Società | Nachruf

Die Uneitelkeit in Person

Vergangene Woche ist der Völser Schulmann und Historiker Rainer Seberich verstorben. Ein Nachruf des langjährigen RAI-Südtirol-Chefredakteurs Hansjörg Kucera.
Seberich, Rainer
Foto: Thomas Wiedenhofer
Bevor ich auf den Menschen und Freund Rainer Seberich eingehe, muss wohl einiges zu seinem Leben gesagt werden.
Der Schulmann, Historiker, Publizist und Familienmensch Rainer Seberich wurde 1931 in Mühlheim an der Ruhr geboren. Sein Vater entstammte einer altösterreichischen Familie und erblickte in der dalmatinischen Hafenstadt Dubrovnik (Ragusa) das Licht der Welt. Seine Mutter, Hedwig Kerschbaumer war Boznerin.
Seberich besuchte das Franziskanergymnasium in Bozen und studierte Geschichte in Innsbruck und in Florenz. Mit seiner Frau Eva Terberger aus Hannover teilte er 61 Jahre lang seine musische Leidenschaft. Der Ehe entsprangen drei Kinder.
Seberich arbeitete zuerst als Mittelschullehrer, dann wurde er führende Kraft im Schulamt (Aufbau des Schülertransportes und der Pflichtmittelschule), Interessensvertreter der Mittel- und Oberschullehrer und schließlich langjähriger Mittelschuldirektor.
Als Historiker veröffentlichte er zahlreiche Beiträge in der Kulturzeitschrift „Schlern“, Als freier Mitarbeiter betreute er jahrelang den Schulfunk im Sender Bozen und redigierte die redaktionellen Frühnachrichten. Sein letztes TV-Interview gab der 90jährige 2021 für eine RAI-Dokumentation zur Südtiroler Schulgeschichte.
 
Eines war von Anfang an klar: Rainer Seberich wollte immer schon Geschichte studieren und er wollte dann auch Geschichte lehren. Und so kam es auch.
Rainer Seberich wurde ein Schulmann durch und durch, obwohl – oder gerade weil – damals das Schulwesen nach der faschistischen Willkür und nach den noch anhaltenden Nachkriegswirren auf dem Boden lag.
Es war die Stunde null. Der von ihm hochgeschätzte Vizeschulamtsleiter Josef Ferrari und eine kleine Schar von gleichgesinnten Jungakademikern – unter ihnen Rainer Seberich - begannen mit der mühevollen Aufbauarbeit - in der festen Überzeugung, dass ein guter muttersprachlicher Unterricht das Um und Auf eines erfolgreichen Schutzes der Sprachminderheiten war und ist.
 
 
Rainer Seberich hat diese schwierige, letztlich aber erfolgreiche Entwicklung in einem eindrucksvollen Buch nachgezeichnet. Es würde der heutigen Generation ganz gewiss nicht schaden, dieses Buch in die Hand zu nehmen.
 
Rainer Seberich hat diese schwierige, letztlich aber erfolgreiche Entwicklung in einem eindrucksvollen Buch nachgezeichnet. Es kommt mir vor, als sei es ein Vermächtnis von ihm für die Südtiroler Schule. „Südtiroler Schulgeschichte. Muttersprachlicher Unterricht unter fremdem Gesetz“, so der Titel dieses Standardwerkes der Südtiroler Geschichtsschreibung. Es würde der heutigen Generation ganz gewiss nicht schaden, dieses Buch in die Hand zu nehmen. Rainer Seberich war von seiner Ausbildung und seiner Berufslaufbahn her für die historische Aufarbeitung dieses Bereichs geradezu prädestiniert: er war zuerst Mittelschullehrer, dann Führungskraft im Schulamt, weiteres Interessensvertreter der Mittel- und Oberschullehrer und schließlich Mittelschuldirektor.
An welcher Stelle er auch immer tätig war, bemühte er sich um eine kollegiale Zusammenarbeit, nie von oben herab, meistens auch aufgeschlossen für Neuerungen. Allerdings: Wenn er von Neuerungen wenig oder gar nichts hielt, blieb er standhaft bei seiner ablehnenden Haltung, so etwa bei den Neuerungen in der deutschen Sprache. Die überzeugten ihn so wenig, dass er die Druckerlaubnis für sein Standardwerk vom Gebrauch der althergebrachten Schreibweise abhängig machte.
 
