Ein Tabu im Landtag
Von einem Erfolg zu sprechen dürfte nach der Debatte und der Abstimmung im Landtag schwer fallen. Doch bei einem derart delikaten Thema war das vorherzusehen. Am Freitag diskutierten die Landtagsabgeordneten über Abtreibung.
Auf die Tagesordnung gebracht hatte es Maria Hochgruber Kuenzer als Erstunterzeichnerin eines Beschlussantrags, mit dem die SVP-Abgeordnete die “Beratung vor und nach Schwangerschaftsabbruch verbessern und einrichten” wollte.
Am Ende blieb nur einer der beschließenden drei Punkte übrig – samt Abänderung. Und das Abstimmungsergebnis zeigt: Eine Mehrheit hat der Antrag im Landtag nicht überzeugen können. Auch weil so mancher den Eindruck hatte, dass das Pferd von hinten aufgezäumt werden sollte.
Nur wenige offene Türen
1978 wurde das Recht auf Abtreibung im Gesetz Nr. 194 festgeschrieben. Laut Art. 5 können die Frauen, die einen freiwilligen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, und sich an jene Stellen wenden, die eine Bescheinigung dafür ausstellen – öffentliche Gesundheitseinrichtungen, Familienberatungsstellen, private Frauenärzte –, von diesen Hilfestellungen in Anspruch nehmen.
So steht es auf dem Papier. Die Realität ist ernüchternd.
563 freiwillige Schwangerschaftsabbrüche gab es 2016 in Südtirol. Hinter der Zahl stehen ebensoviele Schicksale, Geschichten und Lebensgeschichten. Hinter dieser Zahl stehen auch strukturelle Missstände.
Laut ASTAT verweigern 84,4 Prozent der Südtiroler Ärzte Schwangerschaftsabbrüche aus Gewissensgründen. Eine Recherche von salto.bz vergangenes Frühjahr ergab: Es sind weit mehr als die offizielle Statistik hergibt. “Abtreibungen sind karrierehinderlich”, weiß einer der Gynäkologen, die in Südtirol Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die sind an wenigen Fingern abzuzählen.
Das Thema ist 40 Jahre nach Einführung des Rechts auf Abtreibung in Italien immer noch ein großes Tabu – in der Gesellschaft, aber offensichtlich auch unter Fachleuten. In Südtirol gibt es neben den paar Frauenärzten nur einzelne Beratungs- und Anlaufstellen, die bereit sind, eine Bewilligung für den Schwangerschaftsabbruch auszustellen und die sich der Schwangeren annehmen.
In den meisten Fällen sind es die ohnehin wenigen Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche machen, die auch die Beratungsgespräche durchführen. Das belegen ASTAT-Daten: In 92,7 Prozent der Fälle wird die ärztliche Bewilligung für den Schwangerschaftsabbruch vom gynäkologischen Dienst erteilt, der den Eingriff durchführt. In Südtirol sind das nur die Ambulatorien an den Krankenhäusern von Bozen und Meran. Nur in 5,7 Prozent der Fälle wenden sich Frauen an ihren Vertrauensarzt, an die Familienberatungsstellen gar nur 1,1 Prozent.
Um die strukturellen Schwierigkeiten und Hürden bei Abtreibungen weiß auch Cinzia Cappelletti von der Beratungsstelle Lilith in Meran. Lilith ist eine der Einrichtungen, die Bescheinigungen für einen Schwangerschaftsabbruch ausstellt. Ende vergangenen Jahres hat salto.bz mit der Psychologin und Psycho- und Sexualtherapeutin gesprochen: Je schwieriger es für Frauen ist, Zugang zu einer Abtreibung zu bekommen, desto schwieriger wird es für die Betroffenen, so Cappelletti. Zunächst müsse das Tabu und damit die Stigmatisierung fallen, steht für sie fest. Und dann gehe es darum, “dass Frauen, aber auch Paare wirklich leichter zu allen Diensten, auch Familienberatungsstellen oder auch zu Privaten gehen und darüber reden können”.
