Società | Nachruf

Ciao Marcello!

Andreas Pfeifer war eng mit Marcello Alberti befreundet. Der Bozner ORF-Journalist erinnert sich in einem bewegenden, persönlichen Text an Marcello und Gabriella.
Alberto &  Gabriella
Foto: Privat
Wir alle haben in den letzen Tagen erforscht, was wir nicht wahrhaben wollen. Wir haben gelesen, gefragt, gezweifelt, wir haben Mutmaßungen angestellt und verworfen, wir haben nach Antworten gesucht und neue Fragen gefunden. Und immer noch verbirgt sich die unverhüllte Wahrheit dort oben in den Schweizer Bergen, im Sturm, im Schnee, im Nebel.
Was wir nicht wahrhaben wollen, ist eine schreckliche Gewissheit: Gabriella und Marcello sind tot. Und vielleicht werden wir damit leben müssen, dass die Geschichte ihres Todes niemals zu Ende erzählt wird.  So wie vielleicht jeder Tod und jedes Sterben letzlich  Rätsel bleiben - das mag tröstlich sein. Tröstlich ist aber auch, dass die schreckliche Gewissheit nicht die einzige ist und auch nicht die letzte. Wir alle können ihr etwas entgegenhalten: Unsere Erfahrungen, unsere Erinnerungen, unsere Kenntnis von ihr, von ihm.
 
Meine eigene Gewissheit ist: Ich habe mein Leben mit Marcello zugebracht.
Ho vissuto la mia vita con Marcello.
Capitemi bene, non come Gabriella, la compagna, che è stata accanto a lui, sempre,  intimamente, quotidianamente, con tutta l'intensità e con tutte le sfide e conseguenze che una vita condivisa comporta, da lunedì a domenica, dall' innamoramento al matrimonio, dall' inizio alla fine, addirittura fino a una morte condivisa. Non come Marina, la sorella, e il padre Gianni, che hanno vissuto e  lavorato con lui nello studio degli Alberti, sempre, tanto, da lunedì a sabato, anche la domenica. Ma forse, dopo 35 anni di vera e pura ed ininterrotta amicizia, posso affermare umilmente di far parte della sua famiglia, in parte almeno. In fondo era Marcello stesso, che un giorno molto lontano e felice  dopo la scuola mi fece sedere  alla grande e vivacissima tavolata della grande famiglia  Alberti. Era Marcello, già molto di piú che un ex-compagno di classe, che mi insegnava in perfetto dialetto altoatesino che cos' è l' italianità, la cortesia sociale, la socievolezza. Era Marcello, ormai  l' amico da una vita, che con grande ed affettuosa cautela mi conduceva  dietro le quinte del bravo commercialista che era, presentandomi i bilanci più o meno consolidati delle sue nostalgie, dei suoi sogni, delle sue insicurezze, delle sue paure.
Era Marcello, già molto di piú che un ex-compagno di classe, che mi insegnava in perfetto dialetto altoatesino che cos' è l' italianità, la cortesia sociale, la socievolezza.
Die Infrastruktur unserer Freundschaft war karg. In 35 Jahren habe ich mit Marcello keine großen Reisen unternommen, keine großen Abenteuer bestanden, kaum einmal eine Bergwanderung gewagt. Für unsere Begegnungen genügte Zeit, eine Straße durch die Stadt, ein Gesprächsthema, ein Kaffeehaus, aber nicht jedes Kaffeehaus, eine Pizzeria, aber nicht jede Pizzeria. Unser Austausch lebte von der Redundanz der großen und kleinen, der wechselnden und der  immer wiederkehrenden Fragen, vom Widerspruch, vom immer wieder nachgeprüften und bezweifelten Einverständnis. Mit Marcello habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass es unter Menschen auch Beziehungen ohne Krisen geben kann. Der eine Weg führt über die Indifferenz, die geschäftstüchtige Gleichgültigkeit, das gegenstandslose Gerede -  aber dazu hatte Marcello gar kein Talent. Der andere Weg führt über die unhinterfragte, die unverbrüchliche, die selbsterklärende Freundschaft. Das war unser Weg. Sehr oft sind wir ihn allein gegangen, oft  waren auch die Schulfreunde dabei, Toni, Georg, später dann auch der andere Andreas.
 
