Traktorschau oder Kampf mit Heugabeln?
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SALTO: Wie arbeitet es sich als Historiker, an einem Buch zu den Bauernkriegen 1525/1526 arbeitend, wenn dann 500 Jahre später Bauernunruhen wieder an der Tagesordnung stehen?
Ralf Höller: ‚Bauernunruhen‘ würde ich die aktuellen Proteste nicht nennen. Es geht doch recht gesittet zu, zumindest im Vergleich zu 1525. Natürlich ist man als Historiker auf solche runden Jubiläen angewiesen, um sein Thema für ein breiteres Publikum interessant zu machen. Und auch das Inbeziehungsetzen des Vergangenen zu den aktuellen Demonstrationen schafft Aufmerksamkeit.
Es gibt durchaus Parallelen. Ein Beispiel ist die Kategorisierung ‚oben‘ gegen ‚unten‘. Es waren nicht nur arme Bauern, die sich vor 500 Jahren erhoben hatten. Bei nicht wenigen ging es darum, dass ihnen längst zugestandene Rechte aberkannt werden sollten. Heute ist das ähnlich: Bei den Bauern gibt es zahlreiche Besitzstandwahrer, die sich nicht mit einer Verschlechterung ihrer Lebensverhältnisse abfinden wollen.Bleiben wir kurz in der Gegenwart. Nun schwappt der Bauernprotest von Deutschland auch nach Südtirol. Sofort melden sich AFD-nahe Gruppierungen und rechtskonservative Populist*innen geben sich solidarisch. Woher kommt diese braun-bäuerliche Sauce?
Populisten haben es immer dann einfach, wenn das Gerechtigkeitsgefühl einer größeren gesellschaftlichen Gruppe verletzt wird und deren Angehörige sich benachteiligt fühlen. Nicht immer ganz zu Unrecht: In Deutschland besitzt das obere Zehntel der Bevölkerung 60 Prozent des gesamten Vermögens, die übrigen neun Zehntel teilen sich den Rest, aber auch nicht wirklich, denn die unteren zwei Zehntel besitzen gar nichts. In Italien wird es ähnlich sein. Das polarisiert und treibt Benachteiligte in die Arme der Populisten.
Auch der psychologische Faktor ist nicht zu unterschätzen: Ressentiments gegenüber denjenigen, die man für die eigene Misere verantwortlich macht. Das geht aber durch sämtliche sozialen Schichten; in allen gibt es Leute, die sich benachteiligt sehen.
Gaismair war kein geborener Revolutionär, er handelte aus Überzeugung.
Die italienische Hauptstadt Rom wurde knapp 100 Jahre nach Mussolinis Marsch ebenfalls von protestierenden Bauern und Traktoren angefahren. Sehen Sie Zusammenhänge zwischen Faschismus und Bauerntum?Viele Bauern sind nun mal konservativ und teilweise für rechtes Gedankengut offen. Es gab aber auch Revolutionen, die von linken Bauerngruppierungen mitgetragen wurden: in Mexiko, in Spanien, in Bayern am Ende des 1. Weltkriegs.
Mir ist aufgefallen, dass nicht wenige Bauern die Grünen hassen. Mag sein, dass sie ihnen von Grund auf misstrauen, weil viele Grüne aus gutbürgerlichem Milieu stammen und noch nie auf einem Hof oder Feld gearbeitet haben. Und dann sorgen diese landlebensfremden Grünen, so jedenfalls die Wahrnehmung, mit Umwelt-, Tierschutz- und Anbauauflagen dafür, dass sich der Lebensstandard der Bauern verschlechtert. Das soll eine Erklärung sein, keine Wertung.Traktorschau oder Kampf mit Heugabeln? Wie lassen sich die aktuellen Proteste bereits historisch einordnen?
Die heute protestierenden Bauern wollen in erster Linie eine Abstellung ihrer Beschwerden und keine Veränderung der gesellschaftlichen Ordnung, wie das etwa Michael Gaismair gewollt hat.
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Was konnten Sie zu Gaismair neu herausarbeiten? Was an Überliefertem erscheint aus heutiger Sicht überholt?
Es gibt keine neuen Quellen. Aber es gibt durchaus vorhandene Quellen, die bislang nicht ausreichend beachtet wurden. Der Bozner Historiker Phillip Tolloi etwa hat unlängst einen Aufsatz veröffentlicht, Rediscovering Gaismair. Darin belegt er, wie konsequent Gaismair seinen Weg verfolgt hat, nachdem er sich in Brixen den Aufständischen angeschlossen hatte.
Letztendlich ist Gaismair an zwei Faktoren gescheitert: Zunächst an der klugen Verhandlungstaktik Erzherzog Ferdinands auf dem Innsbrucker Landtag, mittels derer es gelang, die Opposition aus Bauern und Städtern zu spalten. Daraus resultierte zwar kein Gegensatz Stadt vs. Land, sondern ein Gegensatz Besitzstandswahrer vs. Habenichtse. Anschließend bröckelte die Front der Aufständischen. Doch gerade die weniger wohlhabenden Bauern und Städter im Fürstbistum Brixen, wo Gaismair eine Zeitlang herrschte, hielten Gaismair die Treue. Dort gelang es Ferdinand nicht, die Front der Aufrührer zu spalten. Gaismair versuchte auch nicht, seine Haut zu retten. Manche Historiker behaupten dies, Tolloi widerlegt sie.
