Politica | Brixen und Mals non docent

Verfahrensaspekte sind zentral für die Qualität der Bürgerentscheide

Die anstehenden Volksbefragungen zum Flughafen und zum Kaufhaus Bozen lösen die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger auf konkrete Mitbestimmung ein. Es gibt ein aber...
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Die Mitsprache der Bevölkerung ist der zentrale Inhalt jeder demokratischer Ordnung.  Zu Recht wird allerdings von Fachleuten in Sachen Partizipationsverfahren und von Bürgerinnen und Bürgern angemerkt, dass angemessene ordnungspolitischen Rahmensetzungen fehlen, um diesen Volksabstimmungen eine vollwertige demokratische Legitimation zu verleihen. Es reicht nicht, die Abstimmungsfrage zu formulieren und die Bürgerinnen und Bürger für den Tag X zur Abstimmung einzuladen. In den Diskussionen um die Überarbeitung des Landesgesetzes zum Volksbegehren und zur Volksabstimmung sind die verfahrenstechnischen  Erfordernisse zur Sicherung der Qualität und der demokratischen Nachhaltigkeit des Prozesses und des Ergebnisses ausführlich dargelegt worden. Dennoch hapert es wieder gerade daran.

Aufgrund der wenigen, aber aufschlussreichen Erfahrungen mit Volksabstimmungen sollte in Zukunft generell sichergestellt werden, dass deren Ablauf einem standardisierten Verfahren folgt, was die offiziellen Initiativen in Sachen Information und Meinungsbildung betrifft. Damit wird für die Bürgerinnen und Bürger nachvollziehbar dargestellt, dass die Volksbefragungen bzw. –abstimmungen innerhalb klar definierter Bahnen erfolgen, die den öffentlich-rechtlichen Charakter des Verfahrens widerspiegeln. Dazu sollten in den Gemeindesatzungen oder in den Durchführungsbestimmungen einige Grundregeln festgelegt werden, die dann von Fall zu Fall ausgestaltet werden. In diesem Rahmen ist sicherzustellen:

  • dass die Einleitung des Verfahrens gesetzeskonform bzw. entsprechend den einschlägigen Verwaltungsbestimmungen erfolgt,

  • dass die gegenständliche Problematik inhaltlich und formal korrekt erfasst wird,

  • dass die Fragestellung einfach und verständlich formuliert wird,

  • dass die gesellschaftlichen Akteure, die Ausdruck der unterschiedlichen Positionen zur gegenständlichen Problematik sind, ermittelt werden und diesen aufgrund ihres entsprechenden Antrags die Befugnis zuerkannt wird, diese Positionen im Rahmen der Abwicklung des Mitbestimmungsverfahrens zu vertreten,

  • dass von der für die Durchführung des Mitbestimmungsverfahrens beauftragten Behörde oder Einrichtung ein Konzept für den Ablauf desselben festgelegt und hierfür eine angemessene Finanzierung sichergestellt wird,

  • dass mit den verschiedenen Interessenvertretern und Initiativgruppen versucht wird, ein Einvernehmen dazu herzustellen, dass der transparent festgelegte Ablauf respektiert wird,

  • dass Informationsveranstaltungen eingeplant und organisiert werden, auf denen über die verschiedenen Aspekte und Argumente zur gegenständlichen Problematik ausgewogen informiert wird,

  • dass abgeklärt wird, welche Drucksorten bzw. Online-Materialien zur Information über die gegenständliche Problematik im Rahmen der offiziellen Informationskampagne produziert werden und für eine ausgewogene Gestaltung derselben gesorgt wird,

  • dass die notwendigen Finanzmittel für die verschiedenen Informationsmaterialien und –kanäle im Rahmen der offiziellen Informationskampagne bereitgestellt und ausgewogen auf die entsprechend konstituierten Interessengruppen aufgeteilt werden,

  • dass verdeutlicht wird, dass die Parteien und Verbände sowie anderen Interessengruppen und Initiativgruppen unabhängig von der offiziellen Informationskampagne und auf eigene Kosten ihre Position zum Thema der Volksbefragung bzw. Volksabstimmung in der Öffentlichkeit darlegen können,

  • dass der Zeitraum für die offizielle Informationskampagne eingegrenzt wird, um kostensparend vorzugehen,

  • dass die Abwicklung der Abstimmung in einer Weise erfolgt, die eine breite Beteiligung ermöglicht,

  • dass klar festgelegt wird, welche Rechtsverbindlichkeit das Abstimmungsergebnis für Landesregierung und Landtag (bzw. ggf. für den Gemeindeausschuss und Gemeinderat) hat.

Bedauerlicherweise ist es für eine Verfahrensregelung für die Volksbefragung zum urbanistischen Projekt rund um das Kaufhaus Bozen inzwischen zu spät, da die Anberaumung der Volksbefragung durch Sonderkommissär Michele Penta erst am 3. Februar erfolgt ist. Seitens der Bürgerschaft wäre hierfür die Einreichung einer Beschlussvorlage gem. Art. 58 des Gemeindestatuts möglich gewesen. Ob in diesem Falle der außerordentliche Kommissär Michele Penta anstatt des Gemeinderates hätte handeln müssen, bleibt nicht zuletzt angesichts der vorgesehenen Verfahrensfristen  von rein theoretischer Bedeutung. Aber für die nächste Volksbefragung könnte dazu ein Vorschlag eingebracht werden.

