"Besser Wählen": aber wie?
Nichts Geringeres als der Übergang von der Konkurrenzdemokratie zu einer Konkordanzdemokratie schwebt der INITIATIVE vor, „in der die gesamte Gesellschaft eine aktive Rolle spielt“ und in der sie die Kunst des Sich-aufeinander-Abstimmens lernt. Parteiunabhängiges Wählen soll ermöglicht, die Macht der Parteien und Interessengruppen zurückgedrängt werden, mit mehr Verpflichtung der gewählten Vertreter gegenüber den Wählern und „sachbezogenen, parteiunabhängigen Mehrheiten“ (gemeint sind wohl parteiübergreifende Mehrheiten, zumal man die Parteien kaum abschaffen können wird). Das würde bedeuten, so die INITIATIVE, dass Parteien mit 70-80% Stimmenrückhalt gemeinsam regieren, dass es keine fixe Mehrheiten und die immer gleiche Opposition gibt, dass im Landtag sich zu den verschiedenen Fragen unterschiedliche Mehrheiten bilden können, nach Schweizer Konkordanzprinzip also.
Mit einer fantasievoll aufgemachten Medienkonferenz vor dem Landtag mit Wahlkabinen, Kleinkunstwerken und Schweizer Wahlunterlagen präsentierte die INITIATIVE heute in diesem Sinn ihren Vorstoß „Besser Wählen“ für ein neues Wahlrecht zum Landtag. Wer einen Gesetzentwurf der INITIATIVE erwartet hatte, wurde vertröstet. Der Verein stellte erst einen „ersten Entwurf“ zur Diskussion. Dabei hatte sie schon im November 2012 erstmals ein Seminar mit dem Schweizer Experten Peter Müller zu einem neuen Wahlrecht abgehalten, dann immer wieder Vorschläge zum Wahlrecht angekündigt. Zur Reform des Landtagswahlrechts 2013 hatte sie keinen Gegenentwurf eingebracht. Ob die INITIATIVE ihren heutigen Entwurf in die 2017 anstehende Reform den Landtag bringen werde? Nein, meinte heute Stephan Lausch, das gehe sich nicht mehr aus, denn es müsse erst eine öffentliche Diskussion geführt werden. Wahlrecht als permanenter Entwurf sozusagen.
Partizipation ist also angesagt: nach dem Bürgerdialog zum Direkte-Demokratie-Gesetz und dem Autonomiekonvent nun auch zum Wahlgesetz für die Landtagswahlen. Dafür bietet die INITIATIVE elf offene Diskussionsforen in allen Landesteilen (Termine auf: www.dirdemdi.org) und eine Umfrage zu ihrem Wahlgesetzentwurf (vgl. Beilage der Zeitung MEHR DEMOKRATIE und online). Der Entwurf selbst liegt zwar noch nicht auf, doch eine Kurzdarstellung der Kernpunkte der geplanten Reform wird geboten. Darin listet die INITIATIVE eine breite Palette an Innovationen zum Wahlrecht auf: sie reicht vom Panaschieren und Kumulieren über strengere Anforderungen zur Bildung von Wahllisten zur Wahlkampfkostenbeschränkung, sie bringt Vorschläge zur besseren Information der Bürger vor Wahlen, zum Wahlmodus, zur Festlegung der Politikergehälter durch die Wählerschaft bis hin zur Abwahl des LH und der Landesregierung sowie der Direktwahl der Landesregierung, was das Autonomiestatut gar nicht zuließe. Sie wagt sich auch weit vor bei der Personalisierung der Wahlen: so sollen Kandidaten auch direkt durch das Volk nominiert werden können und auf eigenen Listen oder für bestehende Parteien antreten dürfen. Doch bleibt die Frage offen: was macht die INITIATIVE mit einer Umfrage zu einem Gesetzentwurf, die gar nicht repräsentativ sein kann?
Mit einer Zeitung an 10.000 Haushalte, einer Online-Befragung und 11 Veranstaltungen zum Thema „Wählen“ will die INITIATIVE die Menschen erreichen. Es scheint sie nicht zu stören, dass 10 dieser 11 Abende in die heiße Phase vor dem Verfassungsreferendum am 4. Dezember 2016 fallen, dass die Menschen also über besseres Wählen zum Landtag diskutieren sollen, just wenn die Regierung Renzi ganz Italien eine komplexe, gar nicht beteiligungsfreundliche Verfassungsreform zumutet, zu der erheblicher Informations- und Klärungsbedarf besteht. Die große Politik, die nebenbei auch Südtirol betrifft, scheint an der INITIATIVE vorbeizugehen. Kein Wunder, dass man auf ihrer Webseite weder eine Stellungnahme zum Verfassungsreferendum noch ein Wort zum Wahlrecht ITALICUM (das Gegenteil von fairem Wahlrecht) findet, das damit eng zusammenhängt. In ihrer mit Auflage 10.000 gedruckten Zeitung findet sich auch kein Wort zum anstehenden Verfassungsreferendum, noch hat die INITIATIVE die Unterschriftensammlung zur Erwirkung des jetzigen Verfassungsreferendums unterstützt, die dann italienweit gescheitert war. Der Zusammenhang zwischen Souveränität der Bürger, „Besser Wählen“ und der Reform der übergeordneten Regeln scheint der INITIATIVE verschlossen geblieben zu sein.