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„Der Herrgott hat’s gegeben“

Landeshauptmann Kompatscher hat heute Bilanz gezogen, positive wie auch negative Seiten des Erfolgsmodells Südtirol hervorgehoben und – den Zusammenhalt beschworen.
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Foto: Salto.bz
Nicht ohne Grund hat Landeshauptmann Arno Kompatscher seine „Bilanz-Pressekonferenz“ heute (10. August) im NOI Techpark abgehalten, stand sein Aus- und Rückblick doch ganz im Zeichen der Innovation. Sichtbares Zeichen dafür ist der Wissenschaftspark, in welchem Startup-Unternehmen ihre ersten Gehversuche unternehmen können. Innovation stehe jedoch nicht nur für die Entwicklung von Produkten, so Kompatscher, sondern Innovation sei in allen Gesellschaftsbereichen gefordert. Wirtschaftlich betrachtet, stehe Südtirol mehr als gut da. Laut Eurostat-Daten von 2021 reiht sich Südtirol mit einem BIP/Kopf von 49.100 Euro knapp hinter Stuttgart ein, wo das BIP/Kopf bei 49.500 Euro liegt. Das erste österreichische Bundesland in diesem Vergleich ist Salzburg mit 46.700 Euro. „Das ist in erster Linie auf die fleißigen Menschen zurückzuführen“, erklärte der Landeshauptmann, der – fällt das Thema auf das Bruttoinlandsprodukt – stets zu bedenken gibt, dass Geld, Vermögen und Einkommen kein Garant für Glück und Zufriedenheit sind. „Das bedeutet, dass wir nur Rahmenbedingungen schaffen können, die guten Ideen müssen die Menschen finden“, so Kompatscher.
 
 
Zufriedenheit und Glück lassen sich nicht mit dem Bruttoinlandsprodukt messen.
 
 
Von außen betrachtet ist Südtirol ein Erfolgsmodell, sei es was die Wirtschaftsleistung betrifft, das Zusammenleben oder die Kulturlandschaft. Die Gründe dafür liegen zum einen im Fleiß der Menschen wie auch in der Landschaft selbst, so Kompatscher, der erklärte: „Der Herrgott hat‘s gegeben und das bringt auch eine große Verantwortung mit sich.“ Ein weiterer Grund für den Erfolg sei die Autonomie bzw. die Möglichkeit zu gestalten. In erster Linie stellt sie einen Schutz für die Minderheiten dar, gleichzeitig ist es jedoch auch ein wirtschaftliches und soziales Entwicklungsinstrument. Während der vergangenen Jahre habe es jedoch auch hier „gehakt und geknirscht“. „Als ich vor zehn Jahren das Amt des Landeshauptmanns angetreten habe, habe ich zwei große Baustellen vorgefunden: die Finanzautonomie und die Einschränkung der Autonomie durch die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes“, erklärte der Landeshauptmann. Zwar sei der Zuständigkeitskatalog angewachsen, der Gesetzgebungsspielraum jedoch eingeschränkt worden. Als einen großen Erfolg bezeichnete Kompatscher deshalb den Sicherungspakt von 2014, mit dem es gelungen sei, die Einnahmen für den Landeshaushalt zu stabilisieren. Unter Ministerpräsident Mario Monti habe nämlich der Staat in die Südtiroler Kasse eingegriffen und dem Land Gelder in Milliardenhöhe vorenthalten. Durch intensive Verhandlungen habe man das Problem jedoch lösen können.
 
 
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Landeshauptmann Arno Kompatscher: „Südtirol konnte als eines der wenigen Länder die Landflucht erfolgreich verhindern.“ (Foto: LPA/Tiberio Sorvillo)
 
 
Südtirol könne auf eine Reihe von Erfolgen blicken, zu dieser positiven Seite gebe es jedoch immer eine Kehrseite, wie beispielsweise beim Verkehrsproblem. „Südtirol konnte als eines der wenigen Länder die Landflucht erfolgreich verhindern“, erklärte Kompatscher. Ziel jeder Landesregierung sei es gewesen, Infrastrukturen, Wohn- und Arbeitsmöglichkeiten in den Dörfern vorort zu schaffen. Die Kehrseite sei allerdings das erhöhte Mobilitätsbedürfnis. Zu den Herausforderungen zählten deshalb die großen Infrastrukturprojekte wie die Riggertalschleife oder der Virgl-Tunnel, deren Umsetzung mit den Olympiageldern beschleunigt wird.
Eine weitere Herausforderung betrifft das leistbare Wohnen. Die negative Seite des Anspruchs, Südtirol zum begehrtesten Lebensraum Europas zu machen, zeige sich darin, dass dieser Wohnraum für Einheimische kaum noch erschwinglich ist. Entgegen wirken will man diesem Problem unter anderem mit der Konventionierungspflicht, sprich dass ein bestimmter Teil der Wohnungen Ansässigen vorbehalten bleiben muss. Vor dem Hintergrund des Wohnproblems verteidigte Landeshauptmann Kompatscher auch die in den vergangenen Tagen stark in die Kritik geratene Super-GIS, die seiner Meinung nach einer einfachen Logik folge: Leerstand so zu verteuern, dass Vermieten finanziell attraktiv wird. Man habe in den vergangenen Jahren öfters bei Maßnahmen, die neu eingeführt wurden, nachjustieren müssen, „die Richtung jedoch stimmt“. Zu den Herausforderungen zählen aber auch faire Löhne sowie der demografische Wandel, der dazu führt, dass die alternde Gesellschaft mehr Gesundheits- und Pflegeangebote braucht und gleichzeitig der Arbeitskräftemangel – beispielsweise in der Pflege – steigt, weil zuwenig junge Menschen nachkommen und in das Berufsleben einsteigen. Es gelte, die Voraussetzungen zu schaffen, dass jene, die arbeiten wollen, dies auch tun können. Dazu zähle auch, Menschen, die ins Ausland abgewandert sind, wieder zurückzuholen.
 