Für das Abstimmungsverfahren zum Flughafen Bozen hingegen, das erst im Juni stattfinden wird, wäre kurzfristig abzuklären, ob eine ad hoc erlassene Verordnung die Verfahrenslücke im Landesgesetz Nr. 11/2005 zumindest für diese eine Volksbefragung auffüllen kann. Andernfalls könnte ein gentlemen‘s agreement, also eine auf Freiwilligkeit beruhende Vereinbarung der maßgeblichen Akteure zumindest dafür sorgen, dass Klarheit zum Ablauf der offiziellen Informationsinitiativen geschaffen wird. Einen Aspekt des Mitbestimmungsverfahrens hat bereits der Landtag aufgegriffen, indem er beschlossen hat, eine Broschüre an alle Südtiroler Haushalte zu verschicken, mit der die Bürgerinnen und Bürger eine umfassende und ausgewogene Information in zum Thema erhalten.

Diese Initiative des Landtags ist imstande, auf einen zentralen Teilaspekt des Mitbestimmungsverfahrens zum Flughafen Bozen eine institutionelle Antwort zu geben. Die Abklärung des gesamten Ablaufs und der legitimierten Akteure des Mitbestimmungsverfahrens könnte Klarheit dazu verschaffen, an welche Informationsgrundsätze sich beispielsweise das sog. Informationsheft zu halten hat. So sollte z. B. die Darstellung der Position der einzelnen Landtagsparteien zum Abstimmungsthema in der Informationsbroschüre keinen Platz erhalten.

Für die Bevölkerung wäre es sehr hilfreich, wenn von vorne herein dazu Transparenz besteht, was an offiziellen Informationsinitiativen vorgesehen und finanziert wird und welche Akteure (Initiativkomitees) diesbezüglich die Protagonisten sind. Ebenso wäre es angebracht, vorab zu klären, welche in der Sache nicht exponierte Behörde oder unabhängige private Einrichtung den Auftrag erhält, für eine ausgewogene und transparente offizielle Information zum Abstimmungsthema zu sorgen. Mit der Festlegung der finanziellen Dotierung für die Informationskampagne wäre der Rahmen für die entsprechenden Initiativen klar abgesteckt. Alle diese Weichenstellungen sorgen dafür, dass dieser wichtige demokratische Prozess nicht gewissermaßen in der Luft hängt und allein den Initiativen der privaten Lobbymaschinerie ausgesetzt ist.  Dass Volksbefragungen generell massiv von gut organisierten Lobbys gleich welcher Art beeinflusst werden, ist ein Fakt, der als solcher ganz nüchtern betrachtet werden muss. Auch in der Schweiz führen unterlegene Promotoren von Volksabstimmungen ihren Misserfolg häufig darauf zurück, dass den Gewinnern weit mehr Mittel zur Verfügung standen, um die Meinungsbildung zu beeinflussen.

Drei Monate vor dem Abstimmungstermin ist es nur dank einer organisatorischen Kraftanstrengung und mithilfe einer großen Konsensoperation möglich, die entsprechenden Rahmensetzungen vorzunehmen. Dem Mitbestimmungsverfahren würde es gut tun, weil damit mehr Akzeptanz hergestellt wird. Diese ist ungemein wichtig, weil die Bürgerinnen und Bürger und die verschiedenen Interessensgruppen noch wenige Erfahrungen mit solchen direktdemokratischen Entscheidungen gesammelt haben. Einige Fragezeichen bei den Abstimmungen in den letzten Jahren haben einen schalen Nachgeschmack hinterlassen und dieses Mitbestimmungsinstrument in Zweifel gestellt. Wenn das Fazit aus diesen Erfahrungen war, dass die Güte eines Bürgerentscheids wesentlich von der Güte des Verfahrens abhängt, sollte dies möglichst beherzigt werden.

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Erwin Demichiel Lun, 03/14/2016 - 00:39

Das ist eine gute zusammenfassende Darlegung einer zentralen Problematik in diesen Partizipations- und Befragungsjahren 2015-16. Notwendigerweise (manchmal leider auch gewollt) herrscht in der Sache noch sehr viel Unerfahrenheit mit entsprechender Inkompetenz und Verwirrung auf allen Ebenen. Dies wiederum öffnet Tür und Tor für Missbrauch und gezielte Manipulation, wie sie am Beispiel Kaufhausprojekt Bozen überaus deutlich sichtbar ist. Es braucht somit auf Landesebene ein gutes Gesetz zur Direkten Demokratie und auf Gemeindeebene entsprechende Bestimmungen in der Gemeindesatzung inclusive den entsprechenden Durchführungsbestimmungen.

Nun, welche politischen Kräfte wollen bzw. sind in der Lage, solche Regelungen durchzusetzen? Ohne entsprechenden Druck aus der Zivilgesellschaft passiert sicher nichts. Vor den bevorstehenden Bozner Gemeindewahlen wären zumindest alle wahlwerbenden Parteien/Listen öffentlich darauf abzufragen, ob sie gewillt sind, in der nächsten Legislatur für die entsprechende Abänderung der Gemeindesatzung entschieden einzutreten.

Noch eine weitere Frage in diesem Zusammenhang stellt sich: was ist mit unserem öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Ist er sich im Rahmen seines Bildungsauftrages dessen bewusst, dass sich hier ein wichtiges und weites Feld an notwendiger und systematischer Informations- und Bildungsarbeit auftut? Hält die offizielle Unabhängigkeit den Produzenten verscheuchender Gebärden und Laute stand, die dieses Feld lieber leer und brach liegen lassen?

Lun, 03/14/2016 - 00:39 Collegamento permanente