Cultura | Geschichte

Gaismair forever

Der Historiker Philipp Tolloi hegt und pflegt historische Dokumente. Unter anderem eine lange verschollene Gaismair-Abschrift. Ein Gespräch über Vergangenes und Zukünftiges.
Gaismair
Foto: Agostino Fuscaldo
  • SALTO: Knapp 500 Jahre nachdem Michael Gaismairs Landesordnung für Tirol 1526 geschrieben wurde, ist nun eine der wenigen Abschriften in Bozen wieder aufgetaucht. Was weiß man dazu?

    Philipp Tolloi: Bei der Bozner Abschrift handelt sich um eine von insgesamt drei Handschriften, die der Historiker Albert Hollaender 1932 noch eingesehen, mit der Wiener Abschrift kollationiert und in der Zeitschrift Schlern ediert hat. Dieser sogenannte "Bozner Textzeuge" ist jedoch 1941 durch die Kulturkommission der Amtlichen deutschen Ein- und Rückwandererstelle (AdERSt), einer Sonderdienststelle der Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe, auf illegale Weise von einem Bediensteten des Staatsarchivs Bozen gekauft und ins Reichsgauarchiv nach Innsbruck verbracht worden. Von dort wurde die Abschrift erst 2012 wieder nach Bozen zurückgebracht. 

  • Philipp Tolloi: Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Auseinandersetzung mit Gaismair und der Revolutionäre von 1525/26 zum Teil auch sehr emotional und ideologisch geführt. Foto: Agostino Fuscaldo

    Ist Michael Gaismair der Verfasser dieser Abschrift? 

    Der Verfasser der Abschrift wird er wohl nicht sein; sie dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit in der bischöflich-brixnerischen Kanzlei hergestellt worden sein. Selbst die Verfasserschaft der sogenannten Urschrift der „Gaismair’schen“ Landesordnung wurde in der Fachwelt kontrovers diskutiert, nachdem der Historiker Giorgio Politi die Autorschaft Gaismairs infrage gestellt hatte.

    Wo werden die weiteren Abschriften verwahrt? 

    Eine liegt im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien und eine weitere im Diözesanarchiv in Brixen.

  • Die öffentliche Wahrnehmung scheint also gegeben zu sein, bleibt aber abzuwarten, wieviel Neues auf dem Feld der Bauernkriegs- und Gaismairforschung dabei herauskommt.
     

    Aktuell und sicherlich auch in den kommenden Jahren wird sicher noch einiges zu den Bauernkriegen erforscht werden. Wie beobachten Sie die Gaismairforschung, wenige Jahre vor dem großen Jubiläum?

    Bereits 2021 hat der Vorstand des EVTZ  (Europaregion Tirol-Südtirol–Trentino) beschlossen, das Euregio Museumsjahres 2025, dem 500. Jubiläum der Bauernkriege zu widmen. Im September dieses Jahres hat eine international besetzte Tagung zur komparatistischen Bauernkriegsforschung in Tirol und Thüringen in Brixen stattgefunden. Der Historiker Robert Rebitsch aus Innsbruck bereitet eine populärwissenschaftliche Arbeit über den Tiroler Bauernkrieg, der Autor und Journalist Ralf Höller aus Bonn eine neue Gaismair-Biografie vor. Es folgt noch eine Tagung in Innsbruck und eine in Gaismairs Heimatort Sterzing, die zwischen 7. und 9. Mai 2025 stattfinden wird. Auf dieser vom Südtiroler Landesarchiv, der Michael-Gaismair-Gesellschaft und der Stadtgemeinde Sterzing organisierten Tagung wird es nicht nur um die Beschäftigung mit dem Tiroler Bauernkrieg und Michael Gaismair in seinem historischen Kontext gehen, sondern angesichts Gaismairs politischer und sozio-ökonomischer Forderungen auch um die Diskussion so allgemeingültiger Werte wie der Gerechtigkeit in der heutigen Zeit. Die öffentliche Wahrnehmung scheint also gegeben zu sein, bleibt aber abzuwarten, wieviel Neues auf dem Feld der Bauernkriegs- und Gaismairforschung dabei herauskommt.

  • Das Verhältnis zwischen Gaismair und seinem einstigen Gefährten Peter Pässler dürfte nicht ganz friktionsfrei gewesen sein. Foto: Agostino Fuscaldo

    Neben dem Dokument der Landesordnung finden sich auch vier bisher unbekannte Briefe im Archiv. Was weiß man zum Inhalt?

    Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass nur sehr wenige autographische Schriften Gaismairs erhalten geblieben sind. Nicht nur deshalb ist in die Gestalt Michael Gaismair viel hineininterpretiert worden, vor allem auch in seine Beweggründe, sich gegen, nennen wir es mal, das Establishment seiner Zeit - Kirche, Adel und später auch Landesfürst - zu stellen. Über den Zeitpunkt dieses Wendepunkts und weitere kleinere Details können die neu entdeckten Briefe einigen Aufschluss geben.

  • Ergibt dies Ihrer Meinung auch einen neuen Blickwinkel auf das Verhältnis zwischen Michael Gaismair und Peter Pässler?

    Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Auseinandersetzung mit Gaismair und der Revolutionäre von 1525/26 zum Teil auch sehr emotional und ideologisch geführt. Die einen, etwa kirchlich-konservative Kreise nahmen eher eine ablehnende Position ein, während liberale, linke aber auch nazistische Kreise in den 1930/40er Jahren Gaismair und seine Mitstreiter eben wegen ihres Kampfes gegen die herrschenden Eliten zu idealistischen Verfechtern einer egalitären Gesellschaft mystifizierten. In der Realität lebt der Mensch aber nicht von den Ideen allein, sondern es geht immer auch um handfeste materielle Bedürfnisse, sodass darob, wie einer der kürzlich wieder aufgetauchten Briefe vermuten lässt, das Verhältnis zwischen Gaismair und seinem einstigen Gefährten Peter Pässler nicht ganz friktionsfrei gewesen sein dürfte. Mehr dazu im Beitrag Rediscovering Gaismair. Neue Quellen zum Revolutionär von 1525/32, der Zeitschrift Geschichte und Region/Storia e regione.