Obrigkeitsmentalität war Rainer Seberich zutiefst zuwider, Überheblichkeit verabscheute er.
 
Obrigkeitsmentalität war Rainer Seberich zutiefst zuwider, Überheblichkeit verabscheute er. Er war bescheiden, aber durchaus selbstbewusst. Er war gerne aufmüpfig und schwamm gar nicht so selten gegen den Strom. Das brachte ihm bereits im Franziskanergymnasium Schwierigkeiten ein, und als Redaktionsleiter der Hochschülerschaftszeitung „Der fahrende Skolast“ kam er wegen eines kritischen Artikels in Konflikt mit dem Südtiroler Kulturinstitut. Und auch während seines Berufslebens focht er manchen harten Strauß mit der einen und anderen Behörde und Institution aus. Er war immer dazu bereit, Konflikte offen auszutragen, ohne aber jemals persönlich verletzend zu werden.
Rainer Seberich war die Uneitelkeit in Person. Er gab wenig auf Äußeres, und von einer peniblen Ordnung, etwa auf seinem Schreibtisch, hielt er auch nicht viel. Und er war manchmal auf liebenswerte Weise zerstreut, genauso wie der sprichwörtliche Professor, und so konnte es schon hie und da vorkommen, dass er auf seinen geliebten Wanderungen das Ziel erst über Umwege erreichte. Das waren aber für ihn – und er hatte damit wohl recht – Nebensächlichkeiten, über die man schmunzeln oder gar lachen konnte, umso mehr, als Rainer selbst auch über einen guten Schuss Humor und Selbstironie verfügte. Aber wenn es um Wesentliches ging, um die Erklärung und Verteidigung von Grundwerten, da war dann kein Platz mehr für Spaß, Unordnung und Zerstreutheit.
 
 
 
Ein solcher Grundwert für ihn war die Liebe zur Heimat, zu Gesamttirol vom Trentino über Südtirol bis Nord- und Osttirol, zum historisch gewachsenen Tirol: ohne Scharfmacherei, ohne Aggression, ohne Grenzverschiebungen; ein zwar offenes Tirol, aber immer auch bedacht auf den Schutz seiner Minderheiten und eingebettet in ein einiges Europa. Für dieses Bekenntnis setzte er sich zeit seines Lebens engagiert, ja geradezu leidenschaftlich ein, nicht nur als Historiker, sondern auch vor dem Hintergrund des familiär geprägten Erbes altösterreichischer Herkunft, aus Slowenien, Kroatien, Triest – und eben auch Tirol. Zur Geschichte dieser Länder verfügte er über eine außergewöhnlich reiche Bibliothek. Die Bücher standen nicht nur in seinem Arbeitszimmer, sondern er las sie auch.
Er war manchmal auf liebenswerte Weise zerstreut, genauso wie der sprichwörtliche Professor. Aber wenn es um Wesentliches ging, um die Erklärung und Verteidigung von Grundwerten, da war dann kein Platz mehr für Spaß, Unordnung und Zerstreutheit.
 
Rainer Seberich war ein hochgebildeter Kulturmensch, dessen Interessen vor allem der Schule und Geschichte galten, aber auch allem anderen Schönen, was die Kultur uns zu schenken vermag: die Literatur und vor allem die Musik, die das Ehepaar Seberich lebenslang beglückte und die wohl auch dazu beitrug, dass beide mit staunenswerter Gelassenheit und sogar Fröhlichkeit all die zahlreichen Beschwerden des Alters meisterten. In den letzten Jahren spielte seine liebe Frau Eva am Klavier jeden Tag Volkslieder, zu denen Rainer den Text sang, bezeichnenderweise besonders häufig eines seiner Lieblingslieder ‘Die Gedanken sind frei“. Rainer Seberich ließ sich nie sein selbstständiges, fundiertes, freies Handeln und Denken nehmen.
So ist nun ein reiches, von Redlichkeit gekennzeichnetes Leben zu Ende.
Rainer Seberich war ein menschenfreundlicher Mensch. Er möge ruhen in Frieden.