Cultura | Sensationsfund

Die erste Rechtsanwältin

Die Geschichte zu Südtirols erster Rechtsanwältin Amalia Fleischer war hierzulande so gut wie unbekannt. Vor einem Jahrhundert hat sie Frauengeschichte geschrieben.
Schild
Foto: SALTO/Comune Faenza
  • „Ich habe mir einfach die Frage gestellt: Wer ist überhaupt die erste Rechtsanwältin in unserer Anwaltskammer? Klar, es gab da schon Lidia Poët (1855–1949), die allererste Rechtsanwältin in Italien. Aber ich fragte mich, wer die erste Rechtsanwältin in Südtirol war. Und so ergab es sich, dass sich heuer genau der hundertste Jahrestag ihrer Eintragung in das Verzeichnis der Praktikantinnen jährt“, antwortet Rechtsanwältin Silvia Basile auf die simple Frage, wann ihr der Name Amalia Fleischer (1885–1944) zum ersten Mal untergekommen ist. Basile begann zu recherchieren, was zur Avvocata Fleischer zu finden war. Eine erste Online-Suche brachte einen interessanten aber auch einen am Ende tragisch endenden Lebenslauf zum Vorschein. Fleischer starb 1944 im KZ Auschwitz.
     

    Am heutigen Freitag kommt es zur symbolischen Wiedereintragung von Amalia Fleischer in das Berufsverzeichnis der Anwaltskammer, die ihr jenen Platz zurückgeben soll, den ihr die Geschichte – und die Rassengesetze – brutal verwehrt haben. 

  • Amalia Fleischer: Die erste Südtiroler Rechtsanwältin lebte und wirkte in Meran und Bozen. Und an vielen anderen Orten. Ihre Spuren verlieren sich ab dem 6. Februar 1944 in Auschwitz. Foto: Privatarchiv

    Geboren wurde Amalia Fleischer am 7. August 1885 in Wien. Sie war die Tochter des Juristen Berthold Fleischer, Konsul der Niederlande und Direktor der Bank von Saloniki, den es mit seiner Frau Anna Michelup – sie stammte aus Fiume – und Amalia ab den 1890er-Jahren berufsbedingt nach Meran zog. Dort engagierte er sich in seiner Freizeit immer wieder für wohltätige Zwecke in der jüdischen Gemeinde der Stadt. Amalia studierte zunächst Philosophie an der Universität Innsbruck, später Rechtswissenschaften – ein Studium, zu dem Frauen aber erst nach dem Ersten Weltkrieg, im Jahr 1919, zugelassen wurden. 1921 immatrikulierte sie sich an der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Innsbruck und wechselte später an die Sapienza in Rom. 

    Bereits 1917 war sie in Meran zum Christentum übergetreten; während ihres Aufenthalts in Rom arbeitete sie im Vatikan als Archivarin. Sie nahm die italienische Staatsbürgerschaft an und schloss ihr Studium 1923 mit einer Doktorarbeit über Kirchenrecht ab. Von 1925 stammt ihr Antrag an die Rechtsanwaltskammer in Bozen, als Konzipientin in einer Bozner Anwaltskanzlei zugelassen zu werden. Eine Frau? Das Procedere war nicht einfach und dauerte. Erst nachdem die Kammer in Rom mitgeteilt hatte, dass dort bereits 1919 mit Teresa Labiola (1874–1941) eine Rechtsanwältin zugelassen worden war und die Gesetze keine Beschränkungen gegenüber weiblichen Kandidatinnen vorsahen, wurde dem Antrag zugestimmt. 1925 arbeitete Amalia Fleischer in einer Kanzlei in Meran, 1926 ging sie wieder nach Rom, arbeitete dort ebenfalls in einer Kanzlei, kehrte aber nur ein Jahr später wieder zurück nach Südtirol.
     

    Mit kürzlich erlassener Verordnung wurde Dr. Amalia Fleischer, die in das Album der Rechtsanwälte unserer Provinz eingetragen war, in das Album der Advokaten eingeschrieben.
    [Alpenzeitung 11. 10. 1935]


    1929 trat sie dem faschistischen Berufsverband für Prokuratoren und Rechtsanwälte bei – was ab Ende der 1920er-Jahre zunehmend verpflichtend war. Nach weiteren sechs Jahren und verschiedenen Kanzleien zwischen Meran und Bozen beantragte sie 1935 erfolgreich die Eintragung in die Rechtsanwaltskammerliste von Bozen. Die deutschsprachige faschistische Blatt Alpenzeitung berichtete vor 90 Jahren, am 11. Oktober 1935, unter Advokatenalbum: „Mit kürzlich erlassener Verordnung wurde Dr. Amalia Fleischer, die in das Album der Rechtsanwälte unserer Provinz eingetragen war, in das Album der Advokaten eingeschrieben.“ Südtirol hatte seine erste Rechtsanwältin! 
    Ihr Vater erlebte die "Krönung" seiner Tochter nicht mehr. Im Jahr 1932 war er nach kurzer Krankheit im 79. Lebensjahr und nach gut vier Jahrzehnten Ansässigkeit in Meran verstorben.