Gaismair war kein geborener Revolutionär, er handelte aus Überzeugung. Die hatte er auch dadurch gewonnen, dass er in seiner ‚Karriere‘ alle Schichten oder Klassen durchlief: von Herkunft Bauer, später Grubenschreiber in Schwaz, dann im Dienst eines Adligen – Leonhard von Völs –, schließlich in der Schreibstube des Brixner Fürstbischofs Sebastian Sprenz. Dort befasste er sich beruflich mit dem Fall des Peter Passler und wechselte die Seiten.Das Etikett ‚Frühsozialist‘ passt ganz gut auf ihn.
Neu wird von Ihnen auch die Rolle des Peter Passler geschildert. Was können Sie verraten?Auch zu Passler gibt es keine neuen Quellen. Ich würde ihn nicht idealisieren. Er war ein Rebell, aber kein Revolutionär; zu letzterem fehlte es ihm an Format. Am Ende hatten sich Gaismair und Passler ein gutes Stück weit entzweit.
Übrigens tut sich auch im Fall Passlers hier eine Parallele zur Aktualität auf. Sein Rechtsstreit mit Bischof Sprenz und den Ratsherren n Brixen und Bruneck ging über mindestens drei Jahre. Drei Jahre, in denen Passler, gewiss kein Unschuldslamm, von einer obrigkeitsgelenkten Öffentlichkeit qua Meinungsmonopol marginalisiert und zum Outlaw wurde. Doch es gab auch eine Gegenöffentlichkeit, damals schon. Passler hatte sehr viele Sympathien im einfachen Volk. Interessant wäre es, herauszufinden, wie dieser gegenläufige Meinungsbildungsprozess fernab jeder herkömmlichen Öffentlichkeit verlief. Heute gibt es soziale Medien. Die sozialen Medien von damals waren vermutlich Wirtshäuser sowie Familienfeiern, Wochenmärkten und die Zusammenkünfte vor und nach Gottesdiensten, wo aller möglicher Tratsch ausgetauscht wurde.Wann ist Ihnen die Figur Gaismair erstmals begegnet?
In Jürgen Bückings Biografie, ein recht schmaler Band, den der Autor leider nicht vollenden konnte, da er an einem Hirntumor starb, mit 35.
Warum glauben Sie war Gaismair in seinem Herkunftsland Südtirol lange verpönt?
Den meisten Südtirolern wird Hofer ihr Volksheld sein, auch weil er gegen die Franzosen kämpfte. Gaismair ging, nachdem die Aufstände in Tirol und später in Salzburg gescheitert waren, ins Ausland – zunächst in die Schweiz, dann nach Venedig – um dort Unterstützung für seinen Kampf gegen Habsburg zu suchen. Das wurde ihm häufig als Landesverrat ausgelegt. Gaismair hatte kein Zuhause mehr. Wäre er in Tirol geblieben, hätte man ihn schon viel früher umgebracht, als dies ohnehin der Fall war: im April 1532, sieben Jahre nach Ausbruch des Brixner Aufstands. Erzherzog Ferdinand, der spätere Kaiser, hatte Gaismairs Mörder gedungen.
Für viele ist oder war Gaismair zu links. Auch die Rechten und die Nazis haben immer wieder versucht ihn zu vereinnahmen. Wo steht Gaismair? Mit welchen anderen Revolutionären ist er vergleichbar?
Gaismairs Landesordnung ist für mich der progressivste Verfassungsentwurf der Neuzeit bis zur Französischen Revolution – vielleicht von der Englischen Revolution abgesehen, die freilich auf der Hälfte steckenblieb.
Gaismair stritt für eine soziale Republik, wollte den Adel und vor allem den Klerus entmachten und auch nicht mehr von einem Monarchen regiert werden. Das Etikett ‚Frühsozialist‘ passt ganz gut auf ihn. Laut marxistischer Interpretation gab es noch keine ausgebildete Arbeiterklasse, auf die er sich hätte stützen können. Ich vergleiche Gaismair ganz gerne mit Francois Noel Babeuf, dem französischen Revolutionär der ersten Stunde, dem die Revolution abhanden gekommen war.
...ich nehme das Fahrrad. Das fährt sich auf der Straße besser als ein Traktor.
Eine närrische Frage, nachdem Sie in Bonn wohnen, das in der Nähe zum karnevalesken Köln liegt: Was würde Gaismair zu den Bauernprotesten 2024 sagen? Welchen Traktor würde er fahren?Gaismair würde beim Kölner Rosenmontagszug mitfahren – der Düsseldorfer wäre ihm zu etepetete, der Mainzer zu beliebig, der Münsteraner zu lahm. Er würde mit einem selbstgebauten antiklerikalem Motto-Wagen mitmachen, gezogen von einem Traktor der Marke Zetor, aus sozialistischer Produktion, gefertigt vor der Wende im tschechoslowakischen Brno.
Und was sagen – und fahren – Sie?
Ich sage Alaaf, nicht Helau – das sagen sie in Düsseldorf und Mainz. Und ich nehme das Fahrrad. Das fährt sich auf der Straße besser als ein Traktor.
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