 

Die Pandemie und ihre Nachwirkungen

 
Als eine – auch für ihn persönlich – sehr belastende Phase beschrieb Landeshauptmann Kompatscher die Zeit, in der die Corona-Pandemie Südtirol und die Welt fest im Griff hatte. Die Gesellschaften standen vor einer enormen Herausforderung und es war insbesondere ein enormer Stresstest für alle Gesundheitssysteme, „die nicht darauf vorbereitet waren“. Inzwischen habe man neue und vollkommen anders aufgebaute Pandemiepläne ausgearbeitet. Vorrangiges Ziel sei es während dieser Zeit gewesen, das Gesundheitssystem zu schützen. „Mit dem Wissen Stand heute hätten wir viele Dinge anders gemacht“, so Kompatscher, damals habe man jedoch nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Auch jetzt noch seien die Nachwirkungen zu spüren: Brüche sind in der Gesellschaft sichtbar geworden und auch die langen Wartezeiten in den Spitälern sind unter anderem noch auf die Pandemie zurückzuführen. Dem versuche man durch die Aufstockung von Ärzte- und Pflegepersonal entgegen zu wirken. Wie Landeshauptmann Kompatscher erklärte, beschäftige man mehr Ärzte und Pfleger im öffentlichen Gesundheitsdienst als je zuvor„trotzdem fehlt es an Personal“. Der Grund dafür liege darin, dass die medizinischen Leistungen bei einer vergleichsweise leicht wachsenden Bevölkerung um ein Vielfaches gestiegen seien. Somit sei es auch eine Frage, wie man Medizin in Südtirol gestalten möchte. Dazu gehöre nicht nur das aktive Anwerben von Personal, sondern auch die Schaffung eines attraktiven Arbeitsumfeldes, zu welchem eine gute Ausbildung, entsprechende Kollektivverträge und Wohnungen ebenso gehören wie die Möglichkeit einer Kinderbetreuung. Aber auch die wohnortnahe Versorgung und die Vernetzung mit den Sanitätsstrukturen zählt zu den großen Herausforderungen.
 
 
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Landeshauptmann Arno Kompatscher zieht Bilanz: „Wir sollten wieder zu mehr Respekt, zu einer respektvollen Sprache zurückkehren. Denn dies ist eine Frage der gegenseitigen Wertschätzung.“ (Foto: LPA/Tiberio Sorvillo)
 
 
Bezüglich des Themas Integration und Einwanderung erklärte Kompatscher, dass in Südtirol derzeit rund 50.000 Menschen ohne italienische Staatsbürgerschaft leben sowie weitere 20.000 Menschen mit Migrationshintergrund. „Die meisten von ihnen arbeiten, zahlen Steuern, leisten ihren wichtigen Beitrag für die Gesellschaft. Ohne sie müssten Krankenhäuser und Seniorenwohnheime geschlossen sowie viele andere Dienste aufgegeben werden“, so der Landeshauptmann, der allerdings auch auf die Probleme hinwies und auf „inakzeptable Situationen“, die man in unzähligen Gesprächen mit dem Regierungskommissariat thematisiert habe. Die Ordnungskräfte seien gefordert, mehr zu tun und bereits seit geraumer Zeit fordere man die Einrichtung eines Abschiebezentrums, „für jene, die sich nicht an die Regeln halten und sich ohne Bleiberecht in Südtirol aufhalten“.
Abschließend plädierte Landeshauptmann Kompatscher für mehr Respekt, Solidarität und Zusammenhalt. Diese Werte hätten Südtirol stark gemacht und diese gelte es nach der Pandemie wiederzufinden. „Wir sollten wieder zu mehr Respekt, zu einer respektvollen Sprache zurückkehren. Denn dies ist eine Frage der gegenseitigen Wertschätzung“, so Kompatscher.