Von hinten aufgezäumt?
Vielmehr als um strukturelle und gesellschaftliche Fragen ging es im Landtag am Freitag aber um ideologische Überzeugungen – angefangen bei der Formulierung: Mit dem Beschlussantrag sollte ein umfassenderes Beratungsangebot für “ungewollt” bzw. “unfreiwillig” schwanger gewordenen Frauen geschafft werden, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen. Neben medizinischen sollten “alle relevanten rechtlichen, wirtschaftlichen und psychosozialen Beratungen” einbezogen werden.
Am Ende räumte Maria Hochgruber Kuenzer ein, dass man auf das Wort “unfreiwillig” verzichten könne.
Schließlich gilt das Recht auf Abtreibung für alle Schwangeren.
Abgesehen davon, befand Ulli Mair (Freiheitliche), dass Verhütung “Sache der Frau” sei. Und Andreas Pöder (Bürgerunion) bezeichnete es als “beschämend, wie im Landtag über die Tötung ungeborenen Lebens geredet wird”.
Brigitte Foppa entgegnete prompt: Beschämend sei vielmehr, “wie im Landtag über Frauen geredet wird, die in einer der schwierigsten Situationen ihres Lebens sind”. Diese Frauen dürfen nicht kriminalisiert werden, so Foppa. Ihr Parteikollege Riccardo Dello Sbarba verwies auf die gesunkene Zahl von Abtreibungen in Italien – auch dank Verhütung, die “beide – Männer und Frauen – betrifft”.
Die Skepsis der Grünen war groß. “Der Antrag birgt die Gefahr, die Situation für die Betroffenen komplizierter zu machen”, befürchtete Brigitte Foppa und warnte davor, dass psychologische Beratung “auch instrumentalisiert werden” könne.
Dabei hält das Landesethikkomitee klar fest: “Die Hilfestellung im Rahmen einer Abtreibung “darf nicht auf den Versuch hinauslaufen, sie zu beeinflussen und sie von ihrer schon gefassten Entscheidung abzubringen, noch viel weniger ist ein moralisches Urteil von Seiten des Arztes erlaubt.”
Dello Sbarba sprach indes auch die strukturellen Probleme an: “Gäbe es in Südtirol weniger Abtreibungsverweigerer, könnte das den Beratungen für die Frauen hilfreich sein.”
Der Antrag wolle “nicht über Schwangerschaftsabbrüche urteilen”, betonte Maria Hochgruber Kuenzer. Ihr gehe es darum, die “Personalunion” zu verhindern, die sich bei einer Abtreibung ergeben: “Ärzte, die die Frau beraten, sind es dann auch, die danach die Abtreibung vornehmen”. Das gelte es “zu vermeiden”.
Ihre Miteinbringer – auch Magdalena Amhof, Waltraud Deeg, Veronika Stirner und Oswald Schiefer haben den Antrag unterzeichnet –, sprangen Hochgruber Kuenzer zur Seite. Ziel sei, betroffenen Frauen Hilfe zu leisten, “welchen Weg auch immer sie einschlagen wollen”, antwortete Magdalena Amhof auf die Wortmeldungen aus der Opposition. Veronika Stirner hingegen verwahrte sich gegen die Aussage, Verhütung sei Aufgabe der Frau. Der Antrag solle die Situation der betroffenen Frauen “erleichtern” und ihnen “eine medizinische, rechtliche und psychologische Beratung bieten”.
So ganz schafften es die Einbringerinnen nicht, das Plenum zu überzeugen. Am Ende fand sich keine Mehrheit für den Antrag. Und das, obwohl zwei Punkte sowie die Worte “und einzurichten” aus Punkt 1 gestrichen wurden.
Mit 13 Ja, 1 Nein und 14 Enthaltungen gilt er dennoch als angenommen.