Es waren die ewig kreisenden Kolloquien über den Zustand der Welt, diskutiert wurde kontrovers, ohne große Sentimentalitäten, aber doch auch im Fahrwasser der alten gemeinsamen Zeiten, so als gälte es noch immer ein wenig, der Philosophie von Pater Willibald gerecht oder ungerecht zu werden  oder den vielfältigen Prüfungen durch Pater Bruno. Immerhin zählten die ganz alten Zeiten für Marcello zu seinen besten. Im franziskanischen Knabenghetto war er unwidersprochen der Schönste von uns, das werden viele Mädchen, die ihn damals umschwärmt haben und die auch heute hier sind, bezeugen können. Er war wohl auch der lebhafteste von uns, jedenfalls der mit der lautesten Stimme. In dieser Kirche hat er einmal lauthals  mit der Fränziband gesungen. Die leiseren Töne habe ich erst später gehört.
Im franziskanischen Knabenghetto war er unwidersprochen der Schönste von uns, das werden viele Mädchen, die ihn damals umschwärmt haben und die auch heute hier sind, bezeugen können.
La pratica della libera amicizia non ha bisogno di tanti vincoli. Marcello ha trascorso gran parte della sua vita a Bolzano, mentre io ero all' estero. Poche volte venne a trovarmi, a Roma, a Vienna.  Spesso abbiamo dimenticato i nostri compleanni, mai ci siamo scambiati i regali di natale. Il regalo vero era il reciproco invito all' esplorazione della geografia interiore. Certo, rispettando i limiti e dando spazio alle differenze.  Nell' ultimo messaggio che Marcello mi manda due settimane fa, dice:
 
 "Oggi ho cercato di capire i tuoi pensieri e sentimenti. Sono veramente molto diversi dai miei. Ma non importa, importante è che ti porto dentro di me. Buona giornata."
 
Quindi, spazio libero anche alle critiche amichevoli. Lui ha rimproverato le mie distrazioni e le mie insensibilità, io le sue piccole vanità e le sue ansie esagerate. Poche settimane fa, dopo una delle sue non poche visite mediche con esito totalmente rassicurante, Marcello mi scrive:
 
"Adesso che finalmente ho compreso che prima o poi morirò, più che dismettere le mie paure che ancora non riesco, ricordami ogni volta che sono di malumore di non indugiare in tale stato ma di cercare sempre un motivo per sorridere." 
 
Noi ancora non siamo in grado a sorridere. Ma penso comunque che Marcello sia d' accordo se non indugiamo troppo nello stato di tristezza.
 
Von allem, was wir Gabriella und ihm, dort oben in den Schweizer Bergen, gerne erspart hätten, den Nebel, den Sturm, die Verzweiflung, steht eines an erster Stelle: Die Kälte. Sie hat am allerwenigsten zu Marcello gepasst. Seine Schwester Nicoletta hat mir erzählt, dass Marcello - wie wir alle -  Geborgenheit und Wärme gesucht hat. Ich stimme ihr zu. An seiner Warmherzigkeit können wir uns ein Beispiel nehmen. Auch das ist eine Gewissheit, die wir der Kälte entgegenhalten können, der Ermüdung der Gedanken, dem Erfrieren der Erinnerung.
 
Ho vissuto la mia vita con Marcello. E non smetterò di farlo.
Ich habe mein Leben mit Marcello zugebracht. Und ich habe beschlossen, nicht damit aufzuhören.
 
Der Bozner Journalist Andreas Pfeifer leitet die Auslandsredaktion des ORF in Wien. Pfeifer, der Marcello Alberti als seinen „engsten und besten Freund“ bezeichnet, hielt diese Gedenkrede auf der Beerdigung am vergangenen Dienstag in der Bozner Franziskanerkirche.