Cultura | Salto Afternoon

Frauen können weder Fußball noch Theater

Sagt Frank Castorf. Prompt folgt die Antwort: Ein offener Brief, der Missstände in der Theaterwelt adressiert. Auch Maxi Obexer hat unterschrieben.
Stilleke und Castorf
Foto: Foto: Salto.bz

Es ist die Antwort Castorfs in einem Interview der Süddeutschen Zeitung, in dem Theaterkritikerin Christine Dössel, ihn darauf anspricht, dass die Volksbühne Berlin unter seiner langjährigen Intendanz kaum Regisseurinnen hatte. Castorf erwidert: „Wir haben eine Frauen-Fußballweltmeisterschaft und eine Männer-Fußballweltmeisterschaft, und in der Qualität des Spiels unterscheidet sich das schon sehr. […] Unterm Strich: Frauenfußball interessiert mich nicht.“

Doch um Fußball geht es hier nicht. Denn die Koryphäe des deutschen Gegenwartstheaters setzt noch einen drauf. Laut ihm könne es tatsächlich passieren, dass eine Frau gute Arbeit leiste und er habe auch nichts dagegen, wenn dem so ist, aber oft habe er das seit Pina Bausch noch nicht erlebt.

 

Dössel: „Das können Sie jetzt aber nicht laut sagen?!“

Castorf: „Das kann ich sehr laut sagen. Weil es so ist.“

 

Dass Frank Castorf ein Provokateur ist, der mit seinen Aussagen immer wieder gerne aneckt ist nichts Neues. Doch hier geht es um weit mehr als um die sexistische „Meinung“ eines 66-jährigen Zynikers. Denn was Castorf durch die wenig einfallsreiche Fußballmetapher andeutet ist ein biologisch bedingter „Qualitätsunterschied“ zwischen den Geschlechtern, der all jene struktur- und gesellschaftsbedingten Mechanismen ausschließt, die wirklich hinter dieser Ungleichstellung stehen.

Und die Theaterwelt reagierte, laut und deutlich. Ein Offener Brief initiiert von der Dramaturgin Felizitas Stilleke, wurde letzte Woche veröffentlicht. In ihm werden jene Strukturen angesprochen, in denen es überhaupt dazu kommen kann, dass Autorinnen, Regisseurinnen und Schauspielerinnen seltener auf großen Bühnen inszenieren, dass sie schlechter bezahlt werden als ihre männlichen Kollegen und dass Sexismus hinter den Kulissen und auf der Bühne keine Seltenheit ist. Mittlerweile wurde der offene Brief von über 700 ProtagonistInnen aus der Welt der darstellenden Künste unterschrieben. Auch Maxi Obexers Unterschrift ist dabei.

„Ich habe gelacht, weil es lächerlich ist.“, meint Obexer, „Es ist widerlich was Castorf sagt, es ist einfach eine unterirdische Aussage. Eine Kollegin hat zurecht ihren Unmut ausgedrückt und einen offenen Brief abgeschickt, ich unterschreibe schon allein aus Solidarität.“

 

Castorfs Aussage ist weder durch eine Generationsbedingtheit, noch durch die künstlerische Freiheit der Provokation abzutun, denn sie ist kein Einzelfall. Vor allem in der Kulturwelt wird die strukturbedingte Diskriminierung von Frauen allzu leicht ausgeblendet und unter dem Deckmantel der kreativen und qualitativen Arbeit des Individuums legitimiert.

Erst wenn der Aufschrei kommt, stellt sich für viele heraus, dass sich um mehr als ein individuelles „Schicksal“ handelt und ein Muster kristallisiert sich heraus.

Und doch tut Castorf der Welt mit seiner Aussage einen Gefallen und zeigt einmal mehr auf, wie sehr die Kulturwelt von alternden Patriarchen geprägt wird. „Ich provoziere die Welt, indem ich ihr den Spiegel vorhalte, und ich selber bin der Schlimmste der Schlimmen.“, sagt Castorf im selben Interview. Ein Spiegel, der für die meisten wohl nicht notwendig war und doch meint Obexer: „Gut, dass er die Äußerung gemacht hat, denn so hat er einmal mehr deutlich gemacht, was wir alle wussten.“.

 

Dass Solidarisierung im großen Rahmen oftmals erst post-Weinstein, post-Castorf, post-? sichtbar wird, liegt unter anderem am Fehlen des öffentlichen Diskurses. Doch wie #MeToo, hat auch der offene Brief das Potential das Bewusstsein über die Debatte zu stärken und den Diskurs über Förderung zu erneuern. „Man muss dafür sorgen, dass Frauen gleicherweise gefördert werden, ernst genommen werden, aufkommen können, hochkommen können, und vor allem wahrgenommen werden.“, so Obexer.

Es ist eine Aufforderung an alle Kulturschaffende, sich die Situation bewusst zu machen, in den eigenen Kreisen, im kleinen Rahmen und darüber hinweg. Wir haben die Wahl: Menschen wir Castorf Gehör zu schenken, oder solidarisch zu handeln und zu agieren, uns der lauteren Bewegung anzuschließen, die trotz aller Hindernisse in neue Richtungen denkt. Auf dass der neue Feminismus lauter ist, als strukturelle Ignoranz.