Società | Soziales

Schutzengel auf Erden gesucht

Auch wenn es in Italien kein eigenes Berufsbild ist, wächst der Bedarf stetig: Was die Sachwalterschaft für alte und kranke Personen erledigt, erklärt Roberta Rigamonti.
Roberta Rigamonti
Foto: Seehauserfoto
  • Die eigene Unabhängigkeit kann im Alter mit einem Sturz im Bad von einem Tag auf den anderen ganz anders aussehen. Für viele bedeutet das nicht nur Anspruch auf Pflege, sondern auch weniger Selbstständigkeit im Alltag. Der Termin bei der Bank oder der Einkauf von Lebensmitteln muss dann von anderen übernommen werden. 

    „Durch die steigende Lebenserwartung und den demografischen Wandel, aber auch durch die Zunahme von Suchterkrankungen oder psychischen Erkrankungen in jüngerem Alter steigt der Bedarf an Sachwalterinnen und Sachwaltern seit Jahren“, erklärt Roberta Rigamonti, Direktorin des Südtiroler Vereins für Sachwalterschaft. Ernannt werden diese von dem Vormundschaftsrichter des Landesgerichts Bozen, nachdem ein entsprechender Antrag gestellt wurde. „Pro Jahr werden rund 500 neue Anträge für Sachwalterschaft eingereicht“, erklärt Rigamonti. Insgesamt werden in Südtirol derzeit rund 4.000 Betroffene unterstützt. 

  • Sachwalterschaft: Betroffene erhalten im Alltag Unterstützung, weil sie nicht mehr selbstständig leben können. Foto: Seehauserfoto
  • Der Bedarf steigt, auch weil sich die Familien in den letzten Jahrzehnten stark verändert haben. „Es gibt weniger Familien mit vielen Kindern und nicht immer leben Angehörige in der Nähe, die Betroffene unterstützen können“, so Rigamonti. Deshalb übernimmt nicht selten der Verein für Sachwalterschaft die Zuständigkeit für Betroffene. 

     

    „Wir haben im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, Familien und Fachkräften gemerkt, dass die größte Herausforderung die knappe Zeit im Alltag darstellt.“

     

    Derzeit betreut der Verein 35 Personen. „Wenn wir zusätzliche Gelder von der öffentlichen Hand erhalten, könnten wir mehr Personal einstellen und auch für mehr Betroffene die Sachwalterschaft übernehmen“, erklärt Rigamonti. Zurzeit koordiniert die Direktorin ein Team aus sieben Angestellten und zahlreichen Freiwilligen. Wer als Ehrenamtlicher die Sachwalterschaft übernimmt, kann einen Antrag auf finanzielle Entschädigung stellen. Die Kosten werden entweder von der betroffenen Person oder von der öffentlichen Hand getragen. 

    Allein im vergangenen Jahr gingen beim Verein mit Sitz am Siegesplatz in Bozen über 5.200 Telefonanrufe ein, um Informationen einzuholen. Außerdem unterstützt die Organisation bei der Antragstellung für Sachwalterschaft und bietet kostenlose Erstgespräche für Beratung und Ausbildungskurse an. Die Nachfrage ist groß: 2024 verbuchte der Verein 1.684 Beratungen, 675 zusätzliche Leistungen und führte 29 Ausbildungskurse durch. 

  • Unklares Berufsbild

    „Die Aufgaben der Sachwalterschaft sind in Italien nicht durch ein eigenes Berufsbild definiert, wie etwa in Deutschland oder Österreich. Deshalb kann jede und jeder diese Aufgabe übernehmen, Familienangehörige, Nachbarn, Freiwillige oder Fachleute“, erklärt Rigamonti. Aus diesem Grund hat der Verein kürzlich den ersten Ethikkodex für Sachwalterschaft in Italien ausgearbeitet, der auch von der Nicht-Regierungsorganisation International Guardianship Network (IGN) mit Sitz in Berlin anerkannt wird.  

  • Auf Wünsche und Bedürfnisse eingehen: Gemeinsam mit Betroffenen organisiert die Sachwalterschaft den Alltag. Foto: Tiago Muraro / Unsplash
  • „Ausgangspunkt für uns war der Artikel 410 im italienischen Zivilgesetzbuch. Dieser legt zwar fest, dass der Sachwalter die Bedürfnisse und Wünsche der betreuten Person berücksichtigen muss, aber wie dies zu geschehen hat, ist nirgendwo geschrieben“, so Rigamonti. Im Rahmen eines partizipativen Prozesses mit Online-Umfrage hat der Verein für Sachwalterschaft den Ethikkodex erarbeitet und am 3. Oktober der Öffentlichkeit vorgestellt. 

    „Wir haben im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, Familien und Fachkräften gemerkt, dass die größte Herausforderung die knappe Zeit im Alltag darstellt“, sagt Rigamonti. Das sei besonders dann der Fall, wenn einer Sachwalterin von dem Vormundschaftsrichter die Verantwortung für mehrere Betroffene übertragen wird. Denn es sei wichtig, sich Zeit für Gespräche zu nehmen und den Betroffenen zuzuhören, um ihre Lebensgeschichte und ihre Bedürfnisse zu verstehen. Die langjährige Direktorin des Vereins plädiert deshalb dafür, Sachwalterinnen und Sachwalter nicht zu überlasten, die Beauftragung zeitlich zu begrenzen und gegebenenfalls zu verlängern.