl, dem Bauernmarktl, dem Biofleisch und all den regional-biologisch idyllischen Bergwiesen die unser Land so einzigartig machen um das Befinden derer die diese tollen Dinge für uns herstellen? Menschenwohl sollte mindestens gleich wichtig wie Tierwohl sein. Die Lebensbedingungen für Landwirte sind aber leider häufig unterirdischer als die ihrer Nutztiere, der Stundenlohn geringer als in jeder anderen Branche, die soziale Absicherung miserabel. Ferienwohnung, Zuerwerb und Direktvermarktung bringen vielleicht kurzfristig Geld in die Kassen, aber der Tag hat auch für Bergbauern nur 24 Stunden. Auch von der im Interview gelobten Verbindung zwischen Landwirtschaft und Tourismus profitiert eine Seite mehr als die andere.
Jeder der jetzt noch mehr Direktvermarktung und noch mehr kleinteilige Landwirtschaft fordert, soll bitte vorrechnen, wann, mit welchen Arbeitskräften und zu welcher Entlohnung unsere Lebensmittel produziert werden sollen.
In risposta a Und wer kümmert sich bei all di Nadine Laqua
Mit dem Projekt Direttissima
Mit dem Projekt Direttissima bieten wir als Messe Bozen einen Service für Direktvermarkter an und reagieren somit auf das Wachstum dieses Sektors nicht nur in Italien. Die Direktvermarktung ist eine Möglichkeit, die viele für sich entdeckt haben, um als kleiner Betrieb auf dem zugegebenen schwierigen Markt zu bestehen und darin möchten wir die Landwirt*innen gerne unterstützen und begleiten. Der Tourismus wurde lediglich als Grund dafür genannt, dass die kleinen Höfe bisher - anders als in unseren Nachbarländern - weiterbestehen konnten. Dass das keine Dauerlösung ist, hat uns die Pandemie gezeigt.