  • Ein Stück Frauengeschichte: Historikerin Alessandra Spada hat das persönliche und berufliche Leben von Amalia Fleischer rekonstruiert. „Mit war der Name Amalia Fleischer vollkommen unbekannt. Ihre Geschichte ist beeindruckend“, sagt sie. Foto: SALTO\Andy Odierno

    „Sie war nie absolut gegen den Faschismus“, sagt Historikerin und Präsidentin des Frauenarchivs Bozen, Alessandra Spada. „Sie hat alles gemacht, was der Faschismus an Regeln vorgab, war zunächst nicht in der Partei, aber bereits 1928 im faschistischen Syndikat der Prokuratorinnen und Prokuratoren. Der Faschismus versuchte, alles zu kontrollieren.“ Dennoch sei Amalia Fleischer „eine Figur des Bruchs und der Grenzüberschreitung“. Ihre Stimme und Würde am heutigen 10. Oktober zurück ins Jetzt zu bringen, sei „ein symbolischer, aber zutiefst politischer Akt.“ Über weitere Stationen gelangte sie 1938 nach Faenza, wo sie sich nach dem Inkrafttreten der italienischen Rassengesetze im Herbst 1938 ordnungsgemäß als in Faenza lebende jüdische Bürgerin meldete und 1939 die Streichung ihres Eintrags in der Rechtsanwaltskammerliste beantragte. Sie fand Arbeit in der Klosterschule des Klosters Santa Chiara und unterrichtete dort Deutsch, Französisch und Englisch – trotz verschärfter Bestimmungen für Unterrichtende jüdischer Abstammung. 

    Am 30. November 1943 ordnete der faschistische Innenminister Guido Buffarini-Guidi die Verhaftung aller Juden an. Amalia Fleischer wurde verhaftet und zunächst in das Gefängnis von Ravenna, später nach Mailand gebracht – in das berüchtigte Gefängnis San Vittore. Am 30. Januar 1944 wurde sie vom Mailänder Bahnhof zusammen mit 704 weiteren jüdischen Gefangenen in das KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Im gleichen Zug saß die vor einem Monat 95 Jahre alt gewordene Liliana Segre, die den Holocaust überlebte, Unternehmerin und italienische Senatorin auf Lebenszeit wurde. Von Amalia Fleischer verlieren sich hingegen ab der Ankunft des Zuges am 6. Februar 1944 die Spuren.
     

    Gerade im Hinblick auf das Unrecht, das ihr widerfahren ist – ein doppeltes Unrecht: Löschung aus der Anwaltskammer aufgrund der Rassengesetze und zudem das völlige Vergessen ihrer Person, obwohl sie die erste Anwältin war – haben wir dem Anwaltsrat vorgeschlagen, sie symbolisch wieder in die Kammer aufzunehmen.

  • Form der Wiedergutmachung: „Es war zwar zunächst meine persönliche Neugier zu erfahren, wer die erste Rechtsanwältin in Bozen war, aber als ich begann, mehr über ihre Geschichte zu entdecken, fand ich es zutiefst ungerecht, dass sie hier völlig unbekannt war. Ihr Berufsleben war in mancher Hinsicht dem vieler heutiger Kolleginnen ähnlich, und das regt uns zum Nachdenken über mögliche Lösungen an“, meint Rechtsanwältin Silvia Basile. Foto: Andrea Carlet

    „Wir haben uns schon darüber informiert, wie man ihr einen Stolperstein widmen könnte“, deutet Silvia Basile an. Einen solchen gibt es bereits in der Stadt Faenza, wo Fleischers Geschichte bereits Anfang der 2000er Jahre einigermaßen aufgearbeitet wurde. Abgesehen von der Erinnerung an die jüdische Herkunft der ersten Südtiroler Rechtsanwältin, ihre Verfolgung und Deportation nach Auschwitz, ist es Basile und ihrem Frauennetzwerk wichtig, „auf die Schwierigkeiten als Frau im Anwaltsberuf aufmerksam zu machen“. Amalia Fleischer „wurde zum Teil nicht bezahlt, hatte keine eigenen Kunden“, beanstandet Basile. Nur wenige Jahre nach der finalen Aufnahme ins Album musste sie den Beruf aufgeben. Gemeinsam mit Alessandra Spada, einem Komitee für Chancengleichheit innerhalb einer engagierten Plattform von Frauen hat Silvia Basile die Wiedereintragung vorgeschlagen. 

    Der zweite Teil der Veranstaltung – am heitigen Freitag im Festsaal der Stadt Bozen, Gumergasse 7, ab 17.30 Uhr – widmet sich „heutigen Diskriminierungen im Anwaltsberuf.“ Die Rechtsanwältin und Aktivistin Cathy La Torre – sie ist Expertin für Antidiskriminierungsrecht – wird einen Vortrag halten: über die „aktive Rolle der Anwaltschaft im Kampf gegen Diskriminierungen und bei der Verwirklichung der Chancengleichheit“. Im Anschluss folgt ein Gespräch der Business-Coachin und Expertin für Kommunikation Micki Gruber mit Cathy La Torre über den Wert von Sichtbarkeit, Personal Branding und die Förderung weiblicher Karrieren sprechen.

    „Ich hatte jedoch nicht erwartet – und dafür bin ich außerordentlich dankbar –, dass sich eine so engagierte Historikerin wie Alessandra Spada mit Amalias Lebensgeschichte ausführlich beschäftigen würde.“ Ebenso wenig habe sie sich mit der Anwesenheit der bekannten Anwältin Avvocathy gerechnet, die sich gegen jede Form von Diskriminierung einsetze, freut sich Basile. All dies sei nur dank der guten Zusammenarbeit von Landesbeirat für Chancengleichheit, der Gleichstellungsrätin, des Frauenarchivs Bozen und des Frauenbüros der Stadt Bozen möglich gewesen. Die Veranstaltung sei der Beweis dafür, „dass wir – zum Glück – im Vergleich zur Zeit von Amalia Fleischer den großen Vorteil haben, ein Netzwerk bilden zu können, und dass solche Kooperationen immer hervorragende Ergebnisse hervorbringen“, meint Silvia Basile dankend.