Gipfelmord im Pustertal
-
Ein Auszhug aus dem Roman „Sellemond oder von der Schwierigkeit, Touristen zu töten" von Josef Oberhollenzer. Das Buch ist im Folio Verlag erschienen.
-
Da stand er nun.Ex libris
Questo estratto dal libro di Josef Oberhollenzer fa parte del formato “Ex libris” su SALTO.
Dieser Auszug aus dem Buch von Josef Oberhollenzer ist Teil des Formats "Ex libris" auf SALTO.
„Ja, da stand ich nun“, habe Werner Sellemond gesagt, sagt F., „da stand ich nun und hab ins gebirge geschaut.“ Unter ihm die häuser, wie ungelenk hingeworfen, wie von zitternder hand entlang der talbäche ausgesät oder an die hänge gestreut, aber da und dort auch wie von einem magneten zu größeren haufen geballt, und über allem coelin oder bergblau das himmelsmeer, in das die gebirge, die noch weißgekrönten berge – „diese wallfahrts, nein, diese wallsteig orte der gegenwart“ – wie schaumkronen hinein ragen, kreisum. „Im juni, an meinem geburtstag“, habe Werner Sellemond gesagt .. und wie lang er nicht mehr da oben gewesen sei, „wie lang!“ – Ein geschenk, habe er gesagt, ein geburtstags geschenk „nel mezzo del cammin“ habe er sich machen wollen mit dieser aussicht, die ihm immer in erinnerung geblieben sei, die sein gedächtnis immer wieder nach oben gekramt habe, „sozusagen an die frische luft hin auf“, habe er gesagt und gelacht, seit sie damals, „seit wir damals“, nämlich er und die vier jahre ältere schwester mit der mutter –
„so als ob da ein geheimnis gewesen wäre“
es müsse ein montag gewesen sein, ihr freier tag auch im Ahrntal, beim Gasthof Kordiler, wo sie, warum auch immer – sie habe immer wieder, wenn er sie gefragt habe, warum, wenn sie überhaupt etwas gesagt habe, etwas anderes gesagt, „so als ob da ein geheimnis gewesen wäre“, habe Werner Sellemond gesagt, mit ihrer dort verbliebenen verwandtschaft, ihre mutter sei ja eine ahrntalerin gewesen, habe es also wohl nichts zu tun gehabt –, wo sie damals fast zwei jahre gekellnert habe – und inzwischen sei sie ja ausgestiegen aus dem kellnern, die füße, habe sie gesagt, und dieses lächeln den ganzen tag .. und jetzt arbeite sie als schulwartin in der grundschule Aibeln-
-
Buchautor: Josef Oberhollenzer, Liebhaber des Konjunktivs und der radikalen Kleinschreibung, wurde 1955 im Südtiroler Ahrntal geboren. Im fiktiven Aibeln ist er ebenso zu Hause. Er schreibt Lyrik, Prosa und Theaterstücke, einige seiner Texte wurden von Rockbands vertont. Mehrere Preise und Stipendien. Mit seinem Roman Sültzrather stand er auf der Longlist des Deutschen Buchpreises Foto: Lois Steger–, denn der vater, das habe sie ihm und der Traudi immer gesagt, wenn sie sie nach ihm gefragt hätten und warum er denn nicht .. und wo er denn sei .. weil sie hätten ihn ja beide sehr vermißt in dieser fremde da drinnen, „zwischen die berge gepackt, himmelhoch“, in dieser für sie so anderen sprache, in dieser seltsam anderen welt, der vater, habe sie gesagt, „der vater ist mit der Costa“ –
diese schiffsnamen nämlich bildeten schon lang ein einziges knäuel in seinem kopf.
und er könne sich jetzt nicht mehr erinnern, ob die mutter da die Costa Riviera oder die Eugenio Costa oder vielleicht die Carla Costa genannt habe „oder irgendein anderes costaschiff“, diese schiffsnamen nämlich bildeten schon lang ein einziges knäuel in seinem kopf, so oft und „so durcheinander“, so komme ihm in der erinnerung vor, seien all diese schiffsnamen genannt worden in den er zählungen während all der diashows, die sein vater zusammengestellt und, „vor allem während der weihnachts , während der neujahrstage“, wie ein dazu gehöriges ritual vorgeführt habe .. „und das summen des diaprojektors hab ich jetzt als tinnitussummen in meinem kopf“ –, der vater sei mit der Costa soundso „auf einer abenteuerfahrt um die weite welt“, und das dauere halt so lang, und wenn er wieder an land sei und heim nach Untrum komme, dann, dann .. aber „mit diesem dann“ habe ihre erklärung dann immer aufgehört –, seit also die Traudi und die mutter und er an seinem sechsten geburtstag – „Komm, Werner, beeil dich, komm endlich, der bus fährt gleich ab! Wir verpassen noch dein geburts tagsgeschenk!“, habe die mutter gerufen und an die klotür geklopft, und er habe sich beeilt und die hosentür zugemacht, noch bevor er ganz fertig gewesen sei .. „und wie hab ich mich geschämt damals.
Eine überhitzte Gegenwart, geprägt von der Heimsuchung durch Touristen, die plötzlich in den Bergen verschwinden. Abgedreht und böse, provokant und absurd witzig. Foto: Folio VerlagWährend der ganzen fahrt hinaus nach Bruneck hab ich meine hände nicht vom schoß getan, damit ja keiner den nassen fleck bemerkt“ .. und zum glück sei der getrocknet während der mehr als einstündigen fahrt –, seit sie an jenem 11. juni 1990 mit dem bus nach Bruneck hinaus und dann nicht, wie er aufgrund des namens selbstverständlich erwartet habe, dort einen, warum auch immer – „wie soll ich sagen“, habe er gesagt –, „sehenswürdigen“ platz besucht oder aufgesucht hätten, „zum spielen, zum schauen, zum herumtollen oder wasweißich“, sondern auf diesen sogenannten Kronplatz, der sich, wie er bald vollkommen verwundert und von seiner mutter „maßlos enttäuscht“ habe erkennen müssen, nicht als ein platz, sondern, „im wahrsten sinne des wortes, wie man sagt“, habe Werner Sellemond gesagt, als ein berg „heraus gestellt“ habe, seit sie da hinauf seien, aber nicht mit der seilbahn hinauf, die er beim hinaufgehen über sich hinauffahren gesehen habe mit ihnen zulachenden, fröhlich zuwinkenden menschen, nein, zu fuß seien sie hinauf .. und weil das nie aufgehört habe und sie nie angekommen seien, weil das so lang gedauert habe, „dieses gehen und gehen, dieses nie endendegehen“, habe er immer mehr geraunzt und gejammert und wieder gejammert und geraunzt .. und noch und noch, wie lang denn das noch dauere, gefragt und sich ziehen lassen und sich beim ziehen gesträubt .. und daß er dieses geschenk, als das man ihm und der Traudi den Kronplatz versprochen und vorgegaukelt habe, nicht mehr wolle, „partout nicht!“
Zwei Männer, die sich kaum kennen, treffen sich auf einer Alm. Der Ältere ist skeptisch, er weiß nicht genau, was der Jüngere von ihm will. Langsam tasten sie sich aneinander heran. Was nach und nach zum Vorschein kommt, ist maßlos, unsäglich. Und führt aus dem Südtirol der 1990er-Jahre herauf in die überhitzte Gegenwart ,geprägt von der Heimsuchung durch Touristen, die plötzlich zuhauf in den Bergen verschwinden. Waren die Unfälle auf den Hornspitzen und dem Schneebigen Nock etwa doch Morde? Und was geschah auf dem Großen Löffler? Mit dem ironischen Erzähler Franz Richard F.begibt sich Werner Sellemond drei Tage auf die Wollbachalm und berichtet ihm von irrwitzigen bis verbrecherischen Versuchen, die erdrückende Liebe der „Gäste" zu seiner Heimat auf Kimme und Korn zu nehmen.
Der Roman „Sellemond oder von der Schwierigkeit, Touristen zu töten" von Josef Oberhollenzer ist im Folio Verlag erschienen.
Articoli correlati
Kultur | Ex LibrisWie die Adria zu mir kam
Kultur | Ex LibrisIm Bike-Rausch
Kultur | Ex LibrisGemischte Prosa
Articoli correlati
Kultur | Ex LibrisDer Manfred und der Luis
Kultur | Ex LibrisGemischte Prosa
Kultur | Ex LibrisLa musica è un atto d’amore
Acconsenti per leggere i commenti o per commentare tu stesso. Puoi revocare il tuo consenso in qualsiasi momento.