Antiautoritäres Schreiben...
Die diesjährige Summer School Südtirol widmet sich dem Thema des Neuen Feminismus. Warum Neu? Neu vor allem deshalb, weil sich Feminismus und seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit in den letzten Jahren stark verändert haben. Neu aber auch, weil seine Errungenschaften der letzten Jahrzehnte erstmals wieder auf der Kippe stehen. So enthält beispielsweise das schwarz-blaue österreichische Regierungsprogramm 2017-2022 erstmals den besonders kuriosen Satz „Die Verschiedenheit von Mann und Frau zu kennen und anzuerkennen, ist ein Bestandteil menschlichen Lebens und damit unantastbar mit der Würde des Menschen verbunden.“ Ja, wir wissen, dass es in bestimmten Rechtsbereichen einer Andersbehandlung bedarf, z.B. in der Schwangerschaft; eine Andersbehandlung die jedoch im selben Programm als mit dem Beispiel der „bedürftigen Unterstützung medizinischer und sozialer Beratung vor geplanten Schwangerschaftsabbrüchen“ abgetan wird. Das Problem versteckt sich jedoch auch darin, dass diese vermeintlich unantastbare Verschiedenheit als wesensgemäßer Unterschied und fast schon als Menschenrecht verkauft wird. Anstatt sich für den Ausgleich einzusetzen und geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung zu verhindern, wird sie hier einmal mehr verstärkt.
Auch Schriftstellerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz knüpft and die aktuelle politische Situation in Europa an, um von dort ausgehend literarisch-feministische Fragen aufzugreifen. Streeruwitz, deren Werke stark von unterschiedlichen Geschlechterverhältnissen geprägt sind, eröffnete am Sonntag, 8. Juli die Summer School Südtirol mit einem Vortrag und der Frage, warum Literatur überhaupt noch gelesen oder geschrieben werden sollte.
Für Streeruwitz stellt das literarische Lesen einen Moment der Selbstreflektion dar. Ein Moment, der im „populistischen Lesen“ ausbleibt, da die Sprache des Populismus, aber auch der Unterhaltungsindustrie, auf Affektauslösung ohne Rückführung auf das lesende Subjekt aus sind.
Die Autorin schlägt vor lyrische Textanalysen auch auf populistische Sprüche und Texte anzuwenden, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Als Beispiel der Aufdeckung von Populismen und der Ausgrenzung durch Sprache untersucht sie bei ihrer Lesung im Schloss Feldthurns jedoch nicht einen Wahlspruch, sondern ein Gedicht der Schriftstellerin Christine Lavant. In Wo treibt mein Elend sich herum?, die Geschichte der Beziehung zu einer abhängigen Person, erkennt Streeruwitz die „Traditionen einer sadistische Erziehung“ wieder. Das Ich wird zum Objekt der Beschreibung, es kann weder selbst denken, noch handeln. Seine Reflexion wird durch ein geschulten „Fühldenken“ ersetzt. Ein Ausweg aus der Unterdrückung scheint unmöglich.
Christine Lavant
Wo treibt mein Elend sich herum?
Ich habe es sehr streng behandelt
und durch und durch fast umgewandelt,
beim Abschied war es fremd und stumm.
Sein Haar stieg steil und ganz ergraut
in jene Richtung, die ich wollte,
den Stein, der mir vom Herzen rollte,
hat es im Gehn noch weichgekaut.
Dies war wohl kein sehr gutes Brot,
jetzt könnt ich ihm ein beßres kneten!
Mein Wille hat ein Korn zertreten
inmitten dieser Hungersnot.
Doch wer ißt gern für sich allein?
Wenn nur mein Elend wieder käme
und mir den Zorn vom Munde nähme,
um auch so gründlich satt zu sein!
Ausgehend von einer literarischen Herangehensweise für eine Untersuchung der Sprache versucht Streeruwitz die Welt nicht als Ansammlung verschiedener Sprachen, die sich durch ihre Verschiedenheit kategorisieren, sondern als Zeichensystem wahrzunehmen; ein System in dem die Sprachen als vielfältig – nicht verschieden – und als Teil eines Ganzen gelesen werden. Erst diese Vielfältigkeit und Vieldeutigkeit macht komplexe Strukturen sichtbar. Immer wieder plädiert sie dafür beim Lesen und Schreiben auf die Sprache im Sinne Form und nicht des Inhaltes zu hören. Im Gespräch mit salto.bz erklärt sie, wie diese Form zum Feminismus steht:
Ist Feminismus eine Sprache und wenn ja, wie drückt sie sich aus?
Marlene Streeruwitz: Feminismus ist keine Sprache, sondern eine Färbung, eine Intention in der Sprache. Man benutzt Sprache in feministischer Weise.
Wird diese Färbung nicht genug gehört oder nicht genug gesprochen?
Beides. Ich glaube, dass wir erst am Anfang stehen. Das Problem ist, wie widerständiges Sprechen im öffentlichen Raum wahrgenommen wird, dass es sich nur sehr langsam entwickeln kann, weil wenige Antworten kommen. Es gibt wenig öffentlichen Diskurs, wodurch das alles unentwickelt bleibt. Jedenfalls in der Öffentlichkeit. Untereinander, im Rahmen von Feministinnen, ist es einfacher. Wo alles feministisch grundiert ist muss man nicht permanent über Sprache stolpern bevor man zum Inhalt gelangt.
Wie ist es möglich diesen Diskurs aus einer feministischen Bubble raus zu tragen?
Gerade weil der Diskurs so basal ist, ist es so schwierig. Selbst wenn jemand das Glück hat in einer feministischen oder emanzipatorischen Erziehung begriffen zu sein, sind die Voraussetzungen ein eigenes „Feministisch“ zu fassen immer noch schwierig. Denn es ist auf Erwahrungswerte angewiesen und kann eben nicht wie eine Religion unterrichtet werden. Vielleicht ist das ja auch ein Vorteil; wenn wir das Feministische wie die Sozialdemokratie, den Kommunismus oder in einer ähnlichen Form politisch gemacht hätten, wären wir jetzt sicher irgendwo anders, aber es wäre nichts so basal, so grundierend. Es ist eben eine ethische Entscheidung, und die färbt von Anfang an alles was man denkt und tun.
Welche Möglichkeiten ergeben sich spezifisch in der Literatur?
Ich halte die Literatur im Moment für das einzige Medium der Rettung vor dem Unterhaltungsindustrie-Komplex dem wir ausgesetzt sind und der uns formt und bildet. Es gibt die Möglichkeit des Auswegs mittels der literarischen Schreibtechnik: nicht der Inhalt ist das Potential der Literatur, sondern es anders zu sagen.
Jenseits der Literatur versucht Streeruwitz es seit kurzem auch via Youtube anders zu sagen. Die Serie Frag Marlene. Feministische Gebrauchsanleitungen erscheint jeden Donnerstag um 19 Uhr („zur Anti-Regierungs-Demonstrations-Versammlungs-Zeit“) auf Youtube.
Feministinnen entmündigen und
Feministinnen entmündigen und bevormunden andere Frauen und wollen in ihrem Namen sprechen.
Auch strebt der Feminismus an, den allgemeinen Sprachgebrauch an die eigene Ideologie anzupassen und zwar in einer Form, die man sonst nur von totalitären Systemen kennt. George Orwell lässt grüßen.