Cultura | Renzension

Am schwarzen See - Theater mit Tiefgang

Die Vereinigten Bühnen Bozen führen im April eine der wichtigsten Stimmen des deutschen Gegenwartsdramas auf: Dea Loher beschreibt in ihrem Stück "Am schwarzen See" die Figuren einer Mittelstandsgeneration, die voller Bewussheiten sind und die doch so leben, als wüssten sie von nichts.

Die Ausgangslage im "Schwarzen See" ist düster: zwei Paare treffen sich nach vier Jahren wieder. In einer Brauerei, die an jenem See liegt, an dem sich vor vier Jahren beider Paare Kinder das Leben nahmen. Sie fuhren auf den See hinaus, im Boot liegend, an den Handgelenken mit leichten Bändern aneinandergefesselt. Fritz und Nina, beide 15, verliebt ineinander, aber nicht verliebt in das Leben das sie umgab, das Leben, das ihre Eltern führen.

Also das Treffen. Verhalten und in zögerlichem Krebsgang, eins vor und zwei aufseiten, gehen die beiden Paare aufeinander zu. Marie-Therese Futterknecht ist Cleo, Dominik Warta ihr Mann Eddie, sie haben zum Abendesssen eingeladen. Auf einer spartanischen Bühne steht ein improvisierter langer Tisch auf grünen Bierkisten, darauf vier Gedecke. Cleo ordnet und zupft, ihr grellrot geschminkter Mund ist zu einem Dauerlächeln gefroren, ihr schwarzer Lederrock umspannt schöne Schenkel auf hochhackigen Schuhen. Ihr Mann sieht das nicht, er lümmelt auf dem Stuhl und hält Blickkontakt mit der nervösen Else. Gerti Drassl spielt die Besucherin, die sich endlich wieder in ihrer geliebten gewohnten Umgebung wiederfindet, ihr Mann, ihr Kind und sie haben einst an diesem Ort gelebt; sie ist lebhaft und beschwörend, und spricht viel, sehr viel um nicht zu schnell auf das eigentliche Thema kommen zu müssen. Ihr Mann, Johnny (Christoph Kail) tigert im Raum umher und bemüht sich um Geschäftsmäßigkeit. Schließlich ist er nach Jahren des Klinkenputzens in den verschiedenen Landesbankfilialen endlich in der hauptstädtischen Zentralagentur angekommen, dieses Ziel hat er erreicht.

Regisseur Dominque Schnitzer und Ausstatterin Christin Treunert haben die Studiobühne in einen weiten leeren Raum gekleidet, es gibt keine Bilder, keine Tapeten, keine Bücherregale an den Wänden und sogar das Geschirr muss in eine winzig-unscheinbare Küchenkredenz gestapelt werden. Hinten leuchtet im schwarzen Geviert der See, ein ständiges Mahnzeichen an die vergangenen Ereignisse. Die nur verschlüsselt angesprochen werden. In Nebensätzen über die Kinder, die doch verliebt, oder nicht?... In Erinnerungsbeschwörungen an einstige Zeiten, wo man sich kennengelernt und sofort sympathisch... Oder nicht, oder etwa nicht? Formelhaft wird einander versichert, dass man zumindest die gemeinsamen Zeiten vor dem schrecklichen Kindertod, eine gute war.

Dea Loher schreibt im "Schwarzen See" eine Sprache, die so voller kreisförmiger und eingeschränkter Denkvorgänge ist, dass man fassungslos zusieht und sich doch in manchen erkennt. Die beiden Paare treffen sich, weil ihre Kinder gemeinsam den Tod dem Leben vorzogen, für sie ist das Leben und die Welt nur mehr denkbar ab diesem einen traumatischen Zeitpunkt. Sie leben keinen Normalzustand mehr, aber auch nicht einen absolut schmerzhaften oder verzweifelten. Sie befinden sich, wie Dea Loher im Textheft sagt, im Limbo, dem ersten Kreis der Dante'schen Hölle, ein neutraler, manchmal sogar angenehmer Ort. Es ist vor allem ein Ort der unerfüllten Sehnsucht, getrennt vom Paradies aber auch von der Hölle.

Es ist behaglich-gruselig, auf diese Figuren zu blicken die sich so winden und verstecken, die im Schmerz bleiben wollen, weil er ihnen Sicherheit und Bestätigung für ihren Zustand gibt und es ist wundervoll, den Schauspielern bei dieser Arbeit zuzusehen. Gerti Drassl, festgezurrt in ihrer blass-kränklichen Biographie, aber auch die einzige die den Tod ihres Kindes, Nina anspricht, den Tod der beiden 15-Jährigen zumindest zum Thema machen will. Den Gefallen machen ihr die übrigen drei nicht, lediglich Cleo gerät in eine Aufruhr hinein als sie von der Art und Weise spricht, in der sie den Abschiedsbrief der beiden gefunden hat. Die beiden Männer wirken so, als ob sie nicht wüssten, wohin mit solchen Ausbrüchen, mit solchen Ansprüchen, das Leben doch einmal durchdringen und ganz greifen zu wollen. Ein hervorragendes Ensemble im Studiosaal des Stadttheaters Bozen.

Ein Stück jedoch, und das ließen die spärlich besetzten Zuschauerreihen verstehen, das zumindes in der Vermittlung ans Publikum recht sperrig zu sein scheint. Wer sich aber trotzdem hineinsetzte in den Studiosaal, wurde überrascht, sehr angenehm überrascht.

Weitere Vorstellungen des Stücks "Am Schwarzen See" am 10., 11., 12. und